Korso komplett?

Deutsch-Türken feiern die WM von deniz yücel

Können Sie erahnen, wie es in den Straßen von Rio zugeht, wenn am 9. Juli Cafú die Trophäe in die Luft stemmt? Oder, den Erfolg vorausgesetzt, wie es in Buenos Aires, Rom, Amsterdam aussehen wird? Allein der Deutsche würde teilnahmslos weiter­zappen oder sich einfach noch ein Pils bestellen. Dabei könnte er vom türkischen Nachbarn lernen.

Bei der letzten WM, als die Türkei Dritter wurde, fuhren in Berlin-Kreuzberg oder Duisburg-Marxloh die Autokorsos in Dreitagesschichten, was deutsche Me­dien darüber sinnieren ließ, warum die Türken so nationalistisch seien und ob die Korsos das Scheitern der Integration anzeigten. Doch die Wahrheit war und ist: Der Türke fährt für sein Leben gern hupend, jauchzend und fahnenschwenkend durch die Stadt. Kein Anlass ist ihm zu gering. Canan heiratet? Haydi, lasst uns einen Korso fahren! Çetin wird beschnitten? Haydi Korso! Papa kommt von der Arbeit? Mama hat Bohneneintopf gekocht? Zeki hat eine Eins in Mathe? Tröööt!

Der liebste Anlass ist der Fußball. Und wenn, wie bei dieser WM, die Türkei nicht dabei ist, flattern eben deutsche Fahnen im Fahrtwind. Deshalb wurde in Kreuzberg nach dem deutschen Sieg gegen Costa Rica die Nachtruhe stärker und fröhlicher gestört als in Marzahn oder Steglitz; in keinem Berliner Stadtteil weht derzeit mehr Schwarz-Rot-Gold.

Natürlich könnte jetzt ein Scheißefinder – der Deutsche ist der Brasilianer des Scheißefindens – etwas von »Übersprungshandlung« daherfaseln. Doch die Nationalfarben sind zweitrangig. Sollten beim nächsten Mal sowohl die Türkei als auch Deutschland fehlen, wird der Türke zu einer anderen Fahne greifen. Von einer Kleinigkeit wie der verpassten Qualifikation lässt sich kein Türke den Spaß am Korsen verderben.

Es dürfte nur eine Frage von Tagen sein, bis ein pfiffiger Türke versucht, aus der Lage Profit zu schlagen und die erste Korsovermietung der Welt gründet. Deutsche Fans, die in Steglitz oder Blanke­nese leben und nicht wollen, dass bei der WM die Gardinen so zugezogen und die Straßen so verlassen bleiben wie damals, als der erste amerikanische Panzer durch die Stadt fuhr, brauchen dann nur bei Korso-Ahmet anzurufen: »Korso mit scharf?« – »Ja« – »Korso privat, normal, Weltmeister«? – »Weltmeister!« – »Musik extra?« – »Gerne.« Integration ist eben keine Einbahnstraße. Tröööt!