Jihad mit Raketen

Nach den Angriffen der Hamas und der Hizbollah sah die israelische Regierung keine andere Möglichkeit als militärisch vorzugehen. von andré anchuelo

Mit ihrem Angriff auf Israel hat die islamistische Hizbollah in der vergangenen Woche jede Zurückhaltung aufgegeben. Nicht nur, dass die schiitische Terrororganisation die israelische Armee am Mittwoch der vergangenen Woche auf international anerkanntem israelischem Staatsgebiet angriff und dabei acht Soldaten tötete und zwei entführte. Der Angriff stand auch in einem klaren Zusammenhang mit den Angriffen der islamistischen palästinensischen Organisation Hamas, die seit Monaten israelische Städte mit Raketen beschießt und bereits Ende Juni eine neue Eskalation mit dem Überfall auf einen israelischen Grenzposten am Rand des Gaza-Streifens einleitete.

Dabei wurden zwei israelische Soldaten getötet und ein dritter entführt. Die Hizbollah begreift nun ihren Angriff als Zeichen der Solidarität mit den islamistischen Brüdern von der Hamas, die trotz des militärischen Vorgehens Israels ihren Beschuss israelischer Städte wie Sderot und Ashdod mit Raketen fortsetzen. Zu Recht wurde deswegen die Aktion der Hizbollah als Eröffnung einer zweiten Front gegen Israel verstanden. Dessen Regierung ließ dem Paten von Hamas und Hizbollah, Syriens Präsidenten Bashar al-Assad, bereits nach der Aktion der Hamas eine deutliche Warnung zukommen, indem israelische Kampfflugzeuge seinen Palast überflogen und mit einem lauten Knall die Schallmauer durchbrachen. Das klare Signal lautete: Bis hierhin und nicht weiter.

Als die israelische Armee zunächst mit der Bombardierung von Zielen im Libanon reagierte – darunter Brücken, Hauptverbindungsstraßen, der Beiruter Flughafen, das Hauptquartier und der Fernsehsender der Hizbollah –, antwortete die »Partei Gottes« mit einer weiteren Eskalation. Hatte sie sich zunächst darauf konzentriert, israelische Ortschaften wie Kiryat Schmonah und Naharyah nahe der Grenze mit kleinen Katjuscha-Raketen zu beschießen, setzte sie am Wochenende auch Mittelstreckenraketen vom Typ Fajer ein. So gerieten erstmals auch die Städte Tiberias und Haifa unter Beschuss. Tiberias ist ein wichtiger Touristenort mit bedeutenden Stätten des Christentums und des Judentums. Haifa ist die drittgrößte Stadt Israels und als Industriezentrum Nordisraels eines der Zentren der israelischen Wirtschaft. Beide Städte liegen über 30 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt.

Zum ersten Mal demonstrierte die Hizbollah damit, dass sie fähig ist, Städte weit im Inneren Israels zu bedrohen. Die Hamas hingegen war bislang lediglich in der Lage, mit ihren selbst gebauten Kassam-Raketen Ortschaften nahe der Grenze anzugreifen. Der Unterschied liegt darin begründet, dass die Hizbollah bessere Nachschubwege hat. Wie die Hamas auch wird sie von Syrien und dem Iran protegiert, doch anders als im Gaza-Streifen gibt es im Libanon bislang kaum Hindernisse beim Import modernster Raketentechnik über den Landweg aus Syrien und den Beiruter Flughafen.

