Aus der Tiefe des Raums

Jung, sportlich und ohne soziale Absicherung unterwegs: In Köln trafen sich Fahrradkuriere aus allen Teilen Deutschlands. von stefan kindler

Fahrräder lehnen an den Wänden, sie liegen überall auf dem Boden herum oder hängen an Treppengeländern und Absperrgittern. Es sind zumeist Rennräder, die den mehr als hundert Fahrradkurieren gehören, die sich am Wochenende in Köln bei den Deutschen Fahrradkuriermeisterschaften trafen. In den Innenstädten meist als Einzelkämpfer auf den Straßen unterwegs, sieht man sie hier mit ihren riesigen Taschen auf dem Rücken in Pulks um die Industriehallen von Köln-Kalk rasen.

Die Veranstaltung findet abseits der Innenstadt statt und muss fast ohne Zuschauer auskommen. Die wenigen Sponsoren stammen zum größten Teil aus dem Umfeld der Kurier­szene. Dass das Rennen als Treffen der Kuriere und nicht als »Funsport«-Spek­takel stattfindet, ist den meisten Teilnehmern nur recht. »Kurier-Rennen sollen keine X-Games sein«, meint Mortimer, Fahrradbote und Mitinhaber des Kurier-Cafés Keirin Berlin. Damit spielt er auf die riesigen Werbe- und Marketingspektakel an, zu denen BMX- und Skateboardwettbewerbe geworden sind.

Dabei würde sich aus dem Image, das die Fahradboten in der Öffentlichkeit haben, nur zu gut Profit ziehen lassen. Der Radkurier taucht als Figur in vielen Werbespots auf, und der Messenger-Style, vor allem die Umhängetasche und die Wasserflasche, sind längst von der Alltagskultur adaptiert worden. In den USA hat sich bereits eine »urbane Fahrradkultur« entwickelt, die sich an den Codes der Messenger orientiert.

Alles begann in New York. Ende der achtziger Jahre mischten Fahrradkuriere dort die Straßen auf. Sie bewegten sich nicht vorsichtig und unterwürfig im mörderischen Verkehr der Stadt, sondern behaupteten aggressiv ihren Platz auf der Straße. Die Mischung aus Risikobereitschaft und Geschwindigkeit sowie die Selbstrepräsentation als eine Art Stadtguerilla machten die Kuriere schnell zum Objekt von Kunst und Medien. Ein Sinnbild des urbanen, modernen Lebens war entstanden, das schnell mit Bedeutung aufgeladen werden konnte, auch von den Kurieren selbst.

Dabei sind sie eigentlich nichts weiter als körperlich hart arbeitende Dienst­leister, die schnellstmöglich ihre Kunden zu beliefern haben. Sie werden in den allermeisten Fällen nach der Anzahl der Aufträge bezahlt, die sie absolvieren konnten. »Zeit ist Geld« ist für sie kein angestaubter Sinnspruch.

Das gute Image der Kuriere, das gerne in der Werbung verwendet wird, entstand in einer Zeit, als das Kurierfahren eine vergleichsweise lukrative Tätigkeit war. Trotz ihres subkulturellen Images galten Fahrradkuriere nicht als ökonomische Underdogs. Zudem übernahmen sie wichtige Funktionen vor allem in schnell arbeitenden Branchen wie in den Medien und der Werbung. Sie sorgten dafür, dass wichtige Sendungen ohne Zeitverlust durch die vom Verkehrsinfarkt lahmgelegten Städte transportiert werden konnten. Vor allem entsprechen Kuriere dem liberalen Mantra der »Eigenverantwortung«: »Du hast gesunde Beine, ein Rad ist nicht zu teuer, fahr einfach los und verdiene dein Geld.« Es ist wohl auch kein Zufall, dass Fahrradkuriere in der Kampagne »Du bist Deutschland« als neue Wirtschaftswunder-Optimisten geadelt wurden.

In der US-amerikanischen Kurier-szene gibt es jedoch auch Fahrer, die sich politisch verstehen und sich organisieren. »Radfahren an sich ist dort eigentlich schon politisch«, meint Mortimer, der einige Jahre als Kurier in New York arbeitete. Sich seinen Raum im Straßenverkehr zu erkämpfen, ist im Prinzip ein politischer Akt, der allerdings nicht bei Verkehrspolitik stehen bleibt. Der Kampf geht letztlich darum, wer definiert, wie der öffentliche Raum genutzt wird. Die aus diesem alltäglichen Kampf resultierende Erfahrung kennzeichnet das Selbstverständnis vieler Kuriere mehr als die Bilder, die in den Medien verbreitet werden.

Wenn man sich an dunklen Winter­abenden im Schneeregen durch den Feierabendverkehr kämpft oder sich in Ferienzeiten Sorgen um die nächste Miete macht, da die üblichen Auftraggeber nur mit halber Kraft arbeiten, treten Fragen von Image und Repräsentation in den Hintergrund. Die Jahre sind vorbei, in denen Kuriere einigermaßen leicht und schnell viel Geld verdienen konnten.

In gewisser Hinsicht sind Fahrradkuriere inzwischen ein Anachronismus geworden. Viele Datenträger, wie etwa Disketten und CD-Roms, die die Kuriere früher befördert haben, werden inzwischen nicht mehr gebraucht, weil die darauf enthaltenen Informationen inzwischen digital von Büro zu Büro geschickt werden. Was an Aufträgen hauptsächlich übrig bleibt, ist die Beförderung von Dokumenten, Laborproben, Zahnersatz oder das vergessene Mobiltelefon des Chefs, dessen Zeit zu wertvoll ist, als dass er es selbst aus dem Büro holen könn­te.

»Nur in wirklich großen Städten hat man mit diesem Job eine Perspektive«, meint Ercan, ein Kurier aus Hamburg. Dort könne man noch ganz gut Geld verdienen. Das gilt aber nur, wenn in den einzelnen Städten nicht zu viele Kurierunternehmen um die knapper gewordenen Aufträge konkurrieren. Doch das Interesse am Job als Kurierfahrer scheint zu wachsen. »In Berlin gibt es einfach zu viele Kuriere«, sagt Mortimer. Die Begeisterung für das Fahrrad ist nicht der Grund. »Bei uns rufen vermehrt Leute an, die Geld brauchen«, erzählt Jan vom Kölner Bike-Syndikat.

Die meisten Fahrradkuriere arbeiten als Selbständige oder Subunternehmer einer Kurierzentrale, an die sie einen Teil ihrer Einnahmen für die Vermittlung von Aufträgen bezahlen. Für viele Kuriere bleibt meist nur ein geringes Einkommen, von dem sie auch noch die Kosten für Kleidung aufbringen müssen. Dazu kommen die Ausgaben für das Fahrrad und für Reparaturen. Kuriere genießen in der Regel keinen Kündigungsschutz, und Mitsprachen über Arbeitsbedingungen werden meist nur auf freiwilliger Basis gewährt. Selbst für eine soziale Sicherung, die die Kuriere aus ihrem eigenen Einkommen finanzieren müssen, reicht das Geld oftmals nicht.

»Freiheit« lautete zumeist die Antwort auf die Frage, warum sie diesen Job machen. Unbehelligt von Hierarchien bewegen sie sich selbstverantwortlich durch die Straßen. »Wir haben nichts zu verlieren außer unseren Ketten«, ist ein Spruch, der öfter als Aufkleber auf Kurierrädern zu sehen ist. Er bezieht sich ironisch auf das technisch reduzierte Kurierrad, das von allem Überflüssigen befreit ist. Dass viele Kuriere von sozialer Absicherung befreit sind, deutet er nur zaghaft an.