»Staatsfeinde hören heute Deutschlandfunk«

Mal steht man mit dem verrückten Wesley Willis auf der Bühne, mal neben dem König von Norwegen oder mitten im Grenzcamp. schorsch kamerun, ted gaier und mense reents von den goldenen zitronen diskutieren die Neunziger und was sich seitdem alles verändert hat

Anfang der neunziger Jahre wurden in Hamburg die Wohlfahrtsausschüsse gegründet, um gegen Rassismus und Nationalismus in Deutschland, vor allem im Osten Deutschlands, ein Zeichen zu setzen. Ihr habt euch damals in den Ausschüssen engagiert. Wie seht ihr die Situation heute? Hat sich irgend etwas an der Dringlichkeit, Projekte gegen Rechte zu initiieren, geändert?

Schorsch Kamerun: Die Antwort ist doch klar: Die Dinge haben sich seither kaum verändert. In bestimmten Gegenden hat sich der Rassismus etabliert, sicher ist nur, dass wir da aus unserer Haltung heraus nicht nachlassen dürfen.

Ted Gaier: Der Kampf, der gesellschaftlich tobt, musste in eine Kunstform gegossen werden, das war die Schwierigkeit für uns als Band. Natürlich ist da etwas passiert, moralisch empörend, so dass Leute, die sich ansonsten politisch überhaupt nicht verstanden haben, plötzlich dachten, jetzt muss ich mich aber auch einmal als Künstler politisch engagieren. Dementsprechend hatte das seinen Abnutzungseffekt, danach sind wieder andere Themen in den ­Vordergrund getreten.

Man hat das Phä­nomen von Antifa-Gruppen, die in manchen Städten gut mit Geldern ausgestattet werden. Sie bekommen innerhalb der ­Institution ein ­Forum, um damit zu arbei­ten. Dann ist es aber auch nicht mehr so einfach, aus einer Haltung von ­Protest und Empörung heraus etwas zu sagen. In der Präventionsarbeit stellen sich Fragen eben noch mal ganz anders. Ich bin manchmal auf antirassistischen Grenzcamps, mache da Aktionen mit, und mir ist das dann nicht so fern. Für die Zitronen bleibt es dabei, die Berichterstattung aufrechtzuerhalten. Unsere Reak­tion nach dem ­Neonazi-Riot in ­Rostock-­Lichten­hagen war, die ­­­­Deutschland­­berichterstattung am Laufen zu halten. Diese wird mit dem Stück »Mittel­meer« oder »EU-Außengrenzen« in abstrakter Form auch fortgeführt. Und dann mit »Stimmungshochhalter«, da tauchen Verweise auf. Nicht locker zu lassen bei diesem Thema, das ist es, was unsere Relevanz ausmacht. Das sehen Bands wie Blumfeld anders, da sind andere Sachen in den Vordergrund getreten.

Gibt es ­eigentlich konkrete Auslöser für eine neue Platte oder heißt es einfach: Lasst uns mal wieder ein neues Album machen? Woher kommt eigentlich die Motivation?

Schorsch Kamerun: Die Band besteht schon eine ganze Weile, wir spielen Konzerte, gerade überlegen wir, zusammen mit Peter Ott ­einen Film über die Band zu produzieren. Wir haben im Jahr 2003 bereits eine Tour durch die USA gemacht, worüber es ja einen Film gab, den wir dann aus unterschiedlichen Gründen nicht gut fanden. Dann gucken wir, wann wir Zeit haben.

Es ist jetzt nicht so, dass da ein Ereignis stattfindet und es heißt: Ey Leute, jetzt müs­sen wir uns aber mal wieder treffen. Die oder die Aussage muss gemacht werden. Wir leben ziemlich zerstreut und brauchen einfach länger, um zusammenzufinden. Es ist gut, dass zwischen den verschiedenen Projekten immer eine größere Zeitspanne liegt, um gewisse Dinge zu sammeln. Wir waren eigentlich noch nie an dem Punkt, wo wir uns gefragt haben, ob wir weitermachen sollen oder warum es diese Band gibt. Das neue Album ist in drei Blöcken entstanden, das hat ein ganzes Jahr gedauert, bis es fertig war.

