»Der Bürgerkrieg war ein innerspanischer Konflikt«

Walther L. Bernecker

Am 17. Juli 1936 begann der Spanische Bürgerkrieg, der für Generationen von Linken zu einem zentralen Bezugspunkt ihres Denkens werden sollte. Herbert Marcuse schrieb im Jahr 1968: »Auf den Schlacht- und Mordfeldern des Spanischen Bürgerkriegs wurde zum letzten Mal um Freiheit, Solidarität, Menschlichkeit im revolutionären Sinne gekämpft; noch heute sind die Gesänge, die für und in diesem Kampf gesungen wurden, für die heutige Generation der einzig noch bleibende Abglanz einer möglichen Revolution.«

Der Historiker Walther L. Bernecker forscht seit langem zum Spanischen Bürgerkrieg. Jüngst veröffentlichte er zusammen mit Sören Brinkmann die Studie »Kampf der Erinnerungen – Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936 – 2006«. Mit ihm sprach Gerhard Hanloser.

Manche meinen, der Spanische Bürgerkrieg sei ein Krieg aller gegen alle gewesen, andere sprechen von einer »Schlacht zwischen Faschismus und Antifaschismus«, wieder andere von der »spanischen Revolution«. Wie sehen Sie das?

Ich denke, dass es sich in erster Linie um einen spanischen Konflikt handelte. Er hatte seine Ursachen in der sozialen Situation im Land selbst. Die konservativen Kräfte lehnten die Modernisierungsbestrebungen der zweiten Republik ab, die am 14. April 1931 ausgerufen worden war und die von weiten Teilen der Bevölkerung begrüßt wurde.

Diese Kräfte der Reaktion und Tradition, zu denen etwa die Kirche oder die Großgrundbesitzer zählten, konnten die Reformen nur verhindern, indem sie mit militärischen Mitteln gegen die Republik vorgingen. Ursprünglich war es also ein dramatischer, innerspanischer Konflikt, der sämtliche Bereiche der Gesellschaft umfasste – die Landfrage, die Arbeiter, die Kirche. Allerdings konnte auch die Republik diese Probleme nicht lösen.

War der Bürgerkrieg nicht ebenso ein internationales Ereignis?

Sicher. Und es gibt eine Sichtweise, die diese internationale Komponente viel stärker betont. Demzufolge handelte es sich um eine Auseinandersetzung zwischen rechtskonservativen, stark faschistisch beeinflussten Kräften auf der einen und einer liberal-demokratischen Regierung auf der anderen Seite, die im Laufe des Krieges immer stärker unter kommunistischen Einfluss geriet. So geriet der Bürgerkrieg in der internationalen Wahrnehmung zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden globalen Kräften der dreißiger Jahre, nämlich dem Faschismus und dem Kommunismus.

Auch wenn diese Deutung sehr verbreitet ist, trifft sie, jedenfalls in dieser Form, nicht zu. Sie ist deswegen falsch, weil sie die Aufsplitterung der Interessen und der sozialen Kräfte in den verschiedenen Blöcken über­sieht.

Spielen Sie darauf an, dass es relevante Strömungen gab, die zwar gegen General Franco waren, die aber nicht nur die Republik verteidigen, sondern darüber hinaus eine soziale Revolution wollten?

Neben dem Bürgerkriegsgeschehen gab es diese sozialrevolutionären Bestrebungen. Der Militärputsch löste in der republikanisch gebliebenen Zone eine soziale Revolution aus, die vor allem von den Anarchisten, den Anarcho-Syndikalisten und dem linken Flügel der sozialistischen Gewerkschaft getragen wurde. Dieses Ziel hatten die linken und radikalen Kräfte schon lange verfolgt, konnten es aber in der Republik nicht verwirklichen.

In dem Moment jedoch, als das Staatsgefüge zu Beginn des Bürgerkrieges zusammenbrach, ergab sich die historisch einmalige Chance, diese Revolution zumindest in bestimmten Gegenden und in Ansätzen zu verwirklichen.

Diese Chance wurde genutzt.

