Frontex macht Europa dicht

Mit der Einrichtung der »Grenzschutzagentur« Frontex versucht die EU, Flüchtlinge effizienter abzuwehren und neue Migrationswege abzuschneiden. von alfred hackensberger, ceuta

Seit Monaten wiederholen sich die Bilder: Helfer des Roten Kreuzes versorgen dehydrierte Gestalten, hüllen Kinder in Decken, und Leichen werden in Plastiksäcken weggetragen. Überfüllte Flüchtlingsboote gehören auf den Ferieninseln Teneriffa oder Gran Canaria seit Jahresbeginn zum Alltag. Über 1 500 Immigranten aus den subsaharischen Ländern kamen in den vergangenen zwei Wochen auf Booten an den Küsten der kanarischen Inseln an. Die Flüchtlinge, die zum Großteil aus Mali und dem Senegal stammen, konnten die über 1 200 Kilometer lange Überfahrt von der afrikanischen Küste auf die Kanaren lebend überstehen. Nicht alle hatten dieses Glück. Nach Schätzungen der spanischen Polizei sind seit Beginn des Jahres etwa 1 500 Menschen auf ihrem Weg nach Euro­pa ertrunken, verdurstet oder verhungert. Seit Jahresbeginn wurden insgesamt rund 7500 Immi­granten von den kanarischen Behörden registriert, fünfmal so viele wie im selben Zeitraum 2005.

»Die Situation ist außer Kontrolle«, beschwert sich Jose Miguel Ruano, ein Mitglied der Regierung der Kanarischen Inseln. Die spanische Regierung habe ihre Verpflichtungen nicht erfüllt. Bereits vor Monaten versprach die stellvertretende spanische Premierministerin Maria Teresa Fernandez de la Vega, »das Problem zu lösen«. Einige Hundert Immigranten wurden damals deportiert, die spanische Marine übernahm die Seeüberwachung und setzte neue Frühkontrollsysteme zur Erkennung von Kleinbooten im Atlantik ein. Zudem baute das spanische Militär in Mauretanien Auffanglager für Flüchtlinge und patrouillierte zusammen mit der mauretanischen Marine. So wurde der Bootsverkehr zwar von Mauretanien aus unterbunden, aber die Mafia der Menschenschmuggler zeigte sich flexibler. Die Flüchtlinge, die in den vergangene zwei Wochen auf den Kanaren ankamen, hatten ihre riskante Reise in Senegal angetreten. »Es geht eben immer weiter nach Süden«, sagt Natalie Daris, die das Büro von Médecins sans Frontières in Tanger leitet. »Man findet immer neue Schlupflöcher.«

Hilfe suchend wendete sich die spanische Regierung an die EU. Prompt erhielt sie Anfang der vergangenen Woche eine Antwort. Als Soforthilfe will die Union zwei Millionen Euro zur Verfügung stellen und einige Migrationsexperten auf die Kanaren schicken. Zudem ist die Einrichtung einer »schnellen Einsatzgruppe« geplant, die für die logistische und medizinische Betreuung zuständig sein soll. Zur effizienten Abwehr von Flüchtlingen und Einwanderern aus den subsaharischen Ländern vertraut die EU auf die Arbeit von Frontex, der »Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenze«. Mit Flugzeugen, Schiffen und Satelliten soll die im vergangenen Jahr eingerichtete Grenzsicherungsbehörde der EU bald das den Atlantik vor Afrika bis in die Hoheitsgewässer von Gambia, Senegal, den Kapverdischen Inseln, Mauretanien und Marokko überwachen. Mit einer möglichst systematischen und umfassenden See- und Luftüberwachung sollen Boote von Flüchtlingen bereits kurz nach der Abfahrt aufgebracht und wieder zur afrikanischen Küste zurückgeschickt werden. Gleichzeitig baut die EU in den betroffenen Staaten Camps für die zurückgewiesenen Flüchtlinge.

In einer mittelfristigen Strategie unterstützt die EU den neuen, auf drei Jahre ausgelegten so genannten Afrika-Plan der spanischen Regierung. Nach diesem will Spanien neue diplomatische Vertretungen in Westafrika eröffnen. Botschaften sind unter anderem in Mali, im Sudan und auf den Kapverdischen Inseln geplant. Dort soll nicht nur »Aufklärungspolitik« betrieben, sondern es sollen auch »Übereinkünfte über die Rückführung« von Flüchtlingen unterzeichnet werden. Die »diplomatische Offen­sive« beinhaltet laut de la Vega auch eine » deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe«.

Zurzeit bereist der spanische Gesandte, Miguel Angel Fernandez Mazarambroz, mehrere westafrikanische Staaten. Er will bereits vorab so viele Regierungen wie möglich dazu bringen, »Rückführungsabkommen« zu unterzeichnen. In Senegal hatte er bereits Erfolg. Es sei zwar kein Abkommen unterzeichnet worden, sagte der senegalesische Außenminister Cheik Tidiane Gadio, »aber wir werden eine Vertretung auf den Kanarischen Inseln eröffnen und unsere Staatsangehörigen repatriieren«. Im Juni ist in der senegalesischen Hauptstadt Dakar eine Konferenz geplant, auf der über Migration diskutiert wird.

Mit Diplomatie versuchen nun Spanien und die EU, die »Schlupflöcher« zu stopfen, die mit modernen Überwachungsgeräten nicht zu schließen sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Amnesty International, kritisieren die Absicht, »illegale« Immigranten in ihren Booten einfach wieder zurückzuschicken. Auch William Spindler, der Sprecher des UNHCR, des Flüchtlingswerks der UN, äußerte Bedenken: »Es gibt Befürchtungen, dass Europa die internationalen Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nicht einhält. Zum Versuch der europäischen Regierungen, Flüchtlinge abzuhalten, sagen wir: Vorsicht!« In der vergangenen Woche hielt der UNHCR eine Konferenz in Madrid ab zum Thema »Rettung auf See«. Dabei ging es um die Koordination zwischen den Mittelmeerstaaten in der Seerettung von Immigranten.

Die Kanarischen Inseln stehen zurzeit im Mittelpunkt der Berichterstattung, aber alle Länder, die an der Grenze der EU liegen, sind gleichermaßen betroffen: Malta, Zypern, Griechenland, Italien. Vor knapp einer Woche erreichten wieder 850 Flüchtlinge die italienische Insel Lampedusa. Auch im marokkanischen Tanger bereitet man sich auf die Hochsaison der Immigration vor. In den Sommermonaten ist das Meer ruhig und das Wetter nicht mehr so wechselhaft, sodass die Überfahrt zum nur 14 Kilometer entfernten spanischen Festland kein völlig unkalkuliertes Risiko mehr ist. Für den Fall, dass die marokkanischen Behörden in Tanger alle Versuche unterbinden sollten, ist bereits vorgesorgt. Eine neue Route geht von Nador aus, einer im Nordosten gelegenen Stadt, nicht weit von Melilla, das neben Ceuta die zweite spanische Enklave auf marokkanischem Territorium ist. »Diese Route ist wesentlich länger und gefährlicher«, erläutert Daris, »aber das ist den Menschen offenbar egal. Sie riskieren alles, um nach Europa zu kommen.«