Wie funktioniert die Arbeit, wenn man über mehrere Orte zerstreut ist, wie einigt man sich auf ein Thema, wann spricht man dieselbe Sprache?

Ted Gaier: Wir müssen in Klausur gehen.

Mense Reents: Eigentlich geht das immer sehr schnell, dass man wieder zu einer gemeinsamen Sprache findet. Man trifft sich für eine Woche in einem Haus bei Lüneburg. Und nach ein paar Stunden ist dann die alte Spannung wieder da, und man hat sehr schnell Material, aus dem man schöpfen kann. Eigentlich waren es dann nur fünf, sechs Tage intensiver Arbeit.

Schorsch ­Kamerun: Es ist nicht so, dass einzelne Leute mit fer­tigen Songs kommen, die die Band dann produzieren würde. Wir kriegen es immer hin, dass wir uns zusammensetzen, und es kommt etwas dabei heraus. Man kann einfach sammeln und gucken, dass man dabei etwas macht. Im Fall »Lenin« war es so, dass wir zu den meisten Stücken erst nachträglich die Texte gemacht haben. Einzelne Stücke hätten Instrumentals werden können, dann hat man es aber geschafft, durch den Text und durch eine bestimmte Sprachhaltung ein Stück wie zum Beispiel »Mila« zu schaffen.

»Mittelmeer« ist ein Anti-Fernweh-Lied. Es bricht mit der deutschen Schla­gertradition, die dann auch noch mal durch die Neue Deutsche Welle aufge­griffen wurde, das Fremde zu romantisieren.

Schorsch Kamerun: Das Stück basiert auf einem Wirtschaftswunderschlager aus den Fünfzigern, der am Ende des Songs umgedreht wird.

Deutschsingende Bands benutzen ja gerne diese Reisemetapher.

Schorsch Kamerun: »Mendocino« und viele andere Schlager funktionieren über eine exotische Sehnsucht, so ein bisschen Deutsch-Südwest-Feeling.

Ted Gaier: Das findet sich auch bei Juli und solchen Bands, vielleicht weniger exotisch, »Mit Dir am Meer« und solche Sachen.

Ist jetzt wieder Battlerap gegen Blumfeld und Die Sterne dran?

Ted Gaier: Wir wollten mal sehen, wo der Hammer hängt und haben festgestellt, dass da kaum noch was korrespondiert. Wenn es Kontakte mit den Leuten gibt, dann auf persönlicher Ebene.

Der Song »Bürgermeister« nimmt Bezug darauf, wie Pop als Schlüsselindustrie genutzt wird und wie dann auch der hanseatische Wirtschaftssenator den Pop begreift.

Ted Gaier: Nehmen wir zum Beispiel das Brauhaus-Center, das auf dem Kiez entsteht. Das ist doch was für solche Arschgeigen, die den Kiez richtig umkrempeln.

Schorsch Kamerun: Da kommt die größte Werbeagentur Deutschlands hin, mit 600 Werbern.

Ted Gaier: Unser Drummer, der auch bei Lado arbeitet, wurde vom Sekre­tariat des Bürgermeisters angerufen und gefragt, ob es okay wäre, wenn der Bürgermeister zum Tocotronic-Konzert kommt. Es ist paradox. Das Stück handelt vom Vorhof der Macht, mit dem man dann, ob gewollt oder ungewollt, auf Premierenpartys konfrontiert ist.

Schorsch Kamerun: Ich habe neulich in Zürich im Schiffbau gespielt, da war der norwegische König nebst Gattin zu Besuch – ein wundervoller Moment. Da wurde Ibsen vorgetragen, woraufhin die norwegische Königin auf Deutsch eine Rede gehalten hat, bei der ihr Gatte dann eingeschlafen ist. Sehr bizarr.

Passiert es euch, dass Leute zu euren Konzerten kommen, mit denen ihr nicht so viel anfangen könnt?

Ted Gaier: Also der Bürgermeister kommt noch nicht zu uns, soweit ist es nicht. Die nächs­te Bürgermeister-Generation wird dann aber auch Gang Of Four geil finden.

