Soldaten Gottes schießen scharf

In der Türkei wurde ein Richter erschossen, der an einem Urteil gegen eine Lehrerin beteiligt war, die vor ihrer Schule ein Kopftuch trug. von jan keetman, istanbul

Der junge Rechts­anwalt Alparslan Arslan stürmte in ein Zimmer, in dem sechs Richter saßen. Er rief: »Wir sind die Soldaten Gottes«, woraufhin er der Reihe nach auf alle Anwesenden schoss. Der Richter Mustafa Yücel Özbilgin starb, vier Richter wurden verletzt, einer konnte sich unter den Tisch retten. Ein Bediensteter fiel dem Attentäter in den Arm und verhinderte, dass er seine Mordtat vollendete.

Die Kugeln, die Arslan am Mittwoch vergangener Woche auf sechs Richter abfeuerte, platzten mitten in den Kopftuchstreit der Türkei. In der Debatte treffen zwei Welten aufeinander, die sich gegenseitig nicht verstehen und nicht tolerieren wollen. Während die eine Seite in Begriffen von Religion und Ehre denkt, hat die andere Seite schlichtweg Angst vor einer Islamisierung der Türkei.

Nur wenn man diese Angst begreift, sind Gerichts­entschei­dungen wie diese zu verstehen: Die Leiterin einer Vor­schule wurde versetzt, weil sie sich zwar an die Vor­schrift gehalten hat, kein Kopftuch im Unterricht zu tragen, es aber beim Betreten und Verlassen des Ge­bäudes vor den kleinen Kindern anlegte. Ihre Klage wurde abgewiesen und ihre Versetzung an eine Grundschule für rechtens befunden. In ihrer Freizeit darf sie weiterhin ein Kopftuch tragen.

Die islamistische Presse sah darin einen Versuch, das Kopftuch auch generell auf der Straße zu verbieten. Die Zeitung Vakit, deren Europaausgabe vor einem Jahr in Deutschland wegen antisemitischer Hetze verboten wurde, bil­dete die beteiligten Richter auf der ersten Seite einzeln groß ab. Daraufhin bat der Vorsitzende Richter vergeblich um Polizeischutz. Nach einer ähnlichen Kampagne in Akit, der Vorgängerzeitung von Vakit, wurde schon einmal ein Richter ermordet.

Nicht alle bei dem Attentat verletzten Richter waren an dem Urteil beteiligt, was Arslan als Abonnent der Vakit gewusst haben musste. Er ist kein Unbekannter. Als Student gehörte er zu einer Gruppe von Rechts­extre­men, die an der Universität von Ankara linke Studenten mit den langen Messern angriffen, die man zum Abschneiden von Kebabfleisch verwendet. Man kann ihn dem Milieu der so genannten »türkisch-islamischen Synthese« zurechnen, einer Strömung, die früher einmal vom Militär gefördert wur­de und extremen Nationalismus mit extremem Islamismus verbindet. Sammelbecken ihrer Angehörigen ist die Partei der großen Einheit.

Arslan soll auch Anfang Mai an den drei Sprengstoffanschlägen auf die Zeitung Cumhuriyet beteiligt gewesen sein, bei denen Sachschaden entstand. Ver­bindungen bestehen ebenfalls zu den so genannten Türkischen Rachebrigaden, die im Jahr 1998 ein Attentat auf den Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins, Akin Birdal, verübten und ihn lebensgefähr­lich verletzten.

Viele im Land sehen nun die Gelegenheit gekommen, die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan anzugreifen. Am Tag nach den Schüssen demonstrierten mehr als 15 000 Men­schen vor dem Atatürk-Mausoleum in Ankara für die Trennung von Religion und Staat und gegen die islamische Regierung. 40 000 Menschen kamen zur Trauerfeier für Özbilgin.

Parlamentspräsident Bülent Arinc sagte, falls der Anschlag etwas mit dem Prozess der Lehre­rin zu tun habe, müsse der Attentäter »verrückt« sein. Man muss schon staunen, dass er sein Land so wenig kennt. Sowohl Arinc als auch Erdogan überlegen, sich nächstes Jahr vom Parlament zum Staatspräsidenten wählen zu lassen. Einen Präsidenten, der die laizistische Ordnung der Türkei in Frage stellt, werden die Militärs aber kaum dulden. Man kann gespannt sein, wie sie ihn verhindern.