Tag der Erleichterung

Nur wenige Iraker trauern um Zarqawi. Die neue Regierung ist jedoch nicht nur mit den ­verbliebenen Terrorgruppen, sondern auch mit der Ausbreitung der Milizenherrschaft ­konfrontiert. von thomas von der osten-sacken, suleymaniah

Als sich die Nachricht vom Ableben Abu Mu­sab al-Zarqawis im Irak zu verbreiten begann, drängelten sich Menschentrauben vor den Fernsehschirmen in den Cafés Suleymaniahs. Mit Erleichterung und Freude wurde das Ende des Führers der »al-Qaida im Zweistromland« aber nicht nur im kurdischen Nordirak aufgenommen. Auch in anderen Teilen des Landes, vor allem in Bagdad und dem schiitischen Süden, brach spontaner Jubel aus. Als dann der neue Premierminister Nuri al-Maliki gemeinsam mit dem US-Botschafter Zalmay Khalilzad auf einer Pressekonferenz bestätigte, dass Zarqawi nach einem US-Bombenangriff gestorben war, unterbrachen irakische Fernseh- und Radiostationen ihr laufendes Programm. Menschen auf der Straße gratulierten sich gegenseitig.

Dies sei der schönste Tag seit der Verhaftung Sad­dam Husseins, sagte eine Frau aus Bagdad dem Fern­sehsender al-Fayhaa. Andere wünschten Zarqawi in die Hölle und bedankten sich bei der irakischen Regierung und der US-­Armee für das Ende des im Irak meistgesuchten Terroristen.

Wie kein anderer symbolisierte der Jordanier palästinensischer Abstammung den täglichen Terror im Irak, der sich gleichermaßen gegen Koalitionstruppen, Schiiten, Kurden und alle richtete, die mit dem demokratischen Neuanfang im Irak sympathisierten. Unzählige Anschläge und Massaker gingen auf das Konto der irakischen al-Qaida, vom Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad im August 2003 über die öffentliche Enthauptung ausländischer Geiseln bis zu Massakern an schiitischen Irakern.

Zarqawis erklärtes Ziel war es, den Irak in einen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu stürzen. Mit ihm ist also nicht nur ein wichtiges Füh­rungsmitglied von al-Qaida getötet worden, son­dern auch die herausragende Symbolfigur des so ge­nannten Widerstandes im Irak, deren Vorbild Hunderte von Jihadisten aus allen arabischen Ländern in das Land gelockt hatte. Entsprechende Lobes­hymnen auf den Getöteten finden sich denn auch auf vielen islamistischen Internetseiten.

Im Irak dagegen schlossen sich nur we­nige der Trauer an, lediglich aus dem so genannten sunnitischen Dreieck, der Hoch­burg des Terrors im Irak, waren sympathisierende Stimmen zu vernehmen. Seit sich allerdings die wichtigsten sunnitischen Parteien im vergangenen Jahr entschieden haben, an der neuen Re­gierung teilzunehmen, wurde die Luft für al-Qaida im Irak dünner. Auch wenn andere irakische Widerstandsgruppen viel­leicht nicht in allem mit Zarqawi über­einstimmten, war er doch ihre effektivste Waffe im Kampf um mehr Einfluss. Vor allem der nicht endende Terror gegen Ausländer, irakische Zivilisten und Ölfördereinrichtungen zwang Schiiten, Kurden und die USA zu weitgehenden Zugeständnissen an die sunnitische Minderheit, die unter Saddam Hussein die Oligarchie des Landes stellte.

Lokale Stammesführer in der Provinz Anbar haben in einem Abkommen mit der irakischen Regierung zugesichert, sich an der Jagd auf al-Qaida zu beteiligen. Es wa­ren offenbar Insiderinforma­tionen, die die USA und die irakische Armee zum Aufenthaltsort Zarqawis führ­ten. Am vergan­genen Freitag hielten sich sunnitische Pre­diger auch auffallend zurück. Aus keiner bedeutenden Moschee wurde berichtet, es habe Trauerfeiern für Zarqawi gegeben.

