Ein Krieg für jedermann

Warum ein einfacher Leserbrief um die Welt geht und Israel den Kampf um die libanesische Öffentlichkeit bereits verloren hat. von götz nordbruch

Mounir Herzallah wurde in wenigen Tagen zu einem bekannten Mann. Ende Juli erschien im Tagesspiegel ein mit »Dr. Mounir Herzallah, Berlin-Wedding« unterzeichneter Leserbrief. Aus eigener Anschauung berichtete der Verfasser, den es den Angaben des Tagesspiegel zufolge wirklich gibt, und der erklärt, bis zum Jahr 2002 in einem südlibanesischen Dorf gelebt zu haben, davon, dass die Hizbollah Schulen und Krankenhäuser als Tarnung für ihre Waffenlager benutze. »Ein lokaler Scheich erklärte mir lachend, dass die Juden in jedem Fall verlieren, entweder weil die Raketen auf sie geschossen werden oder weil sie, wenn sie die Lager angriffen, von der Weltöffentlichkeit verurteilt werden, ob der dann zivilen Toten.«

Mittlerweile kursiert der kurze Text in verschiedenen Sprachen, unter anderem auf Englisch, Russisch, Japanisch und Hebräisch geht er durch die Onlineforen, Google findet Hunderte Einträge, in denen er dokumentiert und diskutiert wird. Für die Befürworter der israelischen Politik sind diese Zeilen eine Bestätigung, für Kritiker handelt es sich um eine Fälschung. Sie mutmaßen, dass der Verfasser des Briefes, der es selbst bis in den offiziellen Newsletter der israelischen Botschaft in Deutschland geschafft hat, gar nicht existiert.

Dabei ist keine Information, die darin enthalten ist, wirklich neu. Allein die vermeintliche Authentizität einer solchen Stimme ließ dem Leserbrief eine solche Aufmerksamkeit zuteil werden. Die Bedeutung, die ihm zugemessen wird, zeigt einen Wandel der israelischen Strategie, die Luftangriffe zu rechtfertigen. Während in den ersten Tagen des Kriegs das Argument der Selbstverteidigung im Vordergrund stand, sieht sich Israel nach dem verheerenden Luftangriff auf den südlibanesischen Ort Kana unter großem diplomatischen Druck.

Daran sind auch die Bilder schuld, die bereits Stunden nach den Angriffen in aller Welt gesendet und gedruckt wurden. Web­logs und Internetforen werden zu einem wichtigen Faktor im Kampf um die öffentliche Meinung. Die Verbreitung eines Leserbriefs aus einer deutschen Zeitung ist dafür nur ein Beispiel. Ein anderes sind die diversen »Ungereimtheiten«, die manche Blogger nach dem Angriff auf Kana in der Berichterstattung ausgemacht haben wollen und aus denen sie schließen, dass es sich bei den Bildern aus Kana um eine »Inszenierung der Hizbollah« handle.

Das behauptet auch die israelische Seite. In kaum einer offiziellen Erklärung fehlt neben einem Ausdruck des Bedauerns über die zivilen Opfer der Hinweis auf eine angebliche gezielte Inszenierung der Katastrophe. Mit ähnlichen Argumenten versucht Israel, die Stimmung in der libanesischen Bevölkerung zu beeinflussen. Flugblätter, die von Flugzeugen im Süden des Libanon abgeworfen wurden, zeigen Hassan Nasrallah, den Generalsekretär der Organisation, mit einem Schild, an den eine libanesische Familie gekettet ist. Die Botschaft: Wir wollen nicht die Bevölkerung bekriegen, sondern das Land aus der Geiselhaft der Hizbollah befreien.

Für viele arabische Beobachter ist dieser Kampf um die libanesische Öffentlichkeit allerdings verloren, zu deutlich sind die Parallelen zum Krieg der USA im Irak und den dort gemachten Fehlern. Auch im Irak wurde der Krieg als Beitrag zur Befreiung und Demokratisierung gerechtfertigt, was nichts daran änderte, dass die Ablehnung in der Bevölkerung stetig wuchs.

