Der König ist die Lichtgestalt

Die Konfrontation zwischen dem Premierminister und der Opposition hat Thailand in eine politische Krise gestürzt. von niklas luhmann, bangkok

Die Liste der Gründe, König Bhumibol Adulyadej zu feiern, ist in den vergangenen Wochen noch länger geworden. Am 26. Mai kam UN-Generalsekretär Kofi Annan nach Bangkok, um dem Monarchen einen Preis der Vereinten Na­tionen für Entwicklungspolitik zu überreichen und sein Enga­gement für die Armen zu loben. Am Mittwoch der vergangenen Woche kündigte Bhumibol an, dass er alle Kinder unterstützen werde, die bei der Flutkatastrophe Ende Mai im Norden des Landes ihre Eltern verloren haben. Am kommenden Freitag, wenn sich anderswo die Aufmerksamkeit auf den Beginn der Fußballweltmeisterschaft konzentriert, wird Bhumibol 60 Jahre auf dem Thron sitzen und damit der am längsten regierende Monarch der Gegenwart sein. Das ist ein weiterer Grund zu feiern. Und ein weiterer Grund, sich ein orangefarbenes Plastikarmband mit der Aufschrift »We love the King« zu kaufen.

Nominell ist Thailand eine konstitutionelle Mo­nar­chie. Doch der König, der von den meisten Thais fast wie ein Heiliger verehrt, aber auch durch das Gesetz vor Majestätsbeleidigung geschützt wird, hat in Krisenzeiten mehrmals in das poli­tische Geschehen eingegriffen. Derzeit sind fast alle Analytiker der Ansicht, dass Rama IX., wie Bhumibols dynastischer Name lautet, das Land einmal mehr aus einer Krise geführt und sich als Verfechter der Demokratie profiliert habe. Nach einer Intervention des Königs hatte das Verfassungsgericht Anfang Mai die Parlamentswahlen vom 2. April für verfassungswidrig erklärt und Neuwahlen angeordnet.

Die Wahlen im April waren ein Versuch des Premierministers Thaksin Shinawatra, sich eine demokratische Legitimation zu verschaffen. Nachdem Thaksin sein Telekommunikationsunternehmen Shin Corporation an Singapurs Staatskonzern Temasek Holdings für über 1,5 Milliarden Euro steuerfrei verkauft hatte, war es zu Straßenprotesten der vorrangig von der Mittelschicht und Intellektuellen getragenen People’s Alliance for Democracy (PAD) gekommen. Der Premierminister löste daraufhin das von seiner Partei TRT (Thais lieben Thais) beherrsch­te Unterhaus auf.

Die Oppositionsparteien boykottierten die Wahl, sodass die TRT mühelos 485 der 500 Sitze gewann. Doch wegen der gesetzlichen Bestimmungen konnten in 14 Wahlkreisen auch bei Nachwahlen keine Sieger gekürt werden. Das von der Verfassung geforderte fristgerechte Zusammentreten des Unterhauses in voller Besetzung war somit nicht möglich.

Das Verfassungsgericht bemängelte die zu kurze Frist zwischen der Auflösung des Parlaments und der Wahl und stellte zudem fest, dass die Aufstellung der Urnen keine geheime Abstimmung gewährleistet hätte. Klarheit hat das Urteil nicht geschaffen, die Regierung und die Opposition beschuldigen einander weiterhin der Korruption und undemokratischer Vorgehensweisen. »In diesen Tagen vertrauen die Thais einzig und alleine noch den Gerichten. Sie sind die letzen demokratischen Institutionen unseres Lan­des«, sagt Wongsa Laohasiriwong, Professorin an der Universität in Khon Kaen.

Tatsächlich hatten nach dem Erlass der neuen Verfassung im Jahr 1997 viele Thais eine wirk­liche Demokratisierung erhofft. Neben der Änderung der Wahlgesetze und einer Erweiterung der bürgerlichen Rechte schrieb die Verfassung unter anderem auch die Einrichtung einer zweiten Parlamentskammer und einer Wahlkommission vor. Beide sollten als neutrale Institutionen die gängige Praxis der politischen Korrup­tion beenden.