Schorsch Kamerun: Man sagt ja, Gang Of Four seien die einflussreichste Band der Welt, aber vielleicht brauchen Ratsherren noch einen Augenblick dafür.

Auf dem Album gibt es einen Song über den verrückten schwarzen Musiker Wesley Willis. Ihr seid vor einigen Jahren mit ihm durch die USA getourt, als seine Vorband. Was hat euch dazu gebracht, ihm ein Denkmal zu setzen? Glaubt ihr, dass er nach seinem Tod vergessen wird, wenn nicht irgendwie an ihn erinnert wird?

Ted Gaier: Das war schon die Motivation. Zumal es auch anrührend war, mit ihm unterwegs zu sein. Wesley Willis war ja schizophren, der hatte drei Dämonen, die auf ihn eingequatscht haben.

Schorsch Kamerun: Ich glaube, dass es wahn­sinnig anstrengend ist, wenn du ständig die Dämonen im Kopf hast. Du bist in ständiger Angst vor der Angst. Er hat starke Medikamente genommen, die ihn auch sehr gegen die Wand gedrückt haben.

Ted Gaier: Wir konnten sehen, wie das im amerikanischen Gesundheitswesen funktioniert. Dass man in den Supermarkt geht und sich für viel Geld Psychopharmaka holt, um damit durchzukommen. Das ist eine fremde Welt. Es war einfach nötig, das mal zu einem Song zu verarbeiten.

Schorsch Kamerun: Es war bemerkenswert, mit Wesley Willis unterwegs zu sein, weil er als schwarzer Künstler in einem Umfeld aufgetreten ist, das auch uns bekannt ist, so Alternative Ten­tacles Punkrock, ausschließlich für Weiße. Es ging um die Frage, inwieweit Wesley Willis ein Freak, ein Elefantenmensch ist in dieser Wahrnehmung, inwieweit man ihn ernst nimmt. Die Leute haben ihn schon sehr geliebt und über ihn gelacht. Aber wenn dieser klobige Mann auf die Bühne kam, hat er genau das durchgezogen, was er wollte. Er war derjenige, der alles geregelt hat. Als er in Deutschland aufgetreten ist, gab es eher Missverständnisse. Im Ber­liner Ex war das Missverständnis größer.

Ted Gaier: Das Lustige war, dass das PC-Verständnis, dass man nicht lachen darf, in Deutschland viel stärker war. Im Ex wollten die Feministinnen nicht durchgehen lassen, dass er »Suck my Dick« sagt und haben ihn von der Bühne ausgebuht. Willis hat eine Krise gekriegt, weil die Feministinnen überhaupt kein Maß kannten und gar nicht sehen konnten, was er für einen Kontext hat.

Schorsch Kamerun: Es war auch ein Missverständnis. Man schafft es dann halt nicht, sich in den ganzen Komplex einzufühlen. Man muss sich die Mühe machen, genauer zu werden. Andererseits ist es auch mal okay, dass es zu einer Auseinandersetzung kommt, wenn jemand »Fotze« durch den Raum brüllt. Dann fragt man doch erst mal, was hier los ist. Aber man muss ihn in seiner Gesamtheit begreifen.

Ted Gaier: Was ich toll fand: Dass er sich behauptet hat, in dem ganzen Wahnsinn. Denn er ist, wie man so schön sagt, ein Fallbeispiel. Crack­dealende Mutter, ohne Vater, Stief­vater hockt im Knast wegen Mordes, der Cousin auch ein Mörder: Da liegt es auf der Hand, woher die Dämonen kommen. Er hat versucht, sich zu behaupten. Das fanden wir wichtig.

Schorsch Kamerun: Dass er sich nicht aufgegeben hat, war wichtig, dass da jemand eine Form gefunden hat, in der er darüber dealen konnte. Er ist jeden Abend auf die Bühne gegangen und ist unterwegs gewesen und hat es als den richtigen Weg empfunden: Ich mache Musik und kann mich so ausdrücken. Eigentlich hat das schon was, dass jemand sein Leben verhandeln kann und handeln kann.