Man kann die Zeit vom Sommer 1936 bis zum darauf folgenden Winter als die große revolutionäre Episode bezeichnen. Diese sozialrevolutionären Bestrebungen und Errungenschaften wurden im Verlauf des Krieges immer weiter von der Volksfrontregierung zurückgedrängt, weil sie diese Art von Revolution ablehnte.

Damit handelte sie gegen den Willen eines beachtlichen Teils der republikanischen Kräfte, die auf die starke Tradition eines freiheitlichen Kollektivismus aufbauten, die in der spanischen Gesellschaft existierte und die sie für eine Revolution von unten nutzen wollten. Das führte zu erheblichen Konflikten, insbesondere auch mit den moskautreuen spanischen Kommunisten, die diese Revolution abzuwürgen versuchten.

Wie wird der Bürgerkrieg im heutigen Spanien betrachtet?

Während des Franco-Regimes war nur die offizielle Sicht zugelassen, die Sicht der Sieger. Demzufolge war der Bürgerkrieg der gelungene Versuch, Spanien vor dem Chaos und dem Kommunismus zu bewahren.

Auch wenn sich diese Sicht über das Ende der Diktatur im Jahr 1975 hinaus gehalten hat, konnten sich seither auch andere Betrachtungsweisen entwickeln. Eine etwa 15 bis 20 Jahre vorherrschende, sehr um einen gesellschaftlichen Kompromiss bemühte Deutung lautete ungefähr so: Die Verantwortung für den Bürgerkrieg lag auf beiden Seiten – natürlich hat demnach das Militär, das gegen die legale Regierung der Republik geputscht hat, den größeren Teil der Verantwortung, aber selbstverständlich hätten auch die republikanischen Politiker schwere Fehler gemacht.

War dies ein Ausdruck davon, dass in Spanien, anders als etwa in Deutschland, Japan oder Italien, offiziell kein klarer Bruch mit dem Faschismus vollzogen wurde?

Auf jeden Fall ging es in den ersten Jahrzehnten nach dem Tod Francos um Versöhnung, während des Übergangs zur Demokratie wollte man nicht alte Konflikte wieder aufleben lassen.

In der jüngeren Vergangenheit jedoch, mit der Stabilisierung der spanischen Demokratie, hat die Konsensstrategie ihre Bedeutung verloren. Man äußert sich wieder deutlicher – und zwar auf beiden Seiten.

Die progressiven Kräfte drängen stärker darauf, das Franco-Regime als menschenverachtend, faschistisch und antidemokratisch zu verurteilen. Zugleich gibt es einen zunehmenden Revisionismus, der versucht, das Franco-Regime zu rechtfertigen und die Gräueltaten auf die Linke abzuwälzen. Heute stehen sich beide Auffassungen viel unversöhnlicher gegenüber, als es noch vor 25 Jahren der Fall war.

Spielt in der Erinnerungspolitik auch die Spaltung der Linken eine Rolle, also die historische Feindschaft zwischen den antirevolutionären Volksfront-Kommunisten und den sozialrevolutionären Anarchisten?

Diese Spaltung taucht immer wieder auf, auch in der Erinnerungskultur selbst, etwa wenn heutzutage darüber gestritten wird, welche Mahnmale gebaut werden sollen, ob die Anarchisten beispielsweise am Ort eines Massakers einen eigenen Gedenkstein setzen oder einen gemeinsamen mit den anderen Republikanern.

Diese Diskussionen werden auch nach wie vor in der einschlägigen Presse geführt, aber gesamtgesellschaftlich gesehen sind das nicht mehr die großen Themen. Diese Auseinandersetzungen wurden unmittelbar nach dem Bürgerkrieg heftig und unversöhnlich ausgetragen, auch im Exil. Heute sind diese Fragen nicht mehr so wichtig. Die größere Aufgabe für die seriöse Geschichtswissenschaft und die progressiven, antifranquistischen Teile der spanischen Gesellschaft besteht heute darin, die revisionistische Strömung in der Geschichtswissenschaft abzuwehren, die eine neue Deutung durchsetzen will, die im Grunde nichts anderes ist als die alte.