Doch die Verfassungsreform genügte nicht, um Korruption, Nepotismus und autoritäre Manipulationen zu unterbinden. Die Wahlkommission wird beschuldigt, für Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen vom 2. April verantwortlich zu sein. Das Oberste Gericht forderte am Donnerstag der vergangenen Woche die drei verbliebenen Mitglieder der Kom­mission zum Rücktritt auf. und weigerte sich, zwei neue Kandidaten zu benennen. Ohne sie ist das Gremium nicht arbeitsfähig, doch die drei umstrittenen Wahlorganisatoren weigern sich standhaft, ihre Posten zu verlassen. Als Termin für Neuwahlen legten sie den 15. Oktober fest.

Zwar war Thaksin wenige Tage nach einer Audienz beim König im April zurückgetreten, aber er zögerte nicht, nach der Entscheidung über Neuwahlen das Amt des Premierministers erneut zu übernehmen. Die Opposition betrachtet diesen Schritt als illegitim. Er könnte zu neuen Protesten führen, denn die Kritik konzentriert sich sehr auf Thaksin.

Thaksin hatte mit seiner TRT, die auch Kräfte aus der Kommunistischen Partei anzog, nach dem eindeutigen Wahlsieg im Jahr 2001 populistisch regiert. Besonders beliebt ist er bei der armen Landbevölkerung. Die als Thaksinomics bekannte Wirt­schaftspolitik des Premierministers hatte unter anderem zum Ziel, die Kaufkraft der Landbevölkerung zu erhöhen. So führte er ein dreijähriges Schuldenmoratorium für Bauern ein und zwang die staatlichen Kreditinstitute, kleinen Unternehmen und landwirtschaftlichen Betrieben den Zugang zu Darlehen zu erleichtern. Noch im Jahr 2001 führte er eine nationale Krankenversicherung ein, die jedem Thai den Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen bei einer Zahlung von 30 Baht (etwa 60 Eurocent) garantiert.

Angehörige der Mittelschichten und viele Akademiker beklagen allerdings, dass Thaksin die Beschränkungen, die für ausländische Investoren gelten, nicht lockerte. Sie befürchten, dass seine Maßnahmen auf Dauer das Wachstum der thailändischen Wirtschaft behindern könnten.

In erster Linie aber wird dem Premierminister nachgesagt, dass er nur sich und eine Familie bereichern wolle und seine Macht über alle Maßen missbraucht habe. Außerdem habe er »bei den beiden letzten Wahlen Stimmen gekauft, während all der Jahre die Freiheit der Medien eingeschränkt und die Menschenrechte nicht geachtet«, sagt Wongsa Laohasiriwong.

Tatsächlich hat Thaksin zum Erhalt seiner Macht kaum ein Mittel gescheut, und im Rahmen seiner repressiven Innenpolitik sind seit Januar 2004 mehr als 450 Menschen in dem bürgerkriegsähn­lichen Konflikt im Süden umgekommen. Im »Krieg gegen Drogen« sind in den Jahren 2003 und 2004 wahrscheinlich mehr als 5 000 Menschen gestorben, Menschenrechtsorganisationen sprechen von zahlreichen willkürlichen Erschießungen durch die Polizei.

Die Politik der großen Oppositionsparteien beschränkt sich jedoch schon seit Monaten auf die Propaganda gegen Thaksin. Vorschläge zur Lösung der sozialen Frage und des Konflikts in Südthailand oder zur Verbesserung der Menschenrechtslage sind nicht zu vernehmen. Aber vielleicht ist ja auch dafür der König zuständig. Wenn am 12. Juni die meisten der 28 Könige und Königinnen dieser Welt nach Bangkok kommen, um mit Bhumipol dem Großen zu feiern, wird jedenfalls von Thaksin mal ein paar Tage keine Rede sein.