Es war wohl auch kein Zufall, dass nur Minuten nach der Bekanntgabe des Todes Zar­qawis der Premierminister Nuri al-Maliki die neu ernannten Minister für Inneres, Verteidigung und nationale Sicherheit der Öffentlichkeit präsentierte. Seit Wochen stand er einer de facto hand­lungsunfähigen Regierung vor, da sich die Beteiligten nicht auf die Besetzung dieser Ministerien einigen konnten. Bislang scheiterte dies vor allem an Querelen zwischen schiitischen und sunnitischen Partei­en.

Mit der Ernennung von General Abdul Qader Mohammed wird künftig ein parteiloser Sunnit das Verteidigungsministerium leiten, der Schiit Jawad al-Bolani übernimmt von seinem umstrittenen Vorgänger Bayan Jabr das Innen­mi­nis­terium und Sherwan wird Minister für na­tio­nale Sicherheit. In ihren Antrittsreden versprachen alle drei Minister, künftig eng miteinander zu kooperieren und binnen Jahresfrist die Sicherheitslage im Irak spürbar zu verbessern. Es ist ein offenes Geheimnis im Irak, dass Koalitionstruppen und irakische Sicherheitskräfte für den Herbst Großoffensiven in Bag­dad und im sunnitischen Dreieck planen. Denn der Erfolg der neuen Regierung, die vor schier unlösbaren Aufgaben steht, wird vor allem daran gemessen, ob es ihr gelingen wird, die Sicher­heitslage zu verbessern.

Dass dabei die Rolle der Sunniten von zentra­ler Bedeutung sein wird, steht außer Frage. Nur Stunden nachdem die Nachricht von Zarqawis Tod verbreitet wurde, trat mit Adnan al Dulaimi, dem Vorsitzenden der Waqf-Partei, einer der prominentesten Sprecher der Sunniten vor die Presse und sicherte der neuen irakischen Regierung seine volle Unterstützung zu. Dulaimi gilt als Schlüsselfigur, ihm werden enge Beziehungen zu bewaffneten irakischen Untergrundorganisationen im sunnitischen Dreieck nachgesagt.

Am Donnerstag der vergangenen Woche ist es erstmals gelungen, einen der bekanntesten Führer von al-Qaida zu töten und damit deren Mythos der Unverwundbarkeit zu zerstören. Und zugleich wurde der Prozess der irakischen Regierungsbildung nach Monaten abgeschlossen. In den Wochen zuvor hatten Katastrophenmeldungen die Berichterstattung aus dem Irak dominiert, sei es der begründete Verdacht, US-Truppen hätten im vergangenen Jahr ein Massa­ker an Zivilisten in der Stadt Haditha angerichtet, seien es die kürzlich kolportier­ten Zahlen aus dem zentralen Leichenschauhaus in Bag­dad, das meldete, seit Anfang des Jahres seien über 6 000 Tote eingeliefert worden. Die meisten sind entweder Opfer des Kleinkrieges zwischen Sunniten und Schiiten in der Hauptstadt oder von einer der unzähligen kriminellen Banden im Irak umgebracht worden.

Daher wollten die Regierungen der USA und des Irak nicht zu viel Zuversicht verbreiten, bei­de betonten, dass die Gewalt im Irak weitergehen werde. Zu viele verschiedene Gruppen aus dem islamistischen Spektrum sind im Irak eben­so wie Anhänger des gestürzten Regimes Saddam Husseins noch aktiv. Zudem dürften auch die Nachbarländer des Irak, allen voran Syrien und der Iran, weiterhin versuchen, die Lage zu destabilisieren.

Viele Probleme aber sind hausgemacht. Immer größere Teile des Südirak geraten unter unmittelbare Kontrolle schii­tischer Milizen, die sich häufig offene Schlachten um Einfluss und terri­to­ria­le Kontrolle liefern, während in Bagdad islamistische Milizen in manchen Stadtvier­teln inzwischen offenen Tugendterror ausüben. Die Frage, die man sich im Irak stellt, lautet, ob es der neuen irakischen Regierung binnen Jahresfrist gelingen wird, den Terror und die Warlordisierung zumindest zurückzudrängen oder ob sie weiter in einer unheilvollen Mischung aus Korruption, Unfähigkeit und Parteienklientelismus versinkt. Der Tod Zarqawis, meint zumindest der neue Innenminister, sei zugleich ein Neuanfang im Irak.