Tänzerin gesucht

Die bulgarische zeitgenössische Kunst nimmt sich neuerdings auch sozialer Themen wie dem Frauenhandel an. von jutta sommerbauer

Der Handel mit Frauen ist unsichtbar, geschieht im Dunkeln, um seine Modalitäten ranken sich unzählige Gerüchte. Die Geschichten der Opfer hingegen sind bekannt, ihre Aussagen klingen irgendwie immer schon vertraut: das Mädchen aus Moldawien, Albanien, Bulgarien, das ahnungslos auf eine Anzeige reinfällt; das von ihrem Freund verkauft wird; das unter falschen Vorwänden nach Westeuropa gelockt wird.

Frauenhandel wird mittlerweile von einer ganzen Riege von NGOs, Sozialwissenschaftlern, Journalisten und Polizisten verwaltet. In Bulgarien, einem »Ausgangs-, Transit- und Zielland für Frauen und Mädchenhandel«, so ein kürzlich veröffentlichter Bericht des US-Außenministeriums, ist Menschenhandel zum Thema der künstlerischen Auseinandersetzung avanciert. Warum auch nicht. Die Frage ist jedoch, ob die Kunst in der Lage ist, mehr Licht ins Dunkel zu bringen oder ob sie lediglich bestehende Mythen fortschreibt?

»It was always dark outside« ist der Titel eines Projekts der in Wien lebenden bulgarischen Künstlerin Borjana Ventzislavova, das derzeit in Sofia gezeigt wird. Ihre multimediale Installation und ihre Fotografien setzen sich mit der Frage auseinander, wie das Thema visualisiert und die Frau dargestellt werden kann, ohne dass der voyeuristische Blick bedient wird. Aus diesem Grund fehlen auf den Fotografien die Frauen, ihre Darstellung wird schlicht und einfach verweigert. Zu sehen sind lediglich ihre Arbeitsplätze. Räume, in denen Sex verrichtet wird. Es sind Aufnahmen von Zimmern, die kahl und nackt, aber immer mit einem Sinn fürs Praktische eingerichtet sind. Da gibt es die Nasszelle neben dem Bett, verfliest, Küchenkrepp und Handtücher liegen stets bereit.

Präsentiert werden aber auch die Geschichten der Frauen. Den zweiten Teil des Projektes bilden vier schwarz ausgekleidete Kojen, in die sich die Besucher zurückziehen können. In diesen Kabinen werden die Geschichten der Frauen geschildert, die Originalstimme ist durch die einer Sprecherin ersetzt. Da ist etwa die 21jährige Nadja, die, nachdem sie das Tourismuskolleg am Schwarzmeerstrand aufgibt, als Tänzerin in Bars arbeitet und schließlich von ihrem Businesspartner namens Rossen verkauft wird. »Er bot mir an, dasselbe in Deutschland zu tun, wo wir mehr Geld verdienen würden. Eines Tages fuhr ich mit zwei Typen nach Deutschland und kam darauf, dass Rossen mich für 100 Dollar verkauft hat.«

Nadja Koshuharova ist Psychologin und arbeitet bei der Organisation »Animus« im Bereich Prävention von Frauenhandel. Der Handel mit Menschen verändert sich laufend, sagt sie, er werde »immer intimer«. Die Händler oder Vermittler treten ins Privatleben der Frauen – als Bekannte, Freunde, Partner, und dementsprechend schwierig sei es festzustellen, ob und ab wann die Betroffenen zum Opfer werden oder ob sie freiwillig als Prostituierte arbeiten.

Als sie vor drei Jahren mit der Arbeit an dem Projekt begonnen habe, sei es noch kein Trendthema gewesen, erzählt Ventzislavova, der der Medienrummel um ihre Person sichtlich unangenehm ist. In den letzten Wochen habe es Einladungen ins bulgarische Fernsehen und Radio gehagelt. Das Problem: In den Medienberichten wird zwischen Menschenhandel und Prostitution kein Unterschied gemacht, wer sich prostituiert, ist grundsätzlich »selber schuld«. Zudem umfasst Menschenhandel weit mehr als nur Prostitution, in vielen Branchen existieren sklavenähnliche Ausbeutungsverhältnisse, die von der UN-Menschenrechtskonvention als »Menschenhandel« eingestuft werden.

