Nebenan in Beirut

15 000 Menschen aus dem Libanon leben in Berlin. Einige von ihnen hat nicole tomasek zu ihrer Meinung zum gegenwärtigen Krieg mit Israel befragt

Ich war selbst vor einer Woche dort. Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm wird«, berichtet Bilal von seinem Besuch im Libanon. Der Mann ist knapp 30 Jahre alt. Er sitzt in einem libanesischen Imbisslokal im Berliner Stadtteil Kreuzberg und empört sich. Große Zerstörungen und verletzte Menschen habe er gesehen. In seine kleine Zweizimmerwohnung in Beirut seien mehrere Familien geflüchtet und lebten dort nun auf engstem Raum.

Doch nicht nur in Beirut wird enger zusammengerückt. Mohammed arbeitet in dem Imbisslokal. Seiner Ansicht nach zeigt sich die libanesische Community in Berlin äußerst solidarisch. Das neue Zusammengehörigkeitsgefühl beschreibt er so: »Wir halten alle zusammen, egal, welcher Religion wir angehören. Wir sind alle Libanesen. Wenn unser Land angegriffen wird, sind wir alle eine Familie.« In Berlin leben ungefähr 15 000 Menschen, die aus dem Libanon stammen. Vom Krieg sind alle betroffen.

»Sehr viele von unseren Betreuten und Kollegen waren im Libanon und kommen jetzt langsam zurück. Wir stellen fest, dass wir jetzt ganz schnell reagieren müssen, weil die Kinder traumatisiert sind«, sagt Abol-Ella vom Arabischen Frauenverein al-Dar, dem viele Libanesinnen angehören. »Wir sind nicht politisch oder konfessionell gebunden. Bei uns geht es um die Kultur und nicht um die Religion«, meint sie weiter. Auch die Maronitische Christliche Versammlung Berlin sammelt Spenden für alle Menschen im Libanon, egal ob Sunniten, Schiiten, Drusen oder Christen. Die Maronitische Kirche ist die älteste christliche Glaubensgemeinschaft im Libanon.

Die Libanesische Gemeinde in Berlin, die fast täglich Kundgebungen und Demonstrationen mitorganisiert, bezeichnet sich ebenfalls als überkonfessionell und unpolitisch. »Wir gehören zu keiner der Parteien im Libanon. Wir sehen den Krieg von einer neutralen, zivilisierten Ebene aus, eigentlich aus der Sicht der Zivilisten, die angegriffen und getötet werden«, meint Mohammed Beidoun, ein engagiertes Gemeindemitglied. Verständnis für die nicht zivile Seite hat er dann aber doch. Seine Solidarität erstreckt sich auch auf die islamistische Hizbollah: »Das ist ein Widerstandskampf. Ob er von der Hizbollah oder anderen geführt wird, ist mir egal. Es gibt besetzte Gebiete im Libanon. Die Israelis sind im Mai 2000 größtenteils abgezogen, aber mehrere Teile des Landes haben sie immer noch unter ihrer Kontrolle. Alle nationalen Kräfte kämpfen dafür, Israel mit diplomatischen Mitteln aus diesen Gebieten zu verdrängen. Die Hizbollah ist eben eine dieser Gruppen, die militärisch vorgeht.«

Die Meinung von Beidoun teilen anscheinend auch Bilal und Mohammed. »Hier nennt man die Hizbollah eine Miliz, dort nennt man ihren Kampf Widerstand«, will Bilal über vermeintliche Missverständnisse aufklären. In dem Imbiss, in dem Bilal etwas isst und Mohammed arbeitet, liegen zahlreiche Aufrufe zu Demonstrationen und Veranstaltungen gegen den Krieg im Libanon. Mohammed sieht die Dinge so ähnlich wie sein Gast: »Die Hizbollah gehört zu uns, das ist unser Volk. 90 Prozent der Bevölkerung sind für die Hizbollah. Aber ist sie eine Terrororganisation, wie die Amerikaner sie klassifizieren? Nein, das stimmt nicht. Die machen nur Terror wegen Israel. Wir müssen eben unser Land verteidigen.« Sein Kollege Ahmed pflichtet ihm bei: »Wenn du eine Wohnung hast und da kommt einer rein, dann musst du auch deine Wohnung verteidigen. Genau so ist das im Fall Israels und des Libanon.«

Im Fenster eines libanesischen Cafés in Berlin-Neukölln hängt ein Plakat, das für eine Diskussionsveranstaltung der Gruppe Linksruck zum Krieg Israels gegen die Hizbollah wirbt. Die trotzkistische Organisation bezeichnet die Hamas und die Hizbollah als »Teile des rechtmäßigen palästinensischen Widerstands«. Der Bruder des Cafébesitzers ist zu einem Gespräch bereit, möchte aber anonym bleiben. Er befürchtet, im Nachhinein als »Terrorist« bezeichnet zu werden. Dabei gibt er sich zunächst antimilitaristisch. »Von uns aus können sich die Armeen gegenseitig zerschlagen. Aber sie sollen die Bevölkerung in Frieden lassen. Seit der Krieg begonnen hat, gibt es nur Opfer unter Zivilisten. Die Bevölkerung leidet immer nur«, klagt er. Dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Hizbollah steht, ist für ihn klar: »Die Menschen müssen an etwas glauben. Sie haben keine andere Wahl. Die Hizbollah ist ganz in Ordnung, sie befreit ihr Land.« Der Terror komme seiner Meinung nach von der anderen Seite: »Also, ich habe nichts gegen Israel oder die Menschen, die dort leben. Aber egal, was sie sagen, sie sind selbst Terroristen.« Doch er weiß noch mehr über die Israelis: »Es geht ihnen nur um das Geld. Sie sind doch bekannt dafür, dass sie Geschäftsleute sind.« Zwar räumt er ein: »Es gibt genug Platz für alle Menschen, um zu leben. Ich meine, die Israelis sind jetzt da, man kann sie nicht vertreiben.« Aber an ein friedliches Zusammenleben könne er nicht glauben.

Auch Mohammed teilt diese Meinung. »Wir können nicht zusammen leben, das geht nicht. Es wird nie Frieden geben«, sagt er. Dann macht er einen Vorschlag, den man in den vergangenen Monaten zuweilen aus Teheran gehört hat: »Wenn die Amerikaner die Juden so sehr lieben, dann sollen sie Israel doch an einem anderen Ort errichten, in Südamerika oder auf irgendeiner Insel. Es gibt doch so viel Platz da.«