Dabei müsste die Schiitenmiliz gemäß der UN-Sicherheitsresolution 1559 aus dem Jahr 2004 eigentlich längst entwaffnet sein. Doch im fragilen politischen System des Libanon hat es bisher niemand gewagt, die Entwaffnung durchzusetzen. Das Land stand im vergangenen Jahr kurz vor einem Wiederbeginn des 1990 beendeten Bürgerkrieges. Nachdem der Oppositionsführer Rafik Hariri bei einem Anschlag getötet worden war, hinter dem Syriens Geheimdienst vermutet wird, nahm der Druck auf die syrische Besatzungsmacht zu, ihre Truppen abzuziehen. Zugleich gab es weitere Attentate. Schließlich musste die syrische Armee abziehen, und nach den Parlamentswahlen wurde eine neue Regierung unter Beteiligung fast aller wichtigen Parteien gebildet. Ihr gehört seitdem erstmals auch die Hizbollah mit zwei Ministern an. Sie vertritt dort, ebenso wie mit ihrer Miliz, weiterhin die Interessen Syriens im Libanon.

Insofern ist die Interpretation der israelischen Regierung keineswegs abwegig, derzufolge die Aktionen der Hizbollah als Angriffskrieg des Libanon gegen Israel zu werten seien. Dabei zeigt sich zugleich eine weitere Ähnlichkeit zum Gaza-Streifen. Genauso wie sich Israel vor einem Jahr vollständig aus dem Palästinensergebiet zurückzog, gab die israelische Armee bereits vor sechs Jahren die Sicherheitszone im Südlibanon auf. Der vollständige Abzug wurde damals von der Uno bestätigt. Doch die Angriffe aus dem Gaza-Streifen und dem Südlibanon gingen weiter. Aus innenpolitischen Gründen sicherte die libanesische Armee bis heute die Grenze zu Israel nicht, sondern überließ die Region der Hizbollah.

Doch wie der durchschnittliche Europäer das Vorgehen Israels bewertet, brachte die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche in einer Überschrift auf den Punkt. »Israel greift an zwei Fronten an«, titelte die größte überregionale Tageszeitung Deutschlands, anstatt festzustellen: »Israel schlägt an zwei Fronten zurück.« Sie hatte dabei die Mehrheit der europäischen Politikerelite auf ihrer Seite. Von der finnischen EU-Ratspräsidentschaft, der EU-Außenkommissarin, dem spanischen Ministerpräsidenten, dem französischen Präsidenten und aus dem Vatikan hieß es, Israel wende »unverhältnismäßige Gewalt« an. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) äußerten sich ähnlich. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Walter Kolbow, kritisierte Israels Handeln als »völkerrechtswidrig«.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen zeigte sich zurückhaltender und betonte gemeinsam mit US-Präsident George W. Bush vor allem das Selbstverteidigungsrecht Israels. Offenbar ist auch Merkel klar, dass der zeitliche Zusammenhang der Eskalation mit dem G 8-Gipfel in St. Petersburg kein Zufall sein dürfte. Zu offensichtlich ist das Interesse des Irans, von der Hinhaltetaktik bei den Verhandlungen um das iranische Atomprogramm abzulenken.

Da traf es sich für die Mullahs gut, dass man mit der Hizbollah und der Hamas zwei zuverlässige Verbündete hat, mit denen man sich beim Wunsch nach der Vernichtung Israels einig weiß. Auch Syrien hatte keine Einwände gegen eine zeitweilige Eskalation. Schließlich hat das dortige Regime kein Interesse an einer Stabilisierung des Libanon auf Kosten des syrischen Einflusses.

Diese Tatsache wird von den anti-syrischen Kräften im Libanon auch offen ausgesprochen. Der drusische Politiker Walid Jumblatt etwa beschuldigte Syrien und den Iran, mit »Agenten« den Beschuss Israels mit Raketen provoziert zu haben, um den Libanon zu destabilisieren. Und selbst die großen arabischen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien kritisierten die Angriffe als »Abenteurertum«.

Es ist also nicht sicher, ob der Plan der Raketenjihadisten aufgeht. Möglich wäre auch, dass am Ende die Hizbollah politisch und militärisch geschwächt ist. Einstweilen leidet die Zivilbevölkerung in Israel und im Libanon, wo bereits viele dutzende Tote und noch weit mehr Verletzte zu beklagen sind.