Tschüss Deutschland: 15:1 für Schweden

Unihockey begeistert in Skandinavien die Massen. Deutschland ist seit der letzten Weltmeisterschaft in Schweden nur noch zweitklassig. von mathias liebing

Einfach groß machen, nur groß machen«, hat Patrick Schmidt gedacht, Sekundenbruchteile vor dem Moment, von dem er inzwischen als dem schönsten seines Lebens spricht. Malmö, Ende Mai, ein Mittwochabend kurz nach 20 Uhr: Der 25jährige Schmidt, Torhüter der deutschen Unihockey-Nationalmannschaft, hat bis da­hin alles richtig gemacht. Er hat in der für die Tor­warte dieser Sportart typischen Sitzhocke die Bewegung des Angreifers aufgenommen, den gelochten Plastikball am Stock seines Gegenübers begleitet und sich dann im seitlichen Fallen so groß gemacht, wie es nur irgend ging. Der Schuss landete in den Rippen des Torhüters. Schmidt konnte den Penalty des schwedischen Starspielers Daniel Calebsson abwehren und ist damit, laut Bundestrainer Renato Wyss, zu einem der Helden von Malmö geworden.

In den Minuten nach der Aktion ist Schmidt kaum ansprechbar. Deshalb verfolgt er vorsorglich den weiteren Verlauf des Gruppenspiels der Unihockey-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Schweden nun auch von der Ersatzbank. Es steht nach gut 30 gespielten Minuten, also etwa der Hälfte der Spielzeit, bereits 10:0 für die Skandinavier. Aber eben nicht 11:0, was allein Schmidt zu verdanken ist. Normalerweis hütet der beste deutsche Torwart den Kasten einer Mannschaft, die in der fünfthöchsten Liga Schwedens spielt. Der gehaltene Penalty wird an diesem Abend in Zeitlupe immer und immer wieder im Fernsehen ausgestrahlt.

Unihockey heißt das Spiel, das in Skandinavien bereits viel mehr als ein Modesport ist und sich am anschaulichsten als Eishockey in der Sporthalle beschreiben lässt. Jedoch sind sowohl die Stöcke als auch der Lochball aus sehr leichten Kunststoffen gefertigt, was das atemraubende Tempo der Hockey­variante ermöglicht. Außerdem ist das Regelwerk derartig übersichtlich, dass es auf das nötigste zusammengefasst in einer SMS erklärt werden kann. Wie im Eishockey stehen sich ein Torwart, der aber ohne Stock auskommen muss, und fünf Feldspieler auf einem von einer Bande umgrenzten Spielfeld gegenüber.

»Innebandy« – innerhalb der Bande – nennen die Schweden deshalb das im deutschen Sprachraum als Unihockey bekannte Spiel, das in Schweden längst Sportarten wie Eishockey, Handball oder Basketball den Rang abgelaufen und mittlerweile auch dem Fußball den Kampf angesagt hat. Eine halbe Million Schweden spielt täglich Unihockey, mehr bringen die Konkurrenzsportarten selbst in der Summe nicht auf die Beine. Es sind allen voran Kinder und Jugendliche, die die in Skandinavien rasend vor sich gehende Professionalisierung des Sports, der erst vor 35 Jahren von dem damaligen schwedischen Handballnationalspieler Karl-Ake Ahlqvist erfunden wurde, vorantreiben.

Verrückt nach Unihockey sind aber bei weitem nicht mehr nur die Skandinavier. Allein aus der Schweiz sind für die Finaltage dieser Weltmeisterschaft rund 1 000 Fans angereist. Begleitet wird die Schweizer Mann­schaft zudem von einem 15köpfigen Tross von Journalisten, der das stetig wachsende Interesse an der Sportart bei unseren Nachbarn bedient. Die ganz großen Stars des Unihockey kommen allerdings immer noch aus Skandinavien: Niklas Jihde etwa, dessen Trikot mit der Nummer 27 in schwedischen Kinderzimmerschränken ebenso häufig zu finden sein dürfte wie das des Fußballers Zlatan Ibrahimovic.

