Heimatländer vermehren sich

Kleinstaaten auf dem Balkan von boris kanzleiter

Skeptiker hatten bereits vor einem Gewaltausbruch gewarnt, am Ende blieb dann aber doch alles friedlich. Nach einem umstrittenen Referendum ist Montenegro seit dem 3. Juni offiziell ein unabhängiger Staat. Damit haben alle sechs Republiken des ehemaligen Jugoslawiens 15 Jahre nach den Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens die volle Souveränität erreicht. Weit über 100 000 Menschen mussten dafür sterben, dass die Überlebenden in den neuen chronisch verarm­ten Kleinstaaten von Politikerkasten regiert werden, die von der jeweiligen Öffentlichkeit in seltener Eintracht als »mafiös« bezeichnet werden.

Aber wer denkt, der territoriale Zerfall Jugos­lawiens sei mit der Unabhängigkeit Montenegros an seinem Endpunkt angelangt, könnte sich schon bald getäuscht sehen. Denn kaum war das Referendum durchgeführt, mel­dete sich bereits der Premierminister des serbischen Teils von Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, zu Wort. Er könne sich durchaus vorstellen, dass sich die bosnische Republika Srpska ebenfalls in einem Referendum für unabhängig erkläre, sagte er in einem Interview. Damit sprach er eine äußerst heikle Frage an. Denn um nichts anderes war es im grausamen Krieg zwischen 1992 und 1995 in Bosnien gegangen. Dass Dodik mit seiner Forderung indes von der großen Mehrheit der bosnischen Serben unterstützt wird, ist allseits bekannt.

Die Repräsentanten der »internationalen Gemeinschaft« reagieren äußerst argwöhnisch auf die Forderungen aus Banja Luka. Der internationale Beauftragte für Bosnien-Herzegowina, der deutsche Politiker Christian Schwarz-Schilling (CDU), der das Land mit weit reichenden Vollmachten in der letzten Instanz regiert, beeilte sich zu erklären, eine »Gefährdung der Souveränität und der territorialen Integrität von Bosnien-Herzegowina« werde er auf keinen Fall zulassen. Das kümmert die bosnischen Serben freilich wenig. Dort wurde die Debatte in den vergangenen Tagen unbekümmert weiter geführt.

Auftrieb könnten die bosnischen Serben durch die »internationale Gemeinschaft« selbst bekommen. Bis zum Ende des Jahres steht die Entscheidung über den zukünftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo bevor. Der UN-Ver­mitt­ler Marti Ahtisaari hat längst die Grundlagen für die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern bewohnten Konfliktregion geschaffen. Für jeden anderen Fall drohen albanische Nationalisten mit einem erneuten bewaffneten Aufstand. Da Kosovo aber als autonome Region des ehemaligen Jugosla­wiens nicht wie die Republiken über ein Sezessionsrecht verfügt, müsste die internationale Diplomatie einen völkerrechtlichen Präzedenzfall schaffen. Ein Gebiet auf dem Territorium eines souveränen Staates würde gegen den erklärten Willen der Regierung dieses Staates abgespalten.

Dass diese Entscheidung so friedlich akzeptiert wird wie die Abspaltung Montenegros, darf schon jetzt bezweifelt werden. Die Serben im Kosovo haben klar gemacht, dass sie sich »mit allen Mitteln« gegen eine Sezession wehren werden, wie ihre Vertreter auf einer Kundgebung bei Kosovska Mitrovica in der vergangenen Woche erneut betonten. Nicht umsonst bereitet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Südserbien bereits jetzt den Aufbau von Auffanglagern für 60 000 Flüchtlinge vor, die hier im Fall neuer Kämpfe im Kosovo erwartet werden.