Anders als die anderen

Das Genie des Psychedelic Rock, Syd Barrett, ist endgültig verschwunden. von andreas hartmann

Im Jahr 1980 wollte ein Fotograf Meat Loaf, den singenden Fleischklops, ablichten. Er verwechselte sein Objekt vor der Kamera, so stellte sich bald heraus, mit Syd Barrett. Der galt um diese Zeit als verschollen, auf Dauertrip oder dem Wahnsinn nahe, so genau wusste das niemand. Er lebe wieder bei seiner Mutti, erzählte man sich.

Und dann wurde er eben doch durch einen Zufall aufgespürt und sah aus wie Meat Loaf. An Fettsucht litt Syd Barrett bis zu seinem Tod in der vorigen Woche. Er starb im Alter von 60 Jahren an Diabetes. Er muss gegen Ende ausgesehen haben wie ein aufgeblähter Meister Proper mit Glatze. Roger Waters, sein ehemaliger Kumpel aus gemeinsamen besseren Zeiten bei Pink Floyd, berichtete davon immer wieder in Interviews. Alle Jahre mal habe er Syd irgendwo gesehen in seinem traurigen Zustand, viel miteinander geredet hätten sie jedoch nicht.

Vor ziemlich genau 40 Jahren war Syd Barrett der Messias, das Genie des Psychedelic Rocks, nicht nur der Kopf von Pink Floyd, sondern die Verkörperung der Band, die nach seinem Ausschei­den zu einer der erfolgreichsten aller Zeiten werden sollte. Damals hätten die Streitereien zwischen David Gilmour und Roger Waters, die 1995 zur endgültigen Auflösung Pink Floyds geführt haben, der Supergruppe nichts anhaben können, denn die beiden zählten nicht. Syd Barrett ganz allein war Pink Floyd. Und mit seinem wilden Lockenschopf sah er auch noch unheimlich mysteriös aus, blickte verwegen drein; und dass er etwas verrückt war, das machte ihn erst recht zu einem der angesagtesten Stars des damaligen englischen Undergrounds.

Die Geschichte Syd Barretts ist eine traurige, sie bildet einen Sondermythos der Popkultur, vergleichbar nur mit dem um Brian Jones, der viel zu feinfühlig für eine Proletentruppe wie die Rolling Stones war, aus der Band geekelt und kurz darauf tot in einem Swimmingpool gefunden wurde. Die Geschichte von Brian Jones wurde bereits von Hollywood verfilmt, jetzt, wo Syd Barrett verschwunden ist, wird man nicht mehr lange auf einen Film, der wohl »Syd« heißen wird, warten müssen.

Als Pink Floyd sich 1965 gründeten, war die britische Metropole gerade dabei, zum Swinging London zu werden. Beat war angesagt, Drogen sowieso, die Mädchen trugen Miniröcke, und man ahnte bereits, dass die zweite Hälfte der Sechziger noch unheimlich aufregend werden würde. Den Namen für seine Band dachte sich Syd Barrett aus, er setzt sich zusammen aus den Namen zweier seiner größten Blueshelden. Pink Floyd – wer den Werdegang der Band hin zu Psyche­de­lic, Bombast und Größenwahn kennt, kann das eigentlich kaum glauben – war anfangs wie jede englische Band dieser Zeit vom amerikanischen Blues beeinflusst.

Zwischen 1965 und 1967 passierte in der Rockmusik jede Menge. Nicht mehr so sehr in England, wo die Beatles beinahe im Alleingang die Popmusik voranbringen mussten, aber in den USA. Dort gab es bereits Psychedelic-Bands wie The Magicians, The Shadows Of Knight oder The Thirteenth Floor Elevators, und Andy Warhol war gerade dabei, sich The Velvet Underground und Mixed Media Shows auszudenken. Als 1967 die von Syd Barrett geschriebenen Songs »Arnold Layne« und »Interstellar Overdrive« und bald darauf auch das von ihm fast im Alleingang komponierte erste Pink-Floyd-Album »The Piper at the Gates of Dawn« erschienen, hatte England endlich dann auch seine Vorzeigeband des Psychedelic Rocks. Schnell war sie die Sensation des Undergrounds schlechthin, die nicht nur von John Peel bejubelt wurde. Dieser irrlichternde akustische Wahnwitz, dieser Space-Rock und verschwurbelt kosmische Sound, das war neu. Pink Floyd kamen damit schnell nach oben – und gleichzeitig begann der Abstieg von Syd Barrett.

