Heimlich im Widerstand

Hat das Kölner Verlagshaus M. DuMont Schauberg von Arisierungen profitiert? Der Verlag geht juristisch gegen Journalisten und Historiker vor, die das behaupten. von jörg kronauer

Von Zeit zu Zeit meldet sich der Chef zu Wort. »Kleinkrämerei beherrscht die Stadt«, schimpfte der 79jährige Alfred Neven DuMont, Aufsichtsratsvorsitzender des Verlagshauses M. DuMont Schauberg, kürzlich im Kölner Stadt-Anzeiger. Die jüngsten Parteiintrigen gingen ihm so langsam auf die Nerven. »Man wagt es gar nicht, die Defizite der Politik über all die Jahre aufzuzeigen.«

Das saß. Denn drei der vier Kölner Tageszeitungen gehören dem Familienunternehmen, und wer es sich mit ihm verscherzt, kann nur noch auf eine positive Berichterstattung in der Lokalausgabe der Bild-Zeitung hoffen. Alfred Neven DuMont, nach Informationen des Manager-Magazins im Besitz von 750 Millionen Euro, über lange Jahre Präsident der örtlichen Industrie- und Handelskammer und seit dem Jahr 2001 Ehrenbürger der Stadt, ist jemand, an dem man in Köln nicht vorbeikommt.

Doch der Kölner Historiker Ingo Niebel hat es kürzlich trotzdem gewagt, einen Mythos anzukratzen, den Neven DuMont seit Jahrzehnten zu wahren sucht: Der besagt, dass die Mitglieder der Verlegerfamilie, insbesondere Alfreds Vater Kurt, der ab 1933 gemeinsam mit dem Vetter August Inhaber des Familienunternehmens war, zur Zeit des Nationalsozialismus heimliche Widerständler gewesen seien. Niebel hat Dinge herausgefunden, die diesen Mythos in Frage stellen, und sie im Februar öffentlich vorgetragen. Nach seinen Erkenntnissen gerieten mehrere Grundstücke in bester Lage, die noch 1938 jüdische Eigentümer hatten, 1941 in den Besitz von Neven DuMont. Alfred Neven DuMont sah mit Niebels Darstellung die Familienehre verunglimpft und ging juristisch gegen den Historiker vor.

Der sachliche Kern der Forschungsergebnisse ist inzwischen gerichtlich bestätigt. Verschiedenen Ge­richtsurteilen zufolge erzählt sich die Geschichte so: Alfreds Mutter Gabriele Neven DuMont erwarb im Oktober 1941 ein Grundstück im noblen Kölner Stadtteil Marienburg. Der vorherige Besitzer Albert Ottenheimer, ein Kölner Kaufmann jüdischen Glaubens, war 1937 emigriert. Den Kaufpreis in Höhe von 29 130 Reichsmark zahlte Gabriele DuMont an einen so genannten Abwesenheitspfleger. Albert Ottenheimer erhielt nichts – sein Vermögen war aufgrund von NS-Bestimmungen eingezogen worden.

Doch das ist noch nicht alles. Bereits am 23. März 1941 hatte Gabriele Neven DuMont drei Grundstücke in der Breiten Straße erworben, einer der besten Adressen im Zentrum der Stadt. Sie gehörten im Jahr 1938 Fritz Brandenstein, der damals in das Konzentrationslager Dachau gebracht worden war. Im selben Jahr gelangte der Kölner Ver­sicherungskonzern Gerling in ihren Besitz, drei Jahre später verkaufte er sie an Gabriele Neven DuMont weiter. Ein dritter Fall: Die »Versorgungskasse für die gegen Gehalt Angestellten der Firma M. DuMont Schauberg«, eine rechtlich unabhängige Organisation, hatte 1938 ein Grundstück im Kölner Süden von Emil Lippmann erworben. Auch er war Jude und entsprechenden Maßnahmen der NS-Behörden ausgesetzt.

Wie darf man die genannten Eigentums­übertragungen bezeichnen? Darf man sie – es liegt ja nahe – Arisierungen nennen? Das ist die Frage, die man sich in der Kölner Öffentlichkeit seit Monaten kaum noch zu beantworten traut. Die Neven DuMonts haben inzwischen reihenweise einstweilige Verfügungen gegen Journalisten beantragt, die über das Thema informierten; vor Gericht geht es um angebliche Äußerungen des Historikers Niebel in seinen Vorträgen und um Artikel der FAZ, des Spiegel und des linken Internetportals Neue Rheinische Zeitung, die mit ihrer Wortwahl die Persönlich­keitsrechte der Neven DuMonts verletzt haben sollen. Einige einstweilige Verfügungen hat das Kölner Landgericht inzwischen bestätigt – zum Entsetzen der Betroffenen wie auch außenstehender Beobachter. Zuletzt urteilte es am Mittwoch der vergangenen Woche, dass die einstweilige Ver­fügung gegen einen Artikel Niebels in der FAZ wei­terhin gilt.

