Aus Liebe zu Frankreich

Der Springer-Verlag will den Franzosen eine eigene Bild-Zeitung schenken. Aber wollen die Leser ein Boulevardblatt deutscher Herkunft? von bernhard schmid

In wenigen Wochen soll es so weit sein: Dann wird Axel Springer France, der Ableger des deut­schen Zeitungsverlags westlich des Rheins, der Berliner Direktion eine Nullnummer der geplanten französischen Bild zur Probe vorlegen. »Ab Herbst 2007« – so berichtete das Handelsblatt vor ein paar Wochen, soll eine solche Pub­likation täglich auf dem französischen Zeitungsmarkt erscheinen. Der Verlag ist bereit, dafür 100 Millionen Euro zu investieren. Dies bestätigte der Geschäftsführer von Axel Springer France, Rémy Dessarts, Mitte Juli gegenüber dem Manager-Magazin.

Das von Axel Cäsar Springer begründete Verlagshaus ist heute der größte Zeitungsverleger auf dem europäischen Kontinent. Dies verdankt er im Wesentlichen dem Massencharakter der Bild, die mit einer Auflage von vier Millionen verkauften Exemplaren – und geschätzten zwölf Millionen täglichen Lesern – in Frankreich kein Pendant hat.

Besonders der Zeitungsmarkt zwischen dem ­Är­mel­kanal und den Pyrenäen hat es der Springer-Gruppe angetan, eben deshalb, weil es dort bislang kein französisches Boulevardblatt mit auch nur halbwegs ähnlichem Erfolg gibt. In Polen unterhält Bild bereits seit April dieses Jahres einen Ableger außerhalb Deutschlands – Dziennik. Im Land der Gallier und Gaullisten wiederum vertreibt der Verlag bereits vier Zeitschriftentitel, die jedoch nicht sonderlich gut laufen und eher eine Türöffnerfunk­tion zu erfüllen scheinen. Insgesamt erzielt der Verlag einen jährlichen Umsatz von rund 40 Mil­lionen Euro. So verfügt Springer in Frankreich u.a. über das Télé Magazine und die 2002 mit viel Aufwand lancierte Frauenzeitschrift Bien dans ma vie, um die es eher still geworden ist.

Einen größeren Gewinn erzielt der Verlag hingegen mit der Automobilzeitschrift Auto Plus, die in einem Joint-Venture-Geschäft mit dem Zeitschriftenverlag Emap – beide Seiten übernahmen 50 Prozent der Anteile – herausgegeben wird. »Wir werden in einem Zeitraum von zehn Jahren expandieren », sagte der Chef von Axel Springer France, Dessarts, im April 2002. Wer auf so lange Sicht hin planen kann, darf sich auch einige Verlust oder Rückschläge zwischendurch erlauben.

Das neue Großprojekt des Verlags besteht nunmehr in dem Versuch, mit einer Kopie der Bild den französischen Zeitungsleser an das Schmuddel­format heranzuführen. Als ihr Chefredakteur soll – vorläufig jedenfalls – der Geschäftsführer des Verlagsablegers Rémy Dessarts firmieren. Die nötige Erfahrung mit dem Tageszeitungsgeschäft bringt der Journalist Didier Pourquery mit. Er war als Verlagschef bei Métro, einer von mitt­lerweile drei großen Gratistageszeitungen in Frankreich, tätig, wobei Métro das niedrigste publizistische Niveau besitzt.

Sollte dem Verlag der Durchbruch mit einer fran­zösischen Variante von Bild gelingen, so würde dies eine nachhaltige Veränderung der französischen Presselandschaft bedeuten. Denn ein mit dem Bild-Stil vergleichbarer Gossenjournalismus existiert bisher in Frankreich auf überregionaler Ebene nicht, jedenfalls nicht im Zeitungsformat – anders sieht es bei Regenbogenzeitschriften wie Gala und Voici im Revueformat aus.

Ein Grund dafür, dass bisher in Frankreich keine mit Bild oder auch The Sun und Daily Mirror vergleichbare Massenpresse existiert, dürfte ein aus der Aufklärung herübergerettetes Bil­dungs­ideal der französischen Bour­geoisie sein. Dieser Anspruch wurde auch in die »Unterklassen« der Gesellschaft hinein vermittelt.

In Frankreich wurde das Entstehen einer massenwirksamen Regenbogenpresse zunächst auch durch ein Pressegesetz aus dem Jahre 1970 verhindert, das den Schutz der Privatsphäre in den Vordergrund stellte. Die Zeitungen wurden somit eine Zeit lang effektiv daran gehindert, intime Berichte über das Privatleben von Prominenten zu veröffentlichen. Schließlich erlebte jedoch, vor allem seit den neunziger Jahren, eine Schmuddelpresse ihren Aufschwung in Form der schmierigen Magazine Voici und Gala und des Revolverblatts Le Nouveau Dé­tective. Aber diese Regenbogenpresse, die heute auch immerhin auf eine Gesamtauflage von 2,5 Millionen kommt, entwickelte sich stets außerhalb und getrennt von der «Informations­presse» der Tageszeitungen und Wochenmagazine.

Auch die beiden größeren Boulevardzeitungen hielten Jahrzehnte hindurch ein Niveau, das um Lichtjahre von dem der deutschen und britischen Titten-, Sensations- und Hetzblätter entfernt blieb. Da gab und gibt es erstens Le Parisien: Diese vor allem in der Pariser Region verbreitete Zeitung, die im übrigen Frankreich unter dem Titel Aujourd’hui erscheint, hatte ur­sprünglich das Profil einer bürgerlichen Zeitung, gewann aber in den achtziger Jahren einige Leser der früheren kommunistischen Parteipresse aus der Arbeiterschaft hinzu. Aus diesem Grunde nimmt diese Tageszeitung bis heute auf unterschiedliche politische Empfindlichkeiten in ihrer Leserschaft Rücksicht, und berichtet ziemlich ausführlich auch über soziale Themen.

Auch das zweite Boulevardblatt, der weiter rechts angesiedelte France Soir, hatte lange Jahre immerhin noch ein Niveau, das sich positiv von dem der britischen oder deutschen Boulevardpresse abhob. Aber nach dem letzten der unzähligen Eigentümer­wechsel, die das Blatt in den vergangenen Jahren durchmachte, hat der France Soir nach seinem Neustart im Mai 2006 sich erstmals explizit zum Ziel gesetzt, dem Stil von Bild und Sun nachzueifern.

Der Politik- und Kulturteil der Zeitung verschwand weitgehend zugunsten von Klatsch und Tratsch über Prominente und einer ausgedehnten Sensationsberichterstattung. Bisher hat die neue Version von France Soir damit aber nur wenig Erfolg – es ist auch schwer, einen Zeitungstitel wieder zu beleben, der zuvor gründlich gegen die Wand gefahren worden war. Ob Springer mehr Erfolg damit haben wird, das Original aus seinem Hause nach Frankreich zu exportieren – das wird die nähere Zukunft erweisen müssen.