Nur der Pfarrer bleibt unbehelligt

Die polnische Regierung hat ein Gesetz zur Überprüfung der Mitarbeit im früheren Geheimdienst SB beschlossen. Künftig werden auch Bäckereiangestellte überprüft. von oliver hinz

Die polnische Regierung will sich nicht nachsagen lassen, zu lasch gegen ehemalige Spitzel des polnischen Geheimdienstes vorgegangen zu sein. Daher gilt in Polen künftig eines der schärfsten Durchleuchtungsgesetze Europas. Etwas über 17 Jahre nach Ende des realsozialistischen Regimes beschloss das Parlament vor zwei Wochen, dass neben Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes u.a. auch Anwälte, Journalisten und die Vorsitzenden von Staatsfirmen eine Bescheinigung des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) darüber vorlegen müssen, ob sie mit dem Geheimdienst SB zusammengearbeitet haben. Eine Zusammenarbeit stellt dem Gesetz zufolge einen Entlassungsgrund dar. Außerdem sollen die Namen von einstigen Geheimpolizisten und Informanten im Internet veröffentlicht werden.

Alle Agenten zu enttarnen, war ein zentrales Wahlversprechen der seit Oktober regierenden rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Der Kampf gegen die ehemaligen Seilschaften ist in Polen äußerst populär. Immer wieder wird kolportiert, dass Mitglieder solcher Gruppen Unternehmen kontrollierten. Nur die aus der Kommunistischen Arbeiterpartei hervorgegangene sozialdemokratische SLD stimmte gegen das Gesetz.

Bisher mussten nur Abgeordnete, Senatoren, Minister und hohe Beamte, insgesamt etwa 27 000 Personen, eine so genannte Lustrationserklärung abgeben. Darin mussten sie selbst eine Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst offen legen. Ein Geständnis hatte formal keine Konsequenzen. Wer falsche Angaben machte, wurde von einem Lustrationsgericht für zehn Jahre von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen.

Das neue Gesetz erlaubt nun zum Beispiel sogar Bäckereien, von ihren Angestellten eine Bescheinigung des IPN zu verlangen. Betroffen sind alle, die vor dem 1. August 1972 geboren wurden, also älter als 34 Jahre sind. Pflicht ist die Überprüfung allerdings nur für etwa 150 000 Menschen. Dazu gehören fast alle Personengruppen des öffentlichen Lebens: von Lehrern und Wissenschaftlern bis zu Stadträten und Diplomaten.

Vertreter der liberalen Opposition kritisieren, das neue Gesetz behandle alle, über die irgendwelche Dokumente in den Archiven der Geheimpolizei erhalten geblieben sind, gleich. Zudem laute die undemokratische Botschaft des Gesetzes: »Wir veröffentlichen die Akten, ihr könnt machen, was ihr wollt. Geht vor Gericht und beweist, dass die Akten falsch sind.« Weil die bisherigen Lustrationsgerichte angeblich zu milde urteilten, werden sie durch Sondergerichte des IPN, das als Regierungsbehörde die kommunistische und nationalsozialistische Vergangenheit in Polen aufarbeitet, ersetzt.

Von den erweiterten Überprüfungen profitieren alle jungen Leute, die nicht älter als 34 Jahre sind. Die linksliberale Warschauer Tageszeitung Gazeta Wyborcza kommentierte dies mit den Worten: »Sie sind qua Geburt moralisch sauber. Die PiS setzt auf die Jungen. Nur ihnen traut sie.«

Obwohl Studien der IPN zufolge rund zehn Prozent der katholischen Priester wissentlich oder unwissentlich mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet haben, werden Kirchenmitarbeiter in dem neuen Gesetz von der Überprüfung ausgeschlossen. Zuletzt hat mit Michal Czajkowski ein angesehener Theologieprofessor seine Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst zugegeben. Die Ausnahmeregelung begründete Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski so: Die Kirche sei das Wertesystem der Gesellschaft.

Offiziell wurde bisher etwa 25 000 Polen der Status als Opfer des Geheimdienstes zugestanden. Das Interesse an den Akten hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Rund 100 000 Interessierte lasen, was die frühere Staatssicherheit über sie zusammengetragen hat.