Mr. Cash will die Rechnung ändern

Eine Demokratisierung werden die Wahlen am Sonntag dem Kongo nicht bringen. Doch viele Wähler hoffen, wenigstens die verhasste Übergangsregierung loszuwerden. von alex veit
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Auch wenn vieles unvorhersehbar bleibt, ist eines bereits zum jetzigen Zeitpunkt klar: »1 + 4 = 0« wird nicht länger die Gleichung sein, mit der die Menschen im Kongo die Nützlichkeit ihrer Regierung berechnen. Der eigenwillige Slogan bezieht sich auf den Präsidenten und seine vier Stellvertreter, die Führung des Übergangsregimes, das für sich beansprucht, den Kongo in den vergangenen Jahren regiert zu haben.

Man weiß nicht recht, wie man eine Regierung bezeichnen soll, der 37 Minister angehören, die aber weder den Verwaltungsapparat steuern noch nennenswerte Steuern und Zölle erheben kann. Eine Versammlung, die nicht weiß und auch nicht wissen will, wie viele Soldaten in ihrer Armee dienen, auf deren Territorium ein halbes Dutzend Rebellengruppen aktiv sind und die sogar um ihrer eigenen Sicherheit willen auf Soldaten der Vereinten Nationen angewiesen ist. Eine Regierung, deren Mitglieder den Kontakt untereinander nach Möglichkeit vermeiden und damit deutlich machen, an ihrer eigenen Überflüssigkeit nichts ändern zu wollen.

Die Null, die die Kongolesen dieser »Transitionsregierung« ironisch bescheinigen, ist eine der Ursachen dafür, dass sich an diesem Sonntag vor den Wahllokalen lange Reihen von Wartenden bilden werden. Ein neuer Präsident und ein Parlament sollen gewählt werden, und nach ihrer Meinung zu diesem Thema gefragt zu werden, ist für die Bürger eine neue Erfahrung. Vor allem im Osten des Landes, der am meisten unter den zehn vergangenen Kriegsjahren zu leiden hatte, wird die große Mehrheit der Menschen voraussichtlich zu den Wahllokalen streben. Ein Ende des ungeliebten Übergangsregimes, dass die größeren Kriegsparteien des Landes an der Macht beteiligte, dürfte für die meisten Grund genug sein, über die Ungereimtheiten hinwegzusehen.

An »freie, demokratische und transparente Wahlen«, wie sie die Wahlkommission gemeinsam mit der »internationalen Gemeinschaft« verspricht, wollen Angehörige der Opposition und viele potenzielle Wähler nicht glauben. Morde an Journalisten, gewaltsame Angriffe auf Wahlkampfveranstaltungen und Polizeischüsse auf Demonstranten häuften sich in den vergangenen Wochen und scheinen den Skeptikern Recht zu gegen. Die Uno-Blauhelmmission Monuc hat vorsichtshalber die Europäische Union um die Entsendung einer Interventionstruppe gebeten, deren 2000 Soldaten in den nächsten vier Monaten gemeinsam mit der Monuc weitere gewalttätige Auseinandersetzungen verhindern sollen.

Dass diese Wahlen keinen demokratischen Neuanfang darstellen werden, prophezeit die größte Oppositionspartei UDPS (Union pour la Démocratie et le Progrès Social) schon seit langem. In den neunziger Jahren war sie die bedeutendste zivile Widerstandsorganisation gegen die Diktatur von Joseph Mobutu und forderte immer die Demokratisierung. Die Wahlen am Sonntag boykottiert sie jedoch.

»Die Wahlen werden die Zerstörung dieses Landes sein«, behauptet etwa Valentin Mubake aus der Führung der UDPS. »Die Wahlen sollen ein Vorzeigeprojekt sein, aber dahinter verbirgt sich eine Maskerade, um Plünderer und ihre ausländischen Unterstützer zu legitimieren.« Die »internationale Gemeinschaft« unterstütze die ehemaligen Kriegsherren, allen voran den Übergangspräsidenten Joseph Kabila, weil diese »willfährigen Puppen« die Reichtümer des Landes ausländischen Interessenten preisgäben.