Nach Ansicht des Gerichts darf man die Begriffe »Arisierungsprofite« oder »Profitieren von Arisierungen« im Zusammenhang mit den geschilderten Eigentumsübertragungen nicht verwenden. Damit könne, so heißt es in einer Begründung, der Eindruck entstehen, »als sei es zu einer nach heutigen Maßstäben unrechtmäßigen Bereicherung (…) an fremdem – jüdischem – Vermögen der­gestalt gekommen, dass unter Ausnutzung der seinerzeitigen Zwangslage der Juden (…) Grundstücke ohne adäquaten Gegenwert erworben wor­den seien«.

Dass der Gegenwert »adäquat« gewesen sei, bekräftigen die Neven DuMonts mit Verweis auf die damals üblichen Grundstückspreise hartnäckig, und das haben – Überraschung! – auch die Zeitun­gen ihres Verlagshauses recherchiert. Die antisemitische Gesetzgebung und der seit 1933 wachsen­de Druck auf die jüdische Bevölkerung sollen bei der Beurteilung der Verkäufe offenbar keine Rolle spielen. »Hans Filbinger lässt grüßen mit seiner Devise: ›Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein‹«, kommentierte Peter Kleinert von der Neuen Rheinischen Zeitung.

Auch Ingo Niebel ist konsterniert. »Die Frage ist, ob in Zukunft Historiker und Journalisten in entsprechend belegten Fällen werden sagen dürfen: ›Herr oder Frau XY hat von der ›Arisierung‹ profitiert‹, oder ob sie damit Persönlichkeitsrechte verletzen«, sagt der Historiker. »Die Tatsache, dass ein historisches Thema bisher nicht wissenschaftlich, sondern juristisch aufgearbeitet wird, wirkt immer äußerst hemmend. Unter Umständen könnten wir Gefahr laufen, dem Revisionismus Tür und Tor zu öffnen.« Das geschehe ohnehin schon, meint Wolfgang Dreßen, der Leiter der Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf, der vor Jahren mit einer Ausstellung über die Arisierungen im Rheinland für Aufsehen sorgte. »Jetzt ist Neven DuMont das Opfer, wie auch die Dresdner die Opfer waren«, sagt er mit Bezug auf die Debatte über die Kriegs­führung der Alliierten gegen Deutschland.

So mancher fühlt sich wegen der Kölner Rechtsprechung in den Mief der Ära Adenauer zurückversetzt. Aber immerhin mussten die Neven DuMonts öffentlich zugeben, dass der damalige Kon­zerninhaber Kurt Neven DuMont am 1. Mai 1937 in die NSDAP eintrat. Dabei ist längst viel mehr bekannt. Die Kölnische Zeitung hatte sich bereits am 1. Januar 1933 vorsichtig für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP ausgesprochen. Das Blatt aus dem Hause M. DuMont Schauberg konnte bis in die Endphase des Zweiten Weltkriegs hinein erscheinen, als die anderen Zeitungen längst verboten waren. Im Sommer 1944 erhielt der Verlags­leiter Kurt Neven DuMont das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse mit Schwertern.

Das alles und vielleicht noch eine ganze Menge mehr könnte der Historiker Manfred Pohl noch einmal »enthüllen«, der kürzlich vom Verlagshaus beauftragt wurde, die Geschichte des Konzerns aufzuarbeiten. Jedenfalls wenn Alfred Neven DuMont von einer seiner Gewohnheiten keinen Gebrauch macht: »Auch als Herausgeber rede ich immer noch rein und quer«, zitierte ihn kürzlich das Handelsblatt.

Und wenn die Kölner Gerichte der historischen Forschung eine Chance geben. Denn schließlich könnte man es ja als ehrenrührig betrachten, wenn da etwa behauptet wird, Kurt Neven DuMont habe 1944 ein Verdienstkreuz erhalten. Vielleicht wird Pohl feststellen müssen, es habe ein Austausch von »adäquaten Gegenwerten« auf streng gesetzlicher Basis stattgefunden. Denn dass es illegal sei, einen Orden anzunehmen, wird ja wohl niemand behaupten.