Bye, bye Mogadishu

Die Union Islamischer Gerichte hat die Vorherrschaft über Südsomalia gewonnen. Zu ihrem Sieg hat die Politik der USA beigetragen. von ruben eberlein

Die Waffe regiert heute Somalia, meine Waffe ist mein Geschäftswerkzeug«, sagte Bashir Aden Ibrahim. Sein Arbeitsplatz war einer der ungezählten Kontrollpunkte in der Hauptstadt Mogadishu, an denen für die Durchfahrt eine Gebühr abgepresst wird, die die einen Steuer und andere Schutzgeld nennen. »Unsere Clanältesten fordern uns von Zeit zu Zeit auf, die Kämpfe einzustellen«, erzählte der Milizionär. »Doch sie haben kein Geld, im Gegensatz zu unseren Milizenführern. Also folgen wir jenen mit Geld.«

Bashir, der im November 2004 der BBC über seine Tätigkeit Auskunft gab, hat seinen Arbeitsplatz inzwischen vermutlich eingebüßt. Anfang Juni wurden sein Arbeitgeber und dessen Konkurrenten, vier einflussreiche Warlords, aus Mogadishu vertrieben. In den seit Februar andauernden Kämpfen mit einer Allianz von Milizen, die der Union Islamischer Gerichte (UIC) unterstehen, mussten sich die Kriegsherren vorerst geschlagen geben. Auch nahe gelegene Provinzstädte wurden Mitte vergangener Woche von der UIC eingenommen. Hunderte Menschen kamen bei den bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben, Tausende wurden verletzt oder vertrieben. Dass die isla­mischen Milizen an die Stelle der Warlords und ihrer Truppen traten, wurde Medienberichten zufolge von den meisten Bewohnern Mogadishus und anderer Städte enthusiastisch begrüßt.

Ein integrierter Staat Somalia existiert seit dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahre 1991 nicht mehr. Die nordwestliche und die nordöstliche Re­gion haben sich vom südlichen Teil des Landes, in dem Mogadishu liegt, abgespalten und bemühen sich vergeblich unter den Namen Puntland beziehungsweise Somaliland um internationale Anerken­nung. Im Süden verhält es sich genau umgekehrt: Die nominell souveräne Föderale Übergangsregierung (TFG) ist diplomatisch anerkannt, sie verfügt jedoch nur über minimale Autorität im stark von Clan­loya­litäten geprägten Somalia und residiert in Baidoa, mehr als 200 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt.

Durch die Aufnahme der vier Warlords Moga­di­shus in die Übergangsregierung Mitte vergangenen Jahres sollte eine Ausdehnung des TFG-Einflussgebietes erreicht werden. Doch nach der Vertreibung ihrer Milizen aus Mogadishu wurden die Warlords ohne großes Federlesen aus der Regierung geworfen. Die Entlassung begründete der Premierminister mit deren Aktivitäten in der so genann­ten Allianz für die Wiederherstellung von Frieden und Anti-Terrorismus (ARPCT).

Die Warlords in der ARPCT gingen beim Angriff auf Mogadishu im Frühjahr auch gegen die elf islamischen Gerich­te der Union und deren Milizen vor. Dass große Teile der Bevölkerung die Rechtssprechung nach den Richtlinien der Sharia der Gangsterherrschaft der Warlords vorziehen, war eine Gefahr für deren Vorherrschaft. Darüber hinaus war die Ermordung oder Entführung vermeintlicher oder tatsächlicher Jihadisten offensichtlich über Jahre ein lohnendes Geschäft.Einer Reihe von zuverlässigen Berichten zufolge statteten Teile der US-Regierung die ARPCT mit Waffen, strategisch wichtigen Informationen und Geld aus. Tonangebend waren dabei das Verteidigungsministerium und das Präsidialamt, während sich opponierende Beamte des Außenministeriums auf verlorenem Posten sahen. Ob eine am Donners­tag vergangener Woche eingerichtete Somalia-Kontaktgruppe, zu der neben den USA auch europäische und afrikanische Staaten gehören, eine Abkehr von dieser Politik mit sich bringen wird, ist fraglich.