Die deutschen Nationalspieler können von solchen Bedingungen nur träumen. Zum Vergleich: Allein die edlen schwarzen Anzüge, ohne übrigens Schlipse und Hemden in die Rechnung mit einzubeziehen, kosten im Mannschaftssatz etwa 10 000 Euro – nur knapp das Dreifache gibt der deutsche Unihockey-Bund (DUB) in einem ganzen Kalen­derjahr aus. Karl du Roi, der Generalsekretär des Verbandes, sagt: »Das deutsche Unihockey trennen von der internationalen Spitze Welten.«

Diese Einschätzung trifft auch auf den sportlichen Leistungsstand des Teams zu, das sich etwa zur Hälfte aus Bundesliga­spielern und Akteuren rekrutiert, die mit einer deutschen Staatsbürgerschaft in Schwe­den oder in der Schweiz aufgewachsen sind: Die Mannschaft ist nach fünf Niederlagen aus fünf Spielen in die B-Gruppe abgestiegen.

»Der Abstieg ist aber alles andere als eine Katastrophe«, meint Dominik Steiger. Den Präsidenten des DUB erfreute allein schon das sympathische Auftreten der Nationalmannschaft. Das Team konnte als absoluter Außen­seiter mit seinem auf Torerfolge ausgelegten Spiel viele Freunde in der Welt des Unihockeys gewinnen. Das ist nicht mehr als ein kleiner Erfolg auf Steigers langem Weg: Er will Unihockey in den nächsten zwanzig Jahre zu der Hallensportart Num­mer eins in Deutschland machen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll das Spiel, wie bislang nur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Norddeutschland geschehen, in ganz Deutschland über die Kindergärten und Schulen Verbreitung finden. Steiger sagt: »Dies haben uns die Schweden und auch die Schweizer vorgemacht.«

Das Vorrundenspiel gegen Schweden endete übrigens 1:15. Und während Schmidt nach der Pressekonferenz in den Katakomben der Mal­möer Baltiska-Halle auf die frisch frisierten und in modischen Anzügen gekleideten schwedischen Nationalspieler traf, sprudelte die Freude aus dem 25jährigen noch einmal heraus. Er tänzelte auf den mit eingefrorener Miene vorübergehenden Daniel Calebsson zu und rief: »Der hat den Penalty verschossen!« Schmidt sieht Calebsson sonst nur im schwedischen Fernsehen oder aber aus reich­licher Entfernung, wie während des Finales in der Stockholmer Globe-Arena vier Tage später.

Der deutsche Torhüter, der als Koch im Hotel von Hans Mallwitz, einem der Betreuer der Na­tio­nalmannschaft, im mittelschwedischen Hagfors arbeitet, beobachtet gemeinsam mit dem Team, wie Calebsson auch im Endspiel wieder zum Penalty antreten muss. In einer der entscheidenden Situationen des Finales bleibt der schwedische Nationalspieler aber souverän und die Schweden können den zwischenzeitlichen Vorsprung der Finnen von drei Toren in eine 6:5-Führung verwandeln. Nach sechzig Minuten steht es dann 6:6. Die Entscheidung fällt in der achten Minute der Nachspielzeit, nachdem der finnische Verteidiger Peik Salminen seinem Gegenspieler in die Haare gegriffen hat und dafür eine Zwei-Minuten-Strafe absitzen muss.

Für die deutschen Nationalspieler geht es jetzt nur noch darum, die richtige Zoomeinstellung ihrer Foto-Handys zu finden. Dort, wo die Jihdes, Hellgards und Olofssons nach dem 7:6 nach Verlängerung gegen Finnland gerade im Funkenhagel und unter dem Jubel der 12 500 schwedischen Zuschauer den goldenen WM-Pokal überreicht bekommen, sind die Fritsches, Gahlerts und Schmidts sechs Stunden zuvor unter den Augen von etwa 120 Zeugen in die Zweitklassigkeit abgestiegen.