Ted Gaier: Man braucht aber auch nicht zu verschweigen, dass er einem wahnsinnig auf die Nerven gehen konnte. Er hatte exzentrische Momente.

Wie ist denn bei euch? Ihr müsst euch ja auch auf die Bühne stellen und macht euch zum Clown, drückt damit etwas aus.

Schorsch Kamerun: Vollkommen richtig, obwohl es bei uns aus anderen Motiven geschieht. Wir gehen mit einer gewissen Erwartungshaltung an uns selbst auf die Bühne, und da steht ein Publikum. Im Grun­de genommen ist es schon ein gewisses Einverständnis in dem Moment. Vielleicht haben wir gar keine Lust, auf die Bühne zu gehen und etwas abzuliefern. Was macht man dann eigentlich? Man diszipliniert sich selbst in solchen Momente, um aufzutreten, das ist schon gar nicht so easy.

Ist das neue Album eigentlich auf so eine ausgefuchste Tanzbarkeit hin produziert? Die Spannung zwischen Band und Elektronik verändert sich.

Schorsch Kamerun: Wenn wir so denken würden, würden wir fürchterlich versagen. Das können wir einfach gar nicht.

Mense Reents: Ich finde nicht, dass sich da groß was reibt zwischen der Elektronik und den Instrumenten.

Es driftet weiter auseinander.

Schorsch Kamerun: Aber man kennt das doch, was da nebeneinander steht. Es sind keine großen Experimente drin, diesmal.

Der Rhythmus steht deutlich im Vordergrund.

Ted Gaier: Die Beats sind stoischer, das Taktmaß ist ein längeres, die Stücke sind nicht mehr so komprimiert. Wir haben dieses Mal gar nicht darüber diskutiert. Wir wollten in dem Haus bei Lüneburg nur ein paar Skizzen machen und waren selbst überrascht, wie weit wir waren.

Schorsch Kamerun: Vielleicht ist es tatsächlich Maschinenmusik, ohne dass es mit Maschinen eingespielt ist.

Mense Reents: Es ist eine andere Maschinenmusik als bei »Deadschool Hamburg«, da ist jetzt ein anderer Swing.

In dem Stück »Das sag ich dir nicht« hört jemand den Deutschlandfunk. Ist das so schlimm, den Sender zu hören?

Schorsch Kamerun: Der Song ist eine sehr authentische Groteske, er funk­tioniert wie ein Interview, das jemand wiedergibt. Und es geht darum, was man so multitasking-mäßig heute alles versucht. Um an Infos zu kommen, hört man eben auch Deutschlandfunk. Der Text basiert auf einem Interview mit zwei Frauen, und ich musste da noch was zwischen schnippseln.

Ted Gaier: Ich musste da schmunzeln, weil in meinem Bekanntenkreis mitt­lerweile alle Deutschlandfunk hören. Staatsfeinde hören das nun mal. Nicht FSK, sondern DLF.

Schorsch Kamerun: In dem Fall war es ein ehrliches Wiedergeben, tatsächlich echt: Ich nehme mir immer vor, auch mal was Seriöses zu hören. Genau wie am Schluss auch gesagt wird, die Nachricht mit den Gasengpässen hat mich nun doch getroffen. Dann hab ich aber gemerkt, wann betrifft es mich mal, oh Mann, nur wenn es mir mal selbst an den Kragen geht. Das ist aber wundervoll, da gibt es eine Authentizität, die stimmt, die man nicht aufschreiben kann. Es ist aus einem Interview mit zwei Schauspielerinnen, es geht da so um Identitätsfragen, und eben den Angeboten, den Möglichkeiten gerecht zu werden und daran zu scheitern, dass man am Tag zehnmal hin und herschwankt, das wird ja auch gefordert, das Flexible, das kennt jeder. Das scheint sich auch noch zu steigern. Die Leute wissen nicht, woran sie sich noch reiben können. Das scheint unser Vorteil zu sei: Dass wir uns wenigstens noch an unserer eigenen Geschichte reiben können.

interview: julian weber