»Was wir hier beobachten, sind die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens«, sagte kürzlich die US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice und bestätigte damit unfreiwillig ein zentrales propagandistisches Motiv der Hizbollah. Denn diese behauptet, nicht allein für die Interessen der Schiiten zu kämpfen, sondern den gesamten Libanon und letztlich die arabische Welt gegen eine israelisch-amerikanische Invasion zu verteidigen. Äußerungen wie die von Rice tragen dazu bei, diese Behauptung glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Der Sieg der Hizbollah, sagte Nasrallah wenige Tage später mit Verweis auf die Äußerungen der US-Außenministerin, »wird ein Sieg für den ganzen Libanon sein, ein Sieg all seiner religiösen Gemeinschaften, seiner Regionen und Bewegungen«.

Im Libanon selbst zeigt diese Propaganda Wirkung, wie in einer aktuellen Umfrage deutlich wird, die vom Beirut Centre for Research and Information unter Mitarbeit der Politikwissenschaftlerin Amal Saad-Ghorayeb durchgeführt wurde. Während in den ersten Tagen des Konfliktes insbesondere in der nichtschiitischen Bevölkerung noch deutliche Kritik an der Hizbollah geäußert wurde, schlug die Stimmung bereits nach wenigen Tagen um. Der Grund dafür, meint Saad-Ghorayeb, sei die mittlerweile weit verbreitete Einschätzung, dass es Israel nicht um die Befreiung der beiden entführten Soldaten gehe, sondern um eine lange zuvor und zusammen mit den USA geplante Neuordnung des Libanon. 87 Prozent aller befragten Libanesen bekräftigen ihre Unterstützung für die schiitische Miliz, bei den christlichen Libanesen ist dieser Wert mit 80 Prozent kaum niedriger als im Durchschnitt. Ähnlich wie die Iraker würden damit auch die Libanesen den Wunsch, ihnen mit einem Krieg die Freiheit zu bringen, ablehnen, glaubt Saad-Ghorayeb. Dieser Wunsch sei für viele nichts als ein »kiss of death«.

Diese Sicht teilen inzwischen auch arabische Kommentatoren, die der Hizbollah zuvor ablehnend gegenüberstanden. Selbst in ägyptischen und saudi-arabischen Medien, die die Entführung der beiden israelischen Soldaten als Versuch des Iran deuteten, die Region zu destabilisieren, erscheinen die Angriffe der Hizbollah immer häufiger als legitimer Widerstand gegen eine von den USA und Israel erzwungene neue Ordnung. Während das Programm des Fernsehsenders al-Jazeera aus Katar seit Wochen von den Bildern der Toten bestimmt wird, gab sich der saudisch orientierte Sender al-Arabiyya zunächst verhalten, weil man fürchtete, der Krieg könne der Hizbollah und damit dem Iran weitere Sympathien in der eigenen Bevölkerung einbringen. Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung und der Zahl der Opfer auf libanesischer Seite schien den Machern des Senders eine solche Zurückhaltung schließlich nicht mehr länger möglich. Nun zeigt die Homepage des Senders das Bild »Guer­nica« von Pablo Picasso, unterlegt mit Fotos von den Toten aus Kana – ein Motiv, das in vielen Variationen schon vorher von arabischen Autoren bedient wurde.

Angesichts solcher Darstellungen drohen die israelischen Appelle an die libanesische Bevölkerung zu verhallen. Gerade die ständig wiederholte Erklärung der israelischen Regierung, auch im Interesse der libanesischen Bevölkerung zu handeln, scheint dabei die Ablehnung Israels nur noch zu bestärken – fast so, wie es der Scheich der Hizbollah gegenüber dem Leserbriefschreiber Mounir Herzallah vorhersagte.