Corporate Identity

Die WM-Euphorie hat den Weg bereitet für die Modernisierung des Nationalismus. von norbert trenkle

Der schwarz-rot-goldene Begeisterungstaumel während der WM, so ist überall zu lesen, sei bloß Ausdruck einer »Nor­malisierung« im Verhältnis »der Deutschen« zu »ihrer Nation« und insofern durchaus erfreulich und positiv gewesen. Eine höchst merkwürdige Auskunft. Denn wieso eigentlich sollten massenhafte nationalistische Aufwallungen bei Fußballspielen erfreulich sein, nur weil damit nachvollzogen wird, was in England, Italien, Argentinien oder anderswo gang und gäbe ist? Über diese Art »Norma­li­tät« kann sich nur freuen, wer über den besonderen Abscheulichkeiten des deutschen Nationalismus in der jüngsten Geschichte ver­gessen hat, dass der Nationalismus als solcher eine Abscheulichkeit ist – wenn auch eine in der bürgerlichen Gesellschaft höchst normale.

Man mag einwenden, dass die meisten, die da in Schwarz-Rot-Gold vor den Großlein­wän­den herumjohlten, einfach nur eine »geile Party« feiern wollten. Sicher, die Begeisterung hatte viel von der gängigen »Eventkultur«. Man ging zu den Public Viewings wie zu Popkonzerten, inklusive infantiler Kostümierung. Und doch war der Anlass der Begeisterung kein völ­lig beliebiger und austauschbarer, sondern »un­sere« Nationalmannschaft. Das lässt sich nicht hinwegreden.

Wo »Deutschland, Deutschland« gegrölt wird oder »Steh auf, wenn du ein Deutscher bist«, geht es nun einmal nicht nur um Fußball. Hier schleift sich neu ein, was noch vor knapp 20 Jahren ziemlich abgeschliffen schien. Harmlos kann das allenfalls erscheinen, wenn man es mit den überkommenen Formen des nationalistischen Massenspektakels vergleicht. Nicht nur mit denen der Nazis, sondern auch mit denen des 20. Jahrhunderts überhaupt. Natürlich ist es nicht dasselbe, ob sich Hunderttausende auf einem Platz versammeln, um »ihrem« Führer oder Caudillo zuzujubeln, oder ob sie auf einer Großleinwand das Spiel »ihrer« Mannschaft verfolgen. Eine Gemeinschaft, die sich über die Zugehörigkeit zur »Nation« definiert, wird jedoch in beiden Fällen konstruiert.

Zweifellos hat sich der Nationalismus nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach modernisiert. Auch und gerade hierzulande. Anders könnte er gar nicht zu neuer Blüte gelangen. Großangelegte Gemeinschaftserlebnisse lassen sich heute nicht mehr über den dis­ziplinierten Massenaufmarsch, sondern nur noch über das kulturindustriell organisierte Spektakel herstellen.

Das gilt übrigens auch für alle anderen Formen der Identitätskonstruktion, etwa für die neo-religöse Welle. Die evangelikalen Sekten in Lateinamerika mit ihren Massengottesdiens­ten im Stile von Fernsehshows haben es vor­gemacht, die katholische Kirche ist spätestens beim Papstbesuch im vergangenen Jahr auf den Zug aufgesprungen, und auch der Islamismus existiert keinesfalls nur in der Bärte und Burka tragenden Talibanvariante, sondern bedient in modernen Städten wie Istanbul auch die popkulturell präformierten Bedürfnisse der jüngeren Generation. Die oberflächliche Lockerheit täuscht. Dahinter verbirgt sich eine Verhärtung, die zwar den Beteiligten zumeist nicht so recht bewusst ist, aber gerade deshalb umso gründlicher wirkt.

Dem Inhalt nach ist der modernisierte Na­tio­nalismus, der sich auch gerne »Patriotismus« nennt, weil das viel harmloser klingt, ein höchst hybrides Produkt. Dennoch beruht auch er weiterhin auf dem Prinzip von gewaltsamem Ausschluss und Zwangsintegration. Zwar sind die Kriterien für die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zum nationalen Kollektiv locke­rer geworden, jedoch keinesfalls völlig beliebig. Was sich unter den Bedingungen der krisenhaften kapitalistischen Globalisierung entwickelt hat, ist eine Mischung aus altem Volks­gemeinschafts- und modernem Leistungs- und Standortnatio­nalismus. Der erste allein ist nicht nur ökonomisch vollkommen inadäquat, sondern entspricht keinesfalls mehr den identitären Bedürfnissen und dem Lebensgefühl der in die globalisierte Konsum- und Arbeitswelt hineinsozialisierten Generation. Der zweite dagegen bietet einfach zu wenig emotionalen Überschuss, der gerade jetzt wieder gefragt ist, wo sich die Folgen des globalen Krisenprozes­ses auch in den Weltmarkt­entren schmerzhaft bemerkbar machen.

Ähnlich wie der »mitfühlende Konservatismus« und »New Labour« ist der modernisierte Nationalismus eine Form der Reaktion auf den Neoli­be­ralismus und dessen Fortsetzung zugleich. Er stellt den Versuch dar, den Bezug auf das nationale Kollektiv mit den Imperativen der Weltmarktkonkurrenz zu verbinden. Deshalb sind auch jene Einwanderer willkommen, die mit ihrer Leis­tung das Brut­­tosozialprodukt erhöhen und ihre »Integra­tions­bereit­schaft« erkennen lassen, indem sie sich einem »Einbürgerungstest« unterwerfen und eine Deutschlandfahne ans Auto hängen. Das erlaubt es auch dem linksliberalen und rot-grünen Milieu, sich endlich wieder mit »Deutschland« zu versöhnen und einem »Patriotismus« das Wort zu reden, der so »natürlich« sein soll, wie dass Frösche nun einmal quaken und Hühner gackern.

