Der Weltmeister ist gesund

Schon die vergangene Gesundheitsreform hatte verheerende Wirkungen auf die ärztliche Versorgung der Armen. Die derzeit diskutierten Modelle dürften die Situation verschlimmern. von philipp steglich

Eine schlechte Nachricht vorweg: Raucher dürfen bald nichts mehr zur wirtschaftlichen Genesung der Krankenkassen beitragen. Der Zuschuss aus den Einnahmen der Tabaksteuer soll im nächsten Jahr von 4,2 auf 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden und ab 2008 vollständig entfallen. Das Geld wird dann dem Bundeshaushalt einverleibt. Die Ausgaben der Kassen werden gleichzeitig wegen der höheren Mehrwertsteuer von 19 Prozent auf Medikamente steigen. Man darf also davon ausgehen, dass demnächst von einer weiteren »Kostenexplosion« im Gesundheitswesen die Rede sein wird, nicht aber von den Auswirkungen der Entscheidungen des Bundes.

Am Tag des Beginns der Fußballweltmeisterschaft berieten Vertreter der Großen Koalition einmal mehr über die nächste »Gesundheitsreform«. Auf der anschließenden Pressekonferenz wurde mitgeteilt, dass noch keine Entscheidungen getroffen seien, man sich aber sicher einigen werde. Im Gespräch ist ein Fonds aus den Beiträgen der Unternehmen, der Erwerbstätigen sowie Steuergeldern, aus dem die Krankenkassen für die Versicherten einen einheitlichen Betrag erhalten sollen. Vor allem aber ist damit zu rechnen, dass einige Leistungen nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden.

Der Zeit der Verhandlungen ging die Zeit der kühnen Vorschläge voraus. Betont inoffiziell berichtete die Welt im Mai von dem Vorschlag aus Regierungskreisen, in Zukunft für jeden Arztbesuch fünf Euro zu verlangen und den Betrag zu verdoppeln, mit dem der einzelne belastet werden kann. Während Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) halbherzig dementierte und versicherte, dass darüber noch gar nicht gesprochen worden sei, machte sich der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, die Forderung zu eigen. Kein Wunder, ist es doch das erklärte Ziel der Unternehmerlobby, sich aus der Finanzierung des Gesundheitssystems zurückzuziehen und den Versicherten so viel wie möglich aufzubürden. Diesem Ziel sind die Unternehmer mit jeder gesundheitspolitischen Entscheidung der vergangenen Jahre näher gerückt.

Der Sozialverband Deutschland sprach von einem »Horrorszenario für alte und chronisch kranke Menschen« und sagte der Jungle World: »Sollten die Praxisgebühr und Zuzahlungen weiter erhöht oder der Leistungskatalog weiter ausgehöhlt werden, wären die finanziellen Einschnitte für weite Teile der Bevölkerung unerträglich.«

Neben den höheren Einnahmen erhofft sich die Regierung von der Gesundheitsreform weitere »Steuerungseffekte« auf die Versicherten. Es soll nur noch zum Arzt gehen, wer wirklich sehr, sehr krank ist. Die pädagogisch zweifelhaften Methoden waren bereits bei der letzten Gesundheitsreform ein Thema, als Ulla Schmidt als Gesundheitsministerin der rot-grünen Bundesregierung das Anfang Januar 2004 in Kraft getretene »Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung« und damit erstmals zehn Euro Praxisgebühr beim ersten Arztbesuch pro Quartal einführte. Zudem wurden seither die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Fahrten und Sehhilfen nicht mehr erstattet und die Zuzahlung für verschreibungspflichtige Medikamente wurde erhöht, um nur die gravierendsten Einschnitte zu nennen.