Dabei ist die Partei bei der Wahl ihrer Mittel aber selbst nicht zimperlich, homophobe und xenophobe Aussagen gehören seit längerem zu ihrem Repertoire. Am schwersten wiegt dabei die Anschuldigung, Präsident Kabila sei ausländischer Herkunft, ein Agent des verhassten Kriegsgegners Ruanda. Diese Äußerung kann die verbliebenen Anhänger der Partei vielleicht zu Demonstrationen bewegen, trägt aber wohl kaum zu jener »demokratischen Kultur« bei, die die UDPS angeblich anstrebt. Denn der politische Ausschluss der ruandischsprachigen Kongolesen war einer der wichtigsten Gründe für den Bürgerkrieg.

Doch die Warnung der UDPS, der Kongo werde vom Westen neokolonial vereinnahmt, findet unter vielen Kongolesen Anklang. Schließlich erlebte das Land den Kolonialismus in besonders brutaler Form, und während des Kalten Kriegs unterstützte der Westen den Autokraten Mobutu großzügig finanziell und militärisch. Dass aus dem Westen nun nur noch Wohltaten kommen, kann sich kaum jemand vorstellen.

Tatsächlich haben einige große Bergbauunternehmen bereits wieder Interesse daran bekundet, in die Ausbeutung der reichhaltigen kongolesischen Bodenschätze zu investieren. Die Übergangsregierung hat ihre Amtszeit genutzt, um alle möglichen Konzessionen für den Abbau von Rohstoffen zu Spottpreisen zu verscherbeln. Diese Verträge bringen dem Staat kaum etwas ein, aber die vermuteten inoffiziellen Zahlungen füllen wohl die Bankkonten der beteiligten Politiker. So hat ausgerechnet der Belgier George Forrest, seit langem eine ebenso bedeutende wie windige Figur im kongolesischen Bergbau, in jüngerer Zeit Konzessionen für große Kupferabbaugebiete in der Provinz Katanga erhalten. Dass Forrest gute Beziehungen sowohl zu Präsident Kabila als auch indirekt zu Louis Michel unterhält, dem belgischen EU-Entwicklungskommissar, lässt allerlei Vermutungen aufkommen.

Zudem haben sich, ohne dass von der internationalen Gemeinschaft Protest gegen diesen gravierenden Verstoß gegen die Friedensverträge zu hören war, einige zur Wahl stehende Politiker Privatarmeen erhalten. Allen voran Präsident Kabila, dessen Prätorianergarde 15 000 Soldaten zählen soll, die er in den vergangenen Monaten nach und nach über das gesamte Land verteilt hat.

Doch Kabila ist nicht nur finanziell der stärkste Kandidat, sondern vermutlich auch der populärste. Deshalb wird er wohl nicht putschen müssen, um an der Macht zu bleiben. Um Wähler wirbt er vor allem mit »seiner« Bilanz: dem »Frieden« im Land, der Wiedervereinigung nach Jahren der Aufspaltung in von verschiedenen Guerillaarmeen kontrollierte Gebiete und dem »gehaltenen Versprechen, das kongolesische Volk zu den Wahlen zu führen«. Ein Wahlsieg Kabilas ist wahrscheinlich, da er im Osten des Landes beliebt ist. Zudem ist seine Partei PPRD landesweit präsent, während die meisten anderen Organisationen nur in bestimmten Regionen existieren.

Doch physische Anwesenheit ist unumgänglich, möchte man in einem Land ohne überregionale Medien Wähler an sich binden. Die meisten Fernsehsender können nur in der Hauptstadt Kinshasa empfangen werden, und von den Radiosendern erreicht nur das Uno-Radio Okapi annähernd ein landesweites Publikum. Die 33 Präsidentschaftskandidaten müssen sich also zu den Wählern bewegen, und dazu braucht es in einem Land von der Größe Westeuropas, in dem mangels Straßen Flugzeuge das einzige Fernverkehrsmittel sind und die Mehrheit der Wähler in ländlichen Gebieten ansässig ist, große finanzielle Mittel.

