Ehrenwerte Herrschaften

In der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft will man neuerdings nachrechnen, wie viele Menschen durch den Holocaust ums Leben gekommen sind. von andreas speit

Ihr Image pflegt die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG) mit Verve. In der Öffentlichkeit möchte die Gesellschaft um Reinhard Uhle-Wettler nichts mit rechtsextremen Ressentiments zu tun haben. Seit fast 45 Jahren leistet sie, die rund 5 000 Förderer haben soll, nach eigenem Verständnis »staatsbürgerliche Bildungsarbeit«. Im »vorpolitischen Raum« setzt sich der in Hamburg als gemeinnützig anerkannte Verein für Volk, Vaterland und Familie ein.

Ende Mai allerdings fühlte sich der Brigadegeneral a. D. Uhle-Wettler genötigt, die »Mitglieder und Gäste der SWG-Region Hannover« anzuschrei­ben. Eilig wollte er einen Schaden am Image der Gesellschaft abwehren. In dem einen Schreiben vom 20. Mai erklärte er: »Die Ihnen mit der Einladung vom 10. Mai 2005 irrtümlich übersandte Anlage eines Abdruckes aus den Basler Nachrichten von 13. Juni 1946 (…) gehört nicht zum Vorgang.« Und er forderte: »Sie ist bitte zu entnehmen, zu vernichten und als nicht übersandt zu betrachten. Keinesfalls darf sie weitergegeben und mit der SWG in Zusammenhang gebracht werden.« Der Grund seiner Sorge war folgender: In dem besagten Text spekulierte der Hannoveraner Regionalleiter der SWG, Frank Binnewies, über die »wahren Verluste des jüdischen Volkes in Europa während der Nazi-Herrschaft«.

Mit der Einladung zu zwei Veranstaltungen der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft verschickte Binnewies den »Abdruck eines Auszuges aus der Original-Ausgabe« der Basler Nachrichten aus dem Jahr 1946. Unter dem Titel »Wie hoch ist die Zahl der jüdischen Opfer?« rechnete für das Blatt damals ein »Korrespondent« aus Amerika nach. Fast alle Staaten, schrieb er, hätten »inzwischen die offiziellen Ziffern ihrer Kriegsverluste bekannt gegeben«, umso verwunderlicher sei es, dass das »jüdische Volk bisher keinerlei offizielle Ziffern«, sondern nur »offiziöse Schätzungen« veröffentlicht habe, die sich »wohl nach einer zentralen Propagandaziffer zwischen fünf und sechs Millionen« bewege. Aber ein »summarischer Überblick macht erkennbar, dass diese Zahl der jüdischen Opfer nicht stimmen« könne. In Europa hätten »fünf Millionen Juden« gelebt, »die überhaupt in den Machtbereich Hitlers geraten konnten«. Der Autor kam auf »höchstens drei Millionen«, die sich »tatsächlich in dem Machtbereich Hitlers« aufgehalten hätten. »Leider umfasst der Mangel an genauen Zahlen auch die Zahl der überlebenden Juden«, meinte er.

Er rechnete aus, dass »alles in allem weniger als 1,5 Millionen Juden vorläufig als tot oder vermißt bezeichnet werden müssen«. Angesichts der »gewaltigen Bedeutung, die gerade die ›Ausrottung der Juden‹ in der Welt­meinung« habe, forderte er, dass ein Untersuchungsausschuss der Vereinten Nationen feststelle, »wie hoch wirklich die Todesopfer des jüdischen Volkes gewesen« seien. »Eines ist schon heute sicher«, hob er her­vor, »dass diese Zahl fünf bis sechs Millionen beträgt«, sei »unwahr«.

Diese Meinung teilt offensichtlich auch Binnewies. In seinen Anmerkungen zu dem Artikel weist der Diplomfinanzwirt darauf hin, dass es bisher keinen Untersuchungsausschuss gegeben habe. Er betont zudem, niemand würde »bisher Interesse am Heraus­finden der wahren Verluste« zeigen. »Grund­lage für die Nürnberger Prozesse war die Zahl 6 000 000 Tote – woher sie auch immer stammen mag.«

Eine solche Relativierung des Holocaust missfällt dem Vorsitzenden der vermeintlich ehrenwerten Gesellschaft dann doch. Uhle-Wettler formuliert es lieber anders. Im Deutschland-Journal, das die SWG jährlich herausgibt, erklärte der Vorsitzende im Jahr 2005: »Nur eines ist gewiss: die barbarische Ausrottung der Juden durch Hitler wurde übertroffen durch die Ausrottung der Deutschen von der Hand der ›demokratischen, friedliebenden‹ Mächte der Vereinten Nationen.«

Uhle-Wettler ist seit über zehn Jahren Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft. Im Jahr 1995 übernahm er die Leitung von Hugo Wellems, der einst Pressereferent im »Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda« von Joseph Goebbels war. Seit der Gründung kämpft die SWG gegen die »alliierte Umerziehung« und die »68er Wertezersetzung«. Regelmäßig klagt Uhle-Wettler über das »US-amerikanische Umerziehungsprogramm für die besiegten Deutschen«. Er verfasste eine Festschrift für den englischen ­Auschwitz-Leugner David Irving und trat bei der rechtsextremistischen Kulturvereinigung »Gesellschaft für freie Publizistik« auf.

Über 60 Gäste folgten im Mai dieses Jahres einer Einladung der Gesellschaft in das Internationale Maritime Museum Hamburg. Während der Führung durch die umstrittene Privatsammlung Peter Tamms musste aber niemand wegen einer »unangemessenen Bußkultur« einschreiten. In der Sammlung wird die deutsche Maritimgeschichte noch frei von »zerstörerischer Selbstbezichtigung« dargestellt, die die SWG sonst immer in der »deutschen Erinnerungskultur« ausmacht.

Wie der ehrenamtliche Museumsführer meinte auch der Hamburger Vorsitzende der SWG, Manfred Backerra, dass die Rede von »Weltmachtplänen Hitlers völliger Unsinn« sei. Er schimpfte über Peter Longerichs Buch »Davon haben wir nichts gewusst«. Backerra, der Dozent für Militärisches Nachrichtenwesen an der Führungsakademie der Bundeswehr war, ist verärgert über Longerichs Darstellung, derzufolge die Deutschen Mitwisser der Vernichtung der Juden gewesen seien. »Unglaublich«, stimmte ein älterer Herr ein, und ein junger Mann meinte: »Juden bezeugen das doch nur.« Eine betagte Dame meinte: »Immer diese Juden«.

In Kiel hielten sich die Mitglieder der SWG auf einer Abendveranstaltung mit Martin Hohmann im Oktober auch nicht gerade zurück. Vor über 100 Besuchern trug der ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU seine Ansichten vor. Konrad Adenauer habe nur einer »einmaligen Entschädigungszahlung an Israel« zugestimmt, meinte er. »Diese gierigen Juden«, raunte es damals im Saal. Und Hohmann führte aus, Adenauer habe das Rückgrat gehabt, in Israel zu betonen: »Die Nazis haben nicht weniger Deutsche als Juden ermordet.« So etwas kommt offenbar gut an bei Leuten, die »staatsbürgerliche Bildungsarbeit« leisten.