Extremisten, Vorbestrafte, Kaukasier

Der russischen Regierung gelang es, fast alle Proteste gegen den G 8-Gipfel zu verhindern. von vera bredova, st. petersburg

Gegen »wohlmeinende Kritik« hat Präsident Wladimir Putin nichts. Von der »Idee, dass unsere Gesellschaft Demokratisierung braucht«, will er aber nichts hören, denn dies betrachtet er als »Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten«. Weniger noch als Ausländer dürfen sich allerdings Russen in seine Angelegenheiten einmischen. Fast alle Proteste gegen den G 8-Gipfel in St. Petersburg wurden verhindert.

Die globalisierungskritische Bewegung musste in diesem Jahr eine herbe Niederlage einstecken, und die Konsequenzen für die russische Protestbewegung, ob nun explizit globalisierungskritisch oder nicht, dürften desaströs sein. Erstmals seit Jahren konnte ein Gipfeltreffen der G 8-Staaten ohne Massenproteste abgehalten werden. Vor dem Gipfel organisierte fast das gesamte Spektrum der Oppositionsgruppen, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, eigene Konferenzen. Das zweite Russische Sozialforum, der eigentliche Gegengipfel, der gleichzeitig mit dem offiziellen G 8-Treffen stattfand, sollte einschließlich einer für den Samstag geplanten Demonstration zum Höhepunkt der Proteste werden.

Das Forum fand zwar, von den Behörden geduldet, im zum Abriss freigegebenen Kirow-Stadion in einem recht abgelegenen Erholungsgebiet statt. Doch im Nachhinein stellt sich die Frage, ob sich der Aufwand überhaupt gelohnt hat. Die Demonstration wurde nach wochenlangem Lavieren der Behörden wie alle anderen für den Zeitraum des Gipfels angemeldeten Protestkundgebungen verboten, mit Ausnahme einer unspektakulären und schlecht besuchten Kundgebung der Kommunistischen Partei.

Einem Teil der etwa 1 200 registrierten Teilnehmer des Forums gelang die Anreise erst gegen Ende der Veranstaltung. Hunderte fanden sich auf einer Liste wieder, in der »Extremisten, Kriegsdienstverweigerer, Vorbestrafte, Kaukasier und andere Bevölkerungskategorien« aufgeführt waren. In und vor den Zügen ersuchten Patrouillen der Miliz und Angehörige des Inlandsgeheimdienstes FSB und anderer Sondereinheiten die in der Liste Erfassten, nicht nach St. Petersburg zu fahren. Etliche Aktivisten wurden verhaftet oder mit Gewalt an der Weiterreise gehindert. Aleksandr Laschmankin aus Samara wurde unter den absurdesten Vorwürfen, wie etwa dem, dass er einen Koffer gestohlen habe, fünfmal festgenommen, bevor ihn der Geheimdienst FSB schließlich zur Fahndung ausschrieb.

Wer es dennoch bis St. Petersburg geschafft hatte, musste ein Erklärungsschreiben über die Ziele des Besuchs und den Aufenthaltsort verfassen und häufig eine ID-Behandlung über sich ergehen lassen. Zahlreiche Mitglieder kommunistischer Jugendorganisationen und Anarchisten wurden in Schnellverfahren zu jeweils zehn Tagen Haft verurteilt. Selbst unbeteiligte Familienangehörige wurden unter Druck gesetzt.

Kurz vor dem Ende des Sozialforums erklärte der stellvertretende Gouverneur von St. Petersburg, Jewgenij Tarasov, der vor Wochen einen ungestörten Ablauf zugesagt hatte, alle bislang Festgenommenen seien freigelassen worden und die Bedingungen für die Teilnehmer des Gegengipfels einwandfrei. Doch unter Polizeibewachung und in Erwartung immer neuer Repressalien wollte auf dem riesigen Stadiongelände keine kämpferische Stimmung aufkommen. Auch Diskussionen über Perspektiven konnten unter diesen Bedingungen kaum geführt werden, zumal viele Protestwillige es trotz aller Anstrengungen nicht geschafft hatten, das Stadion zu erreichen.

Putins Ziel bestand nicht darin, den Gegengipfel zu verhindern, sondern ihn unter maximaler staatlicher Überwachung über die Bühne gehen zu lassen und die Teilnehmer einzuschüchtern. Damit hat die Regierung vorerst einen optimalen Weg gefunden, missliebige protestbereite Gruppen zu marginalisieren.