Ein Geist ging um in Rabat

Im marokkanischen Rabat diskutierten Politiker aus Afrika und Europa, wie Flüchtlinge mit vereinten Kräften von der EU ferngehalten werden können. von federica matteoni

Es war der damalige Innenminister Otto Schily, der vor zwei Jahren als erster medienwirksam zur Lösung des europäischen »Migrantenproblems« vorschlug, Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika einzurichten. Dabei gab es zu diesem Zeitpunkt faktisch bereits in einigen afrikanischen Ländern solche Lager. Manchen Politikern in der EU wurde jedoch erst mit Schilys Vorschlag klar, wie empfänglich die Öffentlichkeit für dieses Thema war. Seitdem wurde die europä­ische Politik der Abschiebungen, Internierungen und Militarisierung der europäischen Grenzen stets vorangetrieben. Die Praxis hat sich nicht geändert, Europa scheint jedoch im Diskurs neue Akzente setzen zu wollen.

Das zeigte allein schon der Titel der euro-afrika­nischen Ministerkonferenz zum Thema Einwanderung, die am Montag und Dienstag der vergangenen Woche in der marokkanischen Hauptstadt Rabat stattfand. Dort diskutierten zum ersten Mal Vertreter der wichtigsten Herkunfts- und Transitländer von Einwanderern über »Migration und Entwicklung«. Zu der Konferenz hatten Spanien und Marokko nach dem Massenansturm tausender Flüchtlinge auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla im vergangenen Herbst aufgerufen. Damals schoss die spanische Guardia Civil auf die Migranten und tötete 14 Menschen.

Das Neue an der Konferenz von Rabat sei, »dass nun nicht mehr allein über Abwehrmaßnahmen gesprochen wird. Zum ersten Mal wird hervorgehoben, dass Armut und Unterentwicklung in den Herkunfts­ländern als Ursachen der Migration bekämpft werden müssen«, sagte Yazouh Fouad, ein Sprecher der marokkanischen Regierung, enthusiastisch. Als der »Geist von Rabat« wurde diese »neue EU-Politik« all­gemein gefeiert.

Zwar wurde in Rabat viel über Armut, Entwicklung und das Leid von tausenden Menschen, die auf dem Weg nach Europa ums Leben kommen, geredet. Der Schwerpunkt der europäischen Einwanderungspolitik liegt jedoch weiterhin auf der repressiven Bekämpfung »illegaler« Migranten, wie auch der von der Konferenz verabschiedete Aktionsplan bestätigte. Dabei steht neben Sicherheitsfragen der schwammige Begriff »Kampf gegen die Armut« im Vordergrund.

So sollen beispielsweise Investitionen ins Transportwesen und in Kommunikationsmittel gefördert und die Wasserversorgung verbessert werden. Europa soll außerdem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Afrika unterstützen. Wie diese Maßnahmen finan­ziert werden sollen, lässt der Plan jedoch offen. Auch wurde weder ein Zeitplan zur Realisierung der beschlossenen Maßnahmen genannt noch über konkre­te Finanzhilfen für die Herkunftsländer der Flüchtlinge gesprochen.

Ihre Politik der Abschottung treibt die EU hingegen weiterhin routiniert voran. Mittel für die Sicherung der Grenzen werden bereitgestellt und entspre­chende Institutionen eingerichtet. Der Aktionsplan sieht unter anderem die Schaffung einer gemeinsamen Datenbank zur Identifizierung von Migranten ohne Papiere vor, um Rückführungen »effektiver« zu machen. Das bedeutet, dass den Migranten schon in Afrika Fingerabdrücke abgenommen werden und sowohl afrikanische als auch europäische Behörden auf die entsprechenden Daten zugreifen können. Die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden soll außerdem verstärkt werden, »um Schlepperbanden zu bekämp­fen«, wie es auf der Abschlussveranstaltung hieß.

Zudem sollen die Grenzen in den afrikanischen Herkunftsländern besser überwacht werden. Auf diesem Gebiet funk­tioniert die von den Organisatoren der Konferenz angestrebte Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa bereits jetzt sehr gut. Frontex, die Grenzschutzagentur der EU, soll Ende Juli im Seegebiet zwischen den Kanarischen Inseln, Kap Verde und der afrikanischen Küste mit Patrouillenschiffen, Überwachungsflugzeugen, Hubschraubern und dem dazu gehörigen Personal zum Einsatz kommen. Frontex werde in Zukunft mit Marokko, Mauretanien, Senegal und Kap Verde gemeinsame Küstenpatrouillen organisieren, sagte Benita Ferrero-Waldner, die Außenkommissarin der EU in Rabat.

Ein wichtiger Punkt betraf in Rabat die so genannten Rücknahmeabkommen. Die afrikanischen Staaten erklärten sich bereit, solche Abkommen für »illegale« Einwanderer zu unterzeichnen. Die Liste von »sicheren« Staaten, in die unerwünschte Flüchtlinge im Schnellverfahren abgescho­ben werden können, stand jedoch nicht zur Diskussion. Umstritten ist diese Liste unter anderem deshalb, weil darin Staaten wie Mali und Senegal verzeichnet sind, in denen etwa die Genitalverstümmelung von Frauen verbreitet ist.

Afrika soll aber nicht alle seine Migranten zurücknehmen – nur diejenigen, die Europa nicht gebrauchen kann. Um nicht unter Migration zu »leiden«, will Europa sich seine Zuwanderer aussuchen können. Der umstrittene Begriff der immigration choisie (»ausgewählte Immigration«, Jungle World, 22/06) spielte auch in Rabat eine große Rolle. Damit hatte der französische Innenminister Nicolas Sarkozy im Juni die Grundprinzipien des französischen Einwanderungsgesetzes erklärt. In Frankreich soll künftig nach Kriterien, zu denen vor allem das Alter und die berufliche Qualifikation zählen, entschieden werden, wer kommen und bleiben darf.

Während sich Minister und Regierungsorganisationen zum Abschluss der Konferenz für die guten Absichten gegenseitig lobten und gegenüber den Medien feierlich den »Geist von Rabat« beschworen, wurde vor dem marokkanischen Parlament ein »Manifest zu Migrationen, Grundrechten und Bewegungsfreiheit« verteilt. Das Papier war ein Woche zuvor auf einer Gegenkonferenz von NGO und Migrantenorganisationen verfasst worden, die ebenfalls in Rabat stattfand.

Das Manifest stellte an die Ministerkonferenz grundsätzliche Forderungen, wie »den Verzicht auf die auf Sicherheit und Repression ausgerichtete Ideologie« und eine Umorientierung der europä­ischen Migrationspolitik auf Basis der Einhaltung von Menschenrechten. Konkret wurde unter anderem gefordert, die Rückübernahmeabkommen für ausgewiesene Personen zu annullieren, alle Einrichtungen, in denen Migranten inhaftiert sind, zu schließen und auf Maßnahmen, die Familienzusammenführungen verhindern, zu verzichten.

Die Teilnehmer der Gegenkonferenz unterstützen auch den Aufruf zum dritten europäischen Aktionstag zum Thema Migration, der auf dem Europäischen Sozialforum in Athen beschlossen wurde und am 7. Oktober stattfinden soll.

Weitere Informationen zum Manifest und zum Aktionstag unter: http://no-racism.net