Sieben Tage in Blau-Gelb

Die Leichtathletik-EM in Göteborg soll ein sportliches, organisatorisches und ökonomisches Erfolgserlebnis für Schweden werden. Athleten wie Stefan Holm, Christian Olsson oder Karolina Klüft sind in ihrem Land Megastars. von bernd parusel, stockholm

Die frustrierende 0:2-Niederlage gegen die deutsche Elf im Achtelfinale der Fußball-WM vor etwas über einem Monat hat man in Schweden schnell abgehakt. Die blau-gelben Fahnen wehen jetzt für die schwedischen Leichtathleten, die diese Woche bei der EM im eigenen Land für einen Medaillenregen sorgen sollen. Mit geradezu manischer Begeisterung will sich das kleine Land als eine führende europäische Sportnation profilieren. Die Stadt Göteborg und der schwedische Staat hoffen auf Millioneneinnahmen durch die 1 400 angereisten Athleten, 2 000 Medienleute und zehntausende Zuschauer. Der nationale Leichtathletikverband Friidrottsförbundet setzt darauf, dass seine Sportler, die in Schweden ohnehin schon Megastars sind, noch mehr Jugendliche animieren, einem Verein beizutreten und Profi­sportler zu werden.

Der Dreispringer Christian Olsson ist ein Musterbeispiel dafür, welche Bedeutung die Austragung eines sportliches Großereignisses haben kann. Als Göteborg 1995 Gastgeber der Leichtathletik-Weltmeisterschaft war, teilte der damals 15jährige im Ullevi-Stadion Programmhefte aus und sah dabei dem Briten Jonathan Edwards zu, wie er mit 18,29 Metern Weite einen noch heute gültigen Weltrekord erzielte. Mittlerweile lebt Olsson in Monte Carlo, hat selbst einen Weltmeistertitel, und bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen holte er Gold.

Auch wenn die WM vor elf Jahren die Jugend inspirierte, finanziell war sie für den nationalen Leichtathletikverband ein Fiasko. Unter anderem war ein geplatzter Vertrag mit einem Bauunternehmen, der die Fertigstellung eines Sportlerdorfs im Stadtteil Heden fünf Millionen Euro teurer machte als geplant, schuld daran, dass der Verband am Ende mit über zwei Millionen Euro Miesen dastand und beinahe in Konkurs ging. Organisatorisch aber leisteten die Göteborger gute Arbeit. Der für die WM verantwortliche Verbandsfunktionär Ulf Ekelund berichtet, noch heute werde Schweden für seine Logistik international gelobt: »Viele sagen, dass kein anderer Gastgeber auch nur in die Nähe von Göteborg gekommen ist.«

Auch bei der EM diese Woche sollen die organisatorischen Dinge wieder vorbildlich klappen, hofft man, und um diesmal finanzielle Risiken zu vermeiden, hat der Friidrottsförbundet die Verantwortung für die Ökonomie an die Stadt Göteborg abgegeben. Zudem können sich – anders als noch vor elf Jahren, als die Schweden keine Medaille holten – auch die sportlichen Leitungen der heimischen Athleten sehen lassen. Mindestens fünf Goldmedaillen müsse Schweden bei der EM erzielen, forderten Massenmedien schon vor Wochