»Es geht darum, ehrlich zu sein«

Rodney P

Während der Fußballweltmeisterschaft lud die Kampagne »Gemeinsam für Afrika«, ein Zusammenschluss von 29 international arbeitenden NGO, Künstler aus aller Welt in das »Puma-WM-Quartier« im Berliner Café Moskau ein. Unter anderem gastierten hier der Rapper Rodney P und dessen Partner Skitz.

Rodney P gehört seit den achtziger Jahren zu den führenden HipHop- Musikern in Großbritannien. Heute moderiert er zusammen mit Skitz die Sendung »Original Fever« auf BBC 1Xtra. Im vergangenen Jahr drehte er eine Dokumentation über die Musik­szene im westafrikanischen Sierra Leone. Mit ihm sprach Ruben Eberlein.

Deine Musik ist eine bunte Mischung aus HipHop, Ragga, Breakbeats, Roots Reggae und anderen Stilen. Wie würdest du sie selbst beschreiben?

Allen voran ist sie die Musik, die ich selbst mag. Das ist die einzige Regel bei der ganzen Sache. Es geht nicht darum, ob dich dies oder jenes ins Radio oder in die Charts bringt. Wenn es gut läuft, baust du eine Fangemeinde auf, die versteht, was du machst, und mit dir auf die Reise geht. In der Musikindustrie wird viel Zeit mit Marketing und Promotion vergeudet, aber für mich ging es immer um die Musik.

Wohin wird dich diese musikalische Reise noch führen?

Sie kann überall hinführen, und ich hoffe, dass ich das niemals im Voraus wissen werde, weil ich Spaß an der Überraschung habe; Spaß an dem, was als nächstes kommt. Aber meine Grundlage bleibt der HipHop. Das ist die Musik, die ich gehört habe, als ich zwölf, 13 Jahre alt war, also in der Zeit, in der du danach suchst, wie du dich am besten ausdrücken kannst. Deine Schwestern und Brüder hören eine bestimmte Musik, deine Mutter hört etwas anderes, und du willst etwas Eigenes. Da habe ich HipHop entdeckt, und das ist immer die Basis meiner Arbeit geblieben.

Deine Texte handeln nur selten vom Kiffen und überhaupt nicht davon, in dicken Wagen herumzufahren und zu zeigen, wie toll man sich fühlt, sondern oft von alltäglichen Problemen. Begreifst du dich als politischen Künstler?

Nein. Ich versuche nur, ehrlich zu sein. Die Themen haben sich natürlich über die Jahre geändert. Meine erste Platte habe ich mit 15, 16 Jahren gemacht, und da war ich anders drauf. Ich hab’ jede Menge Texte über Gras und Mädchen gemacht, jede Menge. Aber wenn du älter wirst und deine Persönlichkeit reift, verstehst du dich selbst besser, und deine Themen ändern sich.

Aber die meisten Rapper erzählen weiterhin von schnellen Autos und vielem Geld.

Dennoch würde ich heute, mit fast 40, keinen 18jährigen nur deshalb niedermachen, weil er darüber rappt, wie viele Mäd­chen er schon hatte. Das ist eben der Punkt, an dem er angelangt ist. Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, wird sich das im Laufe seiner Karriere ändern.

Es geht vor allem darum, ehrlich zu sein. Es geht darum zu repräsentieren, was man selbst ist, glaubt und denkt. Ich bin ein sozial denkender Mensch und rappe deshalb über soziale Themen, auch wenn es kein Programm gibt, an dem ich mich orientieren würde. Ich habe auch gar nicht vor, ein Sprecher der Menschen zu sein. Wenn du meine Texte hören willst, bekommst du zu hören, was ich denke.

Ehrlich zu sein, kommt nicht immer gut an.

Klar, es ist schwierig. Aber für mich ist Musik immer Therapie gewesen. Ich bin es, der diese Therapie braucht, für meine eigene geistige Gesundheit muss ich Musik machen. Wenn du es nicht magst, kaufst du es einfach nicht.

Du hast zweimal Sierra Leone besucht. Was zog dich in dieses kriegszerstörte Land?