Dass sich Kunst mit Zwangsprostitution beschäftigt, ist für die Öffentlichkeit eine neue Erfahrung. »Für mich war es wichtig, dass so ein Thema hier in die Galerien kommt«, sagt die Künstlerin. Zu Beginn der neunziger Jahre wusste man in Bulgarien nur wenig über Frauenhandel. »Auch wir haben davon erfahren, als wir auf internationalen Konferenzen eingeladen wurden«, erzählt Nadja Koshuharova.

Mit der hiesigen Kunstszene sei es so ähnlich wie mit der bulgarischen Politik, erklärte Boris Kostadinov, Chefredakteur der Lifestylezeitschrift Intro, unlängst auf einer Diskussionveranstaltung. Damit sich etwas ändere, benötigten die Künstler Druck von außen. Während die westeuropäische zeitgenössische Kunst eine Tradition des sozialen Engagements besitze, würden sich die bulgarischen Künstler erst seit kurzer Zeit mit diesen Dingen beschäftigen; nicht zuletzt deshalb, weil Fördergelder gezielt für diese Thematiken bereit stünden.

Damit hat Kostadinov den derzeitigen Produktionskontext von zeitgenössischer Kunst in Bulgarien treffend umrissen. Projekte, die bei sozialen Konflikten oder bei Theorie-Diskursen ansetzen, sind neuerdings gefragt. Allerdings setzen häufig nicht die Künstler selbst die Themen, sondern europäische Institutionen und NGOs. Der »engagierte Künstler« ist ein Produkt der Demokratisierungs- und Zivilgesellschaftspolitik internationaler Organisationen.

In einer zweiten derzeit in Sofia präsentierten Ausstellung bekommt man einen Einblick in diese Formen der Kooperation von Zivilgesellschaft, Kunst und Sponsoren in Südosteuropa. Auch bei diesem Projekt geht es um das Thema Menschenhandel. In dem Video-Projekt hat die NGO Care Künstler in den Dienst der guten Sache gestellt. In den neun Filmen zeigt sich aber vor allem, dass Auftragskunst nicht immer die interessantesten Ergebnisse schafft. Vieles erinnert an Schülerarbeiten, die nach dem Motto »Was fällt uns zum Thema ein?« angefertigt wurden. Der Problematik des Frauenhandels werden sie nicht ansatzweise gerecht.

In Alla Georgievas Trickfilm hopsen Mäd­chen in kitschigen Folklorekostümen vor grellem Hintergrund auf dem Bildschirm herum, unterlegt mit dem bulgarischen Folklorelied »Lele Jano«. Die Schriftzeile »Jana und Gergana warten auf dich« wird eingeblendet. Die Schürzen der Zeichentrickfiguren werden gelüftet, und darunter verbergen sich Strapse und rote Höschen. »Bulgarische Souvenirs« hat die Künstlerin ihre Arbeit genannt.

Nadezhda Oleg Ljahovas Video über einen angeblichen »Job als Galeristin« ragt aus dem Sammelsurium heraus. Im Clip wird eine fingierte Geschichte nachgestellt. Nadezhda Oleg Ljahova lotet in ihrer Videoarbeit subtil die Grenzen aus, die junge Frauen bei der Jobsuche zu ziehen in der Lage sind. Wann werden die Mädchen misstrauisch? Das Skript: In Anzeigen sucht eine Zürcher Galerie junge, hübsche, kunstbegeisterte Mädchen aus Sofia für Jobs in Zweigstellen in Thessaloniki und Syrakus. Interessierte Studentinnen melden sich, werden in Bewerbungsgesprächen ausgewählt und müssen probeweise einen weiblichen Akt an einen männlichen Kunden verkaufen. Eine Off-Stimme kommentiert ironisch das Real-Life-Experiment. Am Schluss werden die »Bewerberinnen« dann über das Experiment aufgeklärt und gefragt, ob sie schon einmal etwas von Frauenhandel gehört haben? Ja, haben sie. »Mit diesen Dingen muss man vorsichtig sein«, sagen sie. Dieser Arbeit gelingt eine feine, treffende Kritik: »Die Kunst – ein Bindeglied zwischen den Städten der Welt«, sagt die Stimme am Schluss sarkastisch. »Aber ich denke mir: Die echten Galerien befinden sich in Zürich.«

»It was always dark outside« ist bis 2. Juli in der Städtischen Galerie sowie bis 30. Juni im Roten Haus in Sofia zu sehen.

Die Ausstellung »Menschenhandel: neun Positionen« läuft bis 6. Juli im Roten Haus in Sofia.