Die lokalen Gerichte und deren Union entstanden nicht zuletzt als Reaktion auf die gewalttätige Herrschaft der »säkularen« Milizen. Sie sind jedoch auch ein ideales Feld für die Verbreitung islamistischer Ideen und die Werbung für den Ji­hadismus. Einige ihrer prominenten Ak­teure sind ebenso auf offiziellen US-ame­rikanischen Listen der »most wanted« ver­zeichnet wie islamische Organisationen und Unternehmen. Unter ihnen finden sich al-Ittihaad al-Islaami und die we­niger bekannte al-Takfir wal-Hijra. Be­obachter sind sich uneinig über den Einfluss der Jihadisten in Somalia, betrachten das Land jedoch einmütig als wichtigen Stützpunkt für den internationalen islamistischen Terrorismus.

Ende der neunziger Jahre, als al-Qaida noch ein relativ hierarchisch strukturiertes Netzwerk war, erwiesen sich somalische Zellen als besonders umtriebig. Unter anderem gehen die Anschläge auf die US-amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998, die Bombardierung eines überwiegend von Israelis frequentierten Feriendomizils und der gescheiterte Abschuss eines israelischen Passagierflugzeuges in Kenia im Jahr 2002 auf das Konto der dort aktiven Jihadisten aus aller Welt.

Dennoch ist es falsch, die islamischen Gerichte Mogadishus und ihre Milizen generell mit den Gotteskriegern gleichzusetzen. Die starke öffentliche Unterstützung für die Sharia-Gerichtbarkeit und anti­ameri­kanische Ressentiments speisen sich auch aus dem Hass gegen eben jene Gewalttäter, derer sich das Verteidigungsministerium und das Präsidialamt der USA bei der Verfolgung der Islamisten bedient. Der Jubel über den Sieg der Union Isla­mischer Gerichte gleicht jener schnell verflogenen Euphorie in Afghanistan nach dem Sieg der Taliban. Bestrafungen, wie etwa das Abhacken von Händen, die vom Islamischen Gericht angeordnet wurden, werden von Somalis abgelehnt, die an einem moderaten Islam interessiert sind. Eine Alterna­tive jenseits von Islamisten und Warlords gibt es jedoch derzeit nicht.

John Prendergast, langjähriger Berater des Think Tanks International Crisis Group und ehemaliges Mitglied des Nat­io­nalen Sicherheitsrates unter Bill Clinton, kritisierte in der Washington Post die Poli­tik Bushs: »Die Fortsetzung der momenta­nen Strategie würde bedeuten, dass US-amerikanische Interessen und die Interessen anderer Länder in der Region gefährlich verletzbar blei­ben gegenüber terroristischen Anschlägen aus diesem kollabierten Staat heraus.«

Die von Prendergast favorisierte Lösung, einen Wiederaufbau des Staates auch mit Hilfe USA, offenbart das ganze Dilemma, dem sich die wohlmeinenden Verfechter des »nation ­building« gegenübersehen: Die staatliche Verfasstheit gilt Millionen Somalis in den Städten wie auch den viehzüchtenden Noma­den und Bauern auf dem Lande als eine allein durch die Großmächte legitimierte Gewaltherrschaft. Diese Sichtweise können sie mit einer Reihe von persönlichen Erfahrungen begründen. So kostete die Intervention ausländischer Truppen Anfang der neunziger Jahre mehrere tausend Zivilisten das Leben. Von einer Regierung, in der diejenigen den Ton angeben, die bereit sind, mit Mördern und anderen Gewalttätern zu paktieren, werden sie sich jedenfalls nicht von den Vorzügen des Parlamentarismus überzeugen lassen.