Einer, der große Reichtümer angehäuft haben soll und dem deshalb die Chance auf eine Stichwahl gegen Kabila zugeschrieben wird, ist Pierre Pay Pay. Der ehemalige Minister und Zentralbankchef unter Mobutu gilt als Technokrat, er wirbt damit, »anders regieren zu wollen«. Da er lange Jahre im französischen Exil verbracht hat, gilt er, im Gegensatz zu den Kandidaten aus den Reihen der Warlords, als nicht belastet mit Kriegsverbrechen. Ungeklärt ist allerdings, wie Pay Pay, auch »Mister Cash« genannt, sein Vermögen angehäuft hat. Der zurückhaltende Ökonom kommt auch in internationalen Kreisen gut an, und er konnte viele kleinere Parteien in sein Bündnis Codeco integrieren.

Andere Kandidaten gelten als chancenlos. Die ehemaligen Warlords und derzeitigen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba und Azarias Ruberwa sind außerhalb ihrer regionalen Hochburgen unpopulär. Langjährige Opposi­tionelle wie Antoine Gizenga gelten als verbraucht. Catherine Nzuzi, eine von vier Kandidatinnen und Anführerin der ehemaligen Einheitspartei MPR, sowie der Kandidat Nzanga Mobutu, ein Sohn des verstorbenen Diktators, ersehnen wohl vergeblich eine Mobutu-Nos­talgie in der Wählerschaft.

Die internationale Gemeinschaft hofft derweil, die Wahlen ohne große Zwischenfälle begleiten zu können. Nachdem die erste Kriegsphase Ende der neunziger Jahre ohne Schlichtungsversuche vergangen war, wurde das internationale Engagement immens verstärkt. Die Monuc ist mit 16 000 Soldaten die derzeit größte und teuerste UN-Truppe der Welt, und die Wahlen sind das schwierigste, größte und teuerste Unternehmen dieser Art, das jemals maßgeblich von den Vereinten Nationen organisiert worden ist. Ein Misserfolg hätte wohl negative Auswirkungen auf das gesamte Engagement der westlichen Staaten in Afrika, auf jeden Fall würde er »das Ende der internationalen Geduld« bedeuten, wie es ein hoher UN-Mitarbeiter ausdrückt.

Das internationale Engagement selbst blieb allerdings auch nicht gerade ohne Skandale. Im Jahr 2004 musste die Monuc zugeben, dass Blauhelmsoldaten in der Stadt Bunia sexuellen Missbrauch an Flüchtlingskindern begingen. Vor einigen Wochen wurde die Truppe in einem britischen Dokumentarfilm beschuldigt, bei Einsätzen gegen Rebellen im Osten des Landes mit Artillerie auf Zivilisten gefeuert zu haben. Zudem macht die Monuc mit der angeblich reformierten Armee FARDC, die regelmäßig schwere Menschenrechtsverbrechen begeht, gemeinsame Sache.

So schafft auch das internationale Engagement nicht die besten Voraussetzungen für eine liberale demokratische Staatlichkeit. Die neue Regierung, wer auch immer sie bildet, wird mit großen Problemen wie einer undisziplinierten Armee, einem zertrümmerten Verwaltungsapparat und dem Mangel an offiziellen Staatseinnahmen konfrontiert sein. Diese Faktoren schränken die Handlungsfähigkeit jeder Regierung, ob demokratisch gewählt oder nicht, stark ein. Autoritäre Lösungen werden auch weiter ein Mittel gegen politische Bedrohungen sein. Denn dass Wahlverlierer wieder zu den Waffen greifen könnten, ist momentan zwar nicht zu erwarten, bleibt aber für alle Beteiligten eine Option.

Was also kommt nach »1 + 4 = 0«? Demokratie wird es vorerst nicht sein, höchstens eine Annäherung an demokratischere Verhältnisse. Man darf gespannt sein auf die nächste Untersuchung über die Meinung der Kongolesen über ihre Obrigkeit. »Wenn der Staat eine Person wäre«, wurde in einer Umfrage der Weltbank vor einem Jahr gefragt, »wie würden Sie mit ihm umgehen?« Viele der Befragten antworteten offenherzig: »Ihn töten.«