Diskursiv stellt der modernisierte Nationalismus insofern eine Überwindung der rein ökonomisch begründeten Verwaltung der Krise dar, faktisch jedoch ist er die Begleitmusik zu deren Verschärfung. Daraus machen seine Propagandisten auch keinerlei Hehl. Ganz offen reden sie darüber, dass die laufenden sozialen Zumutungen ohne eine gehörige Portion »Patriotismus« nicht durchsetzbar seien, weil sonst jeder nur an seinen eigenen Vorteil denke. Und weil das viel zu rückwärts­gewandt und pessimistisch klingt, wird die nationale Begeisterung auch gleich noch zum Antriebsmotor einer Aufbruchsstimmung hochstilisiert, die endlich die Wende auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen soll.

In einer Art vulgärpychologischem Idealismus wird so getan, als hinge der (ökonomische) Erfolg in erster Linie von Stimmung und Einstellung der Bevölkerung ab. Insofern steht Jürgen Klinsmann mit seinen aus dem Mutter­land des »positiven Denkens« ins Trai­ningslager der Nationalmannschaft im­portierten suggestiven Methoden an der Spitze der Bewegung. Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen, dass ausgerechnet dieser Prototyp des globalisierten Leistungsindividuums mit Wohnsitz in Kalifornien zur neuen »Licht­gestalt« (Matthias Matussek in einem Interview mit dem Deutschlandfunk) der deutschen Nation avanciert ist. Doch genau darin drückt sich präzise die Modernisierung des Nationalismus aus, der nicht zufällig der Form und den Methoden nach an die »Corpo­rate Identity« erinnert, die in Weltmarktfirmen wie Ikea oder Wal-Mart den Beschäftig­ten in einer Mischung aus Gehirnwäsche und Kinder­geburtstagen für Erwachsene eingebläut wird. Die zwanghaft-optimistische Vergemeinschaftung dient dem simplen Zweck, die Beschäftigten auf Leistung einzuschwören und die Opfer vergessen zu machen, die sie und andere dafür erbringen müssen. Sie auch nur zu benennen, gilt als Pessimismus und Miesmacherei und damit als die eigentliche Ursache für die Misere.

Was auf den ersten Blick kindisch und abergläubisch anmutet, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer zunehmenden Verhärtung, die Leistungsdruck mit kollektivem Identitätszwang verbindet. Richtig dazu gehört nur, wer ein stets steigendes Leistungsquan­tum abliefert oder zumindest erfolgreich so tut als ob. Wer jedoch nicht mithalten kann oder will, soll wenigstens aus der Öffentlich­keit verschwinden und still seine Armen­spei­sung an der »Tafel« entgegennehmen, sonst verdirbt er den anderen auch noch den autosuggestiv erzeugten Optimismus, den sie zum Funktionieren brauchen.

Deshalb werden die liberalen Meinungsführer auch äußerst ungemütlich, wenn jemand ihren mühsam heraufbeschworenen »Patriotismus« angreift, wie jene vaterlandslosen Gesellen aus der hessischen GEW oder von der Jungen Linken in Leipzig. Weil aber im Grunde jeder weiß, dass er schon morgen aus dem harten Kern der Leistungspatrioten ausgeschlossen und an den gerade noch mitgeschleppten Rand des nationalen Kollektivs gedrängt werden kann, ist die aufgekratzte Feierstimmung im Lande äußerst labil. Jederzeit abrufbar lauern Rassismus und Antisemitismus knapp unter der Oberfläche.

Auch während der WM brachen sie immer wieder hervor, was die Medien freilich verschwiegen, um die Imagekampagne für Deutschland nicht zu beschädigen. Die Abgrenzung gegen­über »dem Islam« gehört ohnehin zum Kernbestand des modernisierten Natio­nalismus. Denn schließlich braucht er das projektive Gegenbild eines »rückständigen« und »unaufgeklärten« Anderen, um sich selbst als »weltoffen« und liberal gerieren zu können. Insofern ist der »Patriotismus« absolut kompa­tibel mit der gleichzeitigen Stimmungs­mache für einen »Kampf der Kulturen«, in dem »das Abendland« seine »Werte« gegen die totalitäre Bedrohung des Islam zu verteidigen habe.

Der modernisierte Nationalismus ist dabei in der Lage, die unterschiedlichsten Feindbilder zu kombinieren. In dieser Hinsicht ist er ganz ein Produkt der Postmoderne. Islamophobie geht sehr wohl zusammen mit Anti­amerikanismus und Antisemitismus und die rassistische Abschottungs­politik der EU mit ethno-nationalis­tischen Konflikten innerhalb Europas. Es ist diese Flexibilität, die den moder­nisierten Nationalismus als Verarbei­tungsideo­logie des laufenden Krisenprozesses so attraktiv macht. Wo die Rückkehr in den funktionierenden Na­tionalstaat versperrt ist und zugleich die Spiel­räume in der Weltmarktkonkurrenz immer enger werden, kann Nationalismus nur noch als hybrides Konstrukt existieren, das die unterschiedlichsten und scheinbar unvereinbaren Elemente in sich vereint. Gerade darin liegt seine Unheimlichkeit und seine Gefährlichkeit. Denn in seiner Dynamik wird er vor allem von Stimmungen gesteuert, die schnell und unvorhersehbar umschlagen können. Insofern war die WM-Party nur die Kehrseite rassistischer Hetze und national-populistischer Agitation ­ge­gen »Heuschrecken« und andere »Schmarotzer« am Volksvermögen.