Die Paras kehren zurück

Die kolumbianische Regierung betrachtet die Demobilisierung der Paramilitärs als abgeschlossen. Doch Menschenrechtler zweifeln an der Entwaffnung. von knut henkel

In Kolumbien hat man nicht die Paramilitärs demobilisiert, in Kolumbien ist eine neue mafiöse Macht entstanden«, klagt Iván Cepeda. Der Journalist ist einer der Sprecher der »Bewegung der Opfer von Verbrechen des Staates« und steht der Stiftung Manuel Cepeda Vargas vor. Die nach seinem Vater, dem Senator der Unión Patriótica, benannte Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Hintergründe der Ermordung von rund 4 000 Mitgliedern der linken Partei aufzuklären und an dieses Verbrechen zu erinnern.

Mit seiner wöchentlichen Kolumne in der Zeitung El Espectador ist Cepeda national und international bekannt geworden. In Kolumbien hat ihn seine Arbeit jedoch zum Ziel der Todesschwadrone gemacht. Auf unzähligen schwarzen Listen steht sein Name, und erst im Mai hat Amnesty International eine »Urgent Action« zu seinem Schutz gestartet.

Damals erhielt er eine E-Mail der »Autodefensas Campesinsas Nueva Generación«. Diese »Neue Generation Bäuerlicher Selbstverteidigung« war zuvor noch nie aufgetaucht, und der Name legt nahe, dass es sich um eine Neugründung handelt. Das würde die These Cepedas und vieler Menschenrechtsorganisationen stützen, die behaupten, dass der Demobilisierungsprozess nichts weiter als eine gut inszenierte und medienwirksame Farce ist. Sie glauben nicht, dass die 31 000 Paramilitärs, die der Regierung zufolge bis zum Mai 2006 ihre Waffen abgaben und sich in die Obhut angeblicher Reintegrationsprogramme begaben, nichts mehr mit den paramilitärischen Strukturen zu tun haben.

Das Gegenteil ist der Fall, glaubt Schwester Cecilia Naranjo Botero, die Vorsitzende der kirchlichen Menschenrechtsorganisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz. Am 28. Mai, dem Tag der Präsidentschaftswahlen, war sie im Norden Kolumbiens, nahe der Grenze zu Panama unterwegs. »Wir hatten einen Hilferuf einer indigenen Gemeinde erhalten, und gemeinsam mit Vertretern des Dachverbandes der indigenen Völker fuhren wir mit dem Boot den Río Domingadó hoch. Nach einer halben Stunde Fahrt trafen wir auf die erste paramilitärische Basis und wurden kontrolliert. Später erfuhren wir, dass es deren drei mit insgesamt 1000 Mann unter Waffen gibt«, berichtet die Nonne. Nicht einer der Paramilitärs hätte den Beteuerungen der Regierung zufolge dort sein dürfen.

Die Paramilitärs »sind erledigt«, behauptete im April Luis Carlos Restrepo, der für die Demobilisierung verantwortliche Hochkommissar für Frieden. Dagegen schreibt der Politologe Gustavo Duncan in El Espectador, dass es in Kolumbien längst ein offenes Geheimnis sei, dass hinter der mit großem Medien­echo inszenierten Entwaffnung der paramilitärischen Verbände nicht mehr als eine Umstrukturierung stecke. An Einfluss hätten die Vereinigten Selbstverteidigungsverbände Kolumbiens (AUC) keinesfalls verloren. Auf lokaler Ebene hätten die Paramilitärs längst den Staat übernommen, stellt der Wissenschaftler fest.

Duncan untersucht in einem Forschungsprojekt die Ergebnisse der Kongress- und Kommunalwahlen der vergangenen Jahre, um den politischen Einfluss der Paramilitärs zu eruieren. Der ist beachtlich. So gibt es in mehreren Departements, vor allem an der Atlantikküste, Wahlkreise, in denen zwischen 70 und 90 Prozent der Stimmen auf einen bestimmten Kandidaten entfielen. Derartig eindeutige Ergebnisse weisen nach Ansicht der Forscher der Nichtregierungsorganisation Nuevo Arco Iris auf ein erzwungenes Abstimmungsverhalten hin.

Und auch bei den Kommunalwahlen vom 12. März des Jahres und bei den Präsidentschaftswahlen sind die Paramilitärs auf Stimmenfang gegangen. Darauf deuten mehrere Morde an Bürgermeisterkandidaten in verschiedenen Wahlkreisen, aber auch die systematische Bedrohung von Kandidaten des oppositionellen Demokratischen Pols in Bogotá hin.

Auf lokaler Ebene ist der Einfluss der Paramilitärs immens. »Sie nisten sich ein, dringen in die Institutionen des Landes vor. Das ist eine infame Strategie der Comandantes um Salvador Mancuso (den Oberbefehlshaber des Dachverbands der Paramilitärs). Mindestens 30 bis 35 Prozent der Abgeordneten zählen zu den Paramilitärs, aber man trifft sie auch in den Bürgermeistereien, in der Staatsanwaltschaft und in den Universitäten an«, schildert Naranjo Botero ihre Eindrücke.

Und kaum jemand in Kolumbien glaubt daran, dass die Paramilitärs bei ihrer Demobilisierung, in Bogotá auch als »Legalisierung« bezeichnet, ihre Waffen abgegeben haben. Offiziellen Angaben zufolge sind um die 13 000 Waffen abgegeben worden, doch die Zahl der AUC-Kämpfer ist mehr als doppelt so hoch. Deren Zahl stieg während der Verhandlungen über die Demobilisierung von Woche zu Woche an. Aus ursprünglich 10 000 bis 12 000 Paramilitärs, die es Aussagen der AUC zufolge im Jahr 2002 gab, wurden bis Anfang Mai 2006 31 000 Kämpfer.

Eine wundersame Vermehrung, der die wundersame Verminderung des Waffenarsenals gegenübersteht. Das könnte zu einer Einschüchterungsstrategie der zumindest teilweise zivil auftretenden Paramilitärs gehören. Drei Monate erhalten die demobilisierten Kämpfer Lohn und Unterkunft auf Staatskosten. Danach werden sie sich selbst überlassen, ob reintegriert oder nicht. Die Aufklärung der von ihnen verübten Straftaten ist eher zweitrangig.

Dagegen wehren sich Menschenrechtler. Sie kritisieren die staatlich verordnete Straflosigkeit, die mit dem am 21. Juni 2005 erlassenen Gesetz »Gerechtigkeit und Frieden« einhergeht. Selbst die New York Times wertete das Gesetz damals als »Kapitulation Kolumbiens«, und der Kreis der Organisationen, die sich gegen das von der Regierung verordnete Vergessen wehren, wird zusehends größer. Beim dritten Treffen der »Bewegung der Opfer von Verbrechen des Staates« (MVCE) waren Mitte Juli immerhin 1 200 Delegierte aus allen Landesteilen in Bogotá zugegen, angereist war auch eine Delegation der Madres de Plaza del Mayo aus Argentinien.

Das ist ein Hinweis auf eine Tendenz zur Internationalisierung der Bewegung, die auch von den ehemaligen Comandantes der Paramilitärs um Salvador Mancuso registriert wurde. Die polemisierten im Internet gegen den »humanitären Fundamentalismus«, der in Kolumbien zunehmend an Einfluss gewänne. Immerhin so viel, dass der Generalstaatsanwalt nicht umhin kam, mit Vertretern der Bewegung wie Cepeda über deren Forderungen zu sprechen.