Was aber waren die Folgen? Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen sanken, weil die Menschen tatsächlich seltener zum Arzt gingen. So berichten Initiativen, die Obdachlose medizinisch betreuen, dass ihre Klientel nicht in der Lage sei, die Praxisgebühr zu bezahlen, genauso wenig die Zuzahlungen zu den Medikamenten. Deshalb bleibt beispielsweise in Berlin seit der Einführung der Reform jeder fünfte obdachlose Patient den Behandlungszimmern fern. Der bürokratische Aufwand, der nötig ist, um sich von der Zuzahlung befreien zu lassen, überfordert sogar viele Versicherte, die ein völlig geregeltes Leben führen. Schließlich darf kein Quittungszettel verschludert werden, mit dem man beweisen soll, dass die Ausgaben für die Gesundheit bereits zwei Prozent des Jahreseinkommens überschritten haben.

Die bisher erschienenen Studien über die Folgen der gesundheitspolitischen Neuerungen des Jahres 2004 nennen weitere negative Auswirkungen. So bevorzugen die Patienten seither verschreibungspflichtige Medikamente, deren Wirkstoffe mitunter größere Nebenwirkungen haben. Um Geld zu sparen, wird das in Kauf genommen. Die rezeptfreien Arzneimittel ersteigern sich viele Patienten bei Ebay, wo sie günstiger zu bekommen sind als in der Apotheke.

Auch werden Arztbesuche so lange wie möglich aufgeschoben, und Hilfe wird erst dann gesucht, wenn es gar nicht mehr anders geht. Das hat häufig zur Folge, dass sich die Behandlungskosten erhöhen, da die Krankheit des Patienten fortgeschritten ist. Selbst Vorsorgeuntersuchungen, für die eigentlich keine Gebühr erhoben werden darf, werden deutlich weniger genutzt. Viele Patienten wissen nichts von der Befreiung, und viele Ärzte kassieren, oft gerade deshalb, trotzdem ab.

Dass die letzte Reform den bürokratischen Aufwand für alle Beteiligten deutlich erhöht hat und die ärmeren Patienten am meisten unter ihr zu leiden haben, hält die Bundesregierung nicht davon ab, weitere Vorschläge in diese Richtung zu unterbreiten. Das erklärte Ziel ist es, dem Gesundheitssystem zu mehr Einnahmen zu verhelfen. Nach wie vor steht dem von der SPD bereits im letzten Wahlkampf beworbenen Modell einer Bürgerversicherung die von der CDU favorisierte Kopfpauschale gegenüber. Nach der Vorstellung der Sozialdemokraten würden alle Bürger, auch die bisher privat versicherten Freiberufler, Spitzenverdiener und Beamten einzahlen, während die Konservativen von allen Pflichtversicherten, egal wie viel sie verdienen, den gleichen Betrag verlangen wollen.

Der diskutierte »Gesundheitsfonds«, der wegen der sich gegenseitig ausschließenden Modelle bereits als »dritter Weg« gefeiert wird, bedeutet ebenfalls höhere Kosten für die Versicherten, während der Unternehmeranteil festgeschrieben werden soll. Dass eventuell die Einkünfte aus Mieten und Zinseinnahmen in die Höhe des Versicherungsbeitrages mit einberechnet werden könnten, lindert seine Auswirkungen auf die ärmeren Schichten nicht. Und die Rede von dem beabsichtigten Wettbewerb der Krankenkassen untereinander ist wohl nichts anderes als eine Marketingmaßnahme, die die Versicherten glauben lassen soll, sie könnten mit dem Wechsel ihrer Kasse ein paar Euro einsparen.

Ein Bestandteil des Fondsmodells dürften weitere Steuererhöhungen sein, die mit dem Schlagwort »Gesundheitssoli« umschrieben werden. Die CDU verlangt dabei die Festsetzung des Unternehmeranteils an den Kosten auf 6,5 Prozent, damit die erhöhten Kosten allein von den abhängig Beschäftigten getragen werden müssen.

Die Gesundheitsministerin wirbt für ihre Politik mit dem Slogan: »Damit Deutschland gesund bleibt«. Tatsächlich wird sich der Exportweltmeister weiterhin bester Gesundheit erfreuen, nur seine ärmere Bevölkerung nicht.