Ich habe eine enge Beziehung zu Sierra Leone und kenne dort eine Menge Leute. Ich weiß, wie hart das Leben dort ist. Es ist wichtig, dass wir ihre Geschichten erzählen, damit andere erfahren, was dort passiert. 1993 war ich zum ersten Mal in Sierra Leone, auf Einladung des Künstlers Jimmy B. Zu dieser Zeit habe ich noch bei London Posse gespielt. Zwölf Jahre später bin ich wieder dorthin gefahren, um einen Dokumentarfilm darüber zu drehen, wie Musik die Gesellschaft beeinflussen kann. Viele Künstler in Sierra Leone sind politisch und sozial sehr engagiert.

Wie siehst du die heutige Situation im Land?

Es ist hart dort, Mann, hart. Das erste Mal, als ich dort war, war gerade die Diktatur vom Militär gestürzt worden. Die Stimmung war sehr progressiv, sehr optimistisch. Es brach mir das Herz, als danach der Krieg mit all seinen Gräueltaten zurückkehrte. Die Zukunft, die die Menschen damals geplant hatten, wurde ihnen geraubt. Jetzt müssen sie wieder von vorn anfangen. Aber die Menschen sind dazu bereit. Solange du dazu bereit bist, aufzustehen und für das zu kämpfen, was du für richtig hältst, hast du eine Zukunft. Darum geht es heute in Sierra Leone.

Welche Bedeutung hat dort die Musik?

Es gab nach dem Krieg ein Vakuum. Die Politiker repräsentierten die Menschen nicht mehr. Die Künstler taten das. Leute wie Daddy Saj, Emmerson oder die Jungle Leaders sangen zum Beispiel über Korruption oder die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, über Sachen also, über die sonst niemand redete. Und sie haben eine Wirkung, sie erreichen die Menschen.

Worin bestehen die größten Unterschiede zu westlichen Ländern?

Der größte Unterschied ist wohl, dass die Musikindustrie dort gerade erst dabei ist zu entstehen. Deshalb ist die Musik noch nicht so durch den Materialismus verdorben. Den amerikanischen HipHop zum Beispiel will dort kaum einer hören, der erscheint frivol, weil er nichts mit dem täglichen Leben der Leute in Sierra Leone zu tun hat. Es ist ja auch lächerlich, in einem Land wie Sierra Leone über deine dicke Goldkette und dein Auto zu rappen. Trotzdem schleichen sich solche Sachen ein, und die Kids interessieren sich auch dafür. Aber ich glaube, dass Sierra Leone zu arm ist für diese Art von törichten Texten.

In Washington gab es vor kurzem erstmals eine große Demonstration, die auf die Massaker und den Krieg im Sudan aufmerksam machen sollte. Wächst im Norden ein Interesse für die Dinge, die in Afrika passieren?

Ich lebe in London. Lange Zeit wohnten Leute mit unterschiedlichen migrantischen Hintergründen in ihren jeweiligen Vierteln. Doch die heutigen Jugendlichen leben anders, die Communities sind viel gemischter. Und das zeigt sich in der Art, wie die Menschen denken.

Die Leute sind nicht nur interessierter an Afrika, sondern auch in anderen sozialen und politischen Belangen. Sie werden sich bewusst, dass sie nicht unbedingt all dem Glauben schenken dürfen, was sie täglich hören. Das ist eine globale Entwicklung, denke ich. Die Lügen, die uns erzählt wurden, sind offensichtlich. Vielen wird das klarer. Und das ist gut so, weil es Anlass dazu gibt, Fragen zu stellen.

Ein Beispiel?

Zum Beispiel erleben wir ein Erstarken von nationalistischen und faschistischen Strömungen in Großbritannien, die während der achtziger Jahre abgeflaut waren und nun zurückkehren. Je stärker der Nationalismus wird, desto stärker wird die Verteidigung gegen diesen Nationalismus. Die Leute müssen mit dem Umstand klarkommen, dass sie in ihrer eigenen Community nicht mehr sicher sind.

Die rassistischen Attacken und die Angriffe auf Muslime aus allen Richtungen sind Dinge, die die Menschen zu Boden drücken, sie in eine Ecke drängen und sie zu der Einsicht kommen lassen: Ich komme nicht umhin, mich selbst zu verteidigen. Das muss nicht unbedingt eine aggressive, gewalttätige Art der Verteidigung sein. Ein Weg, sich selbst zu schützen, ist es auch, sozialer eingestellt zu sein.