Kreativ und stahlhart

Die Proteste der Studierenden gegen die Einführung von Studiengebühren sind so energisch wie seit langem nicht mehr. von jesko bender

Nackte Studenten wurden bisher nicht gesichtet, die in den nächstgelegenen Brunnen springen und dabei rufen: »Die Bildung geht baden.« Ebenso wenig trugen in den vergangenen zwei Wochen schwarz gekleidete Kommilitonen die Bildung symbolträchtig zu Grabe. »Schluss mit lustig, Herr Koch!« war stattdessen auf einem Transpa­rent zu lesen, das Studierende in der vergangenen Woche nachts an der Fassade des hessischen Landtages anbrachten. Es scheint die Stimmung vieler Studierender treffend zu beschreiben.

Die Proteste der Studierenden in Hessen und Nord­rhein-Westfalen gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren weiteten sich zwar erst vor etwa zwei Wochen aus. Seitdem haben sie aber den Eindruck hinterlassen, um einiges energischer und dynamischer zu sein, als etwa diejenigen gegen die Einführung der so genannten Langzeitstudiengebühren vor drei Jahren. Während damals eine spaßige Aktion auf die andere folgte, legen die Demonstranten momentan Wert darauf, ernst genommen zu werden.

Besonders deutlich wurde dies in der vergangenen Woche in Frankfurt am Main. Dort zogen im Anschluss an eine Vollversammlung die meisten der rund 4 000 teilnehmenden Studieren­den am Nachmittag durch die Innenstadt und blockierten über eine Stunde lang die nahe gelegene Auf- und Abfahrt der Autobahn 66. Im Anschluss daran machten sich zeitweise zwei Demonstrationszüge auf den Weg, um Kreuzungen und Straßen in der Innenstadt vorübergehend zu besetzen.

Wie in der Woche zuvor wurden am Hauptbahnhof große Stahlträger auf die Straßen und die Straßenbahngleise gelegt. Zeitweilig kam der Verkehr in der gesamten Innenstadt zum Erliegen, während sich auf der Autobahn ein über fünf Kilometer langer Stau bildete. Erst gegen zehn Uhr abends wurde die letzte Blockade, an der sich noch etwa 300 Studierende beteiligten, von der inzwischen ungehalten wirkenden Polizei geräumt. Fünf Personen wurden festgenommen.

Hört man sich auf den Demonstrationen um, so wird schnell deutlich, dass es in der Tat viele Studierende gibt, die die geplanten Stu­dien­gebühren als unmittelbaren Angriff auf sich verstehen und deshalb verschärfte Protestformen für angebracht und notwendig halten. »Ich bin keine lustige und kreative Studentin«, sagt eine Kommilitonin, die hinter einem Transparent läuft mit der Aufschrift: »Für französische Verhältnisse«. »Es geht hier für viele um ihre Lebensperspektiven, und das sollten wir ganz unmissverständlich zeigen.« Das Ergebnis ist an den hessischen und nordrhein-westfälischen Universitäten und Fachhochschulen zu sehen.

Bemerkenswert ist dabei das unterschiedliche Vorgehen der Polizei in Nordrhein-Westfalen und in Hessen. In Nordrhein-Westfalen wurden bereits mehrere besetzte Rektoratsgebäude von Beamten geräumt. Auch im Anschluss an die Demonstration in Düsseldorf am 16. Mai, zu der Studierende aus verschiedenen Städten des Bundeslandes angereist waren, kam es zu unverhältnismäßigen Polizeiüber­griffen.

In Hessen zeigte sich die Polizei dagegen bislang eher zurückhaltend, obwohl sie den entstandenen Sachschaden mit mehreren tausend Euro beziffert. Das liegt womöglich daran, dass sie die Dynamik der Proteste ebenso wenig einschätzen kann wie viele der politischen Hochschulgruppen. Denn selten hat es in den vergangenen Jahren Demonstrationen gegeben, auf denen vermeintlich normale Studenten Bauzäune auf die Straßen zerren, während linke Aktivisten mit großen Augen daneben stehen und staunen.

Hier liegt jedoch auch ein Problem: Die Proteste machen zwar bisweilen die Wut und die Angst vieler Studierender sichtbar, leben aber auch vom Gefühl und vom Erlebnis, was nicht unbedingt eine Selbstorganisation und die Vertretung politischer Interessen zur Folge haben muss.