Was mit ihm genau passierte, ist nicht ganz klar. Drogen dürften eine Rolle gespielt haben. Es heißt aber auch, er habe dem Druck, dem er sich als Popstar ausgeliefert sah, nicht standhalten können. Syd Barrett legte Live-Auftritte hin, bei denen er seiner Gitarre keinen anständigen Ton entlocken konnte und apathisch und bewegungslos auf der Bühne herumstand.

So ging das nicht weiter. Pink Floyd wurden langsam zur Marke, der Grundstein für eine kommerziell überaus erfolgreiche Entwicklung der Band war gelegt. Dank Syd Barrett. Doch in seiner Band und hinter den Schreibtischen seiner Plattenfirma meinten sie bald eher: trotz Syd Barrett.

Syd Barrett flog aus der Band, wurde von David Gilmour ersetzt, reiste fortan ziellos um die Welt, besuchte immer wieder Ibiza, wo er etwas Ruhe fand, nahm 1970 zwei eher gefloppte, heute kultisch verehrte, aber dennoch vergessene Soloplatten auf und verschwand dann einfach. Um als Mythos fortzuleben.

Seine Geschichte wurde zur Legende. Sie erzählt von einem, dessen zerrütteter Geist und dessen funkelndes Wesen keinen Platz mehr in der eigenen Familie, in seiner Band, fand. Der von den generalstabsmäßig durchgeplanten Karrierezielen der Gruppe aufgefressen wurde. Der dann plötzlich in den Siebzigern einen Zeitgeist vorfand, der für schräge Vögel, die nicht funktionieren wollten, kein Verständnis mehr hatte. Dass die Sechziger unwiderruflich vorbei waren, das markieren nicht nur die Morde von Charles Manson und das traurige Dahinscheiden von Jim Morrison, Janis Joplin und Jimi Hendrix, sondern auch die Entsorgung Syd Barretts.

Gerüchte rankten sich nach seinem Ausscheiden von Pink Floyd um ihn. Eines besagte gar, er sei so am Ende, dass er sich als Tourroadie bei seiner ehemaligen Band beworben habe. Pink Floyd selbst wurde der wahnwitzige Erfolg, den sie anfangs mit einem ähnlichen Psychedelic-Sound wie zu den Zeiten mit Syd Barrett, später jedoch mit Bombastkäse wie »Dark Side Of The Moon« hatten – der Platte, der Punk als Antithese überhaupt seine Existenz verdankt –, wohl selbst unheimlich. Mit »Wish You Were Here« und »Shine On You Crazy Diamond« schrieb die Band zwei Syd-Barrett-Gedächtnissongs, die Mitte der Siebziger nochmals ein kleines Revival des Ver­schollenen auslösten. Auch die englische New-Wave-Band Television Personalities, die sich verschrobener Psychedelic verschrieben hatte, widmete ihrem Helden eine Erinnerungsnummer: »I Know Where Syd Barrett Lives.«

Was wahrscheinlich nicht stimmte, denn Syd Barrett war zu der Zeit schon der Thomas Pynchon der Popmusik.

Mit Syd Barrett ist einer der letzten Guten aus der klassischen Ära der Popmusik verstorben. Einer, der sich selbst lieber treu blieb, als Millionen zu scheffeln und irgendwann ein grauenvolles Werk wie »The Wall« aufzunehmen. Vielleicht auch einer, der wie Marlene Dietrich lieber ganz verschwand, um seinen Fans weiterhin als Projektionsfläche zu dienen, anstatt in der Öffentlichkeit alt, hässlich, bierbäuchig und glatzköpfig zu werden.

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit rund um das Leben von Syd Barrett, von der wir freilich gar nichts wissen wollen, ist wahrscheinlich viel trauriger, öder und deprimierender. Vielleicht war Syd Barrett einfach nur ein gescheiterter Popstar, der sein Leben nicht in den Griff bekommen hat. Doch, das wusste schon John Ford, im Zweifelsfall sollte man sich immer für den Mythos und auf keinen Fall für die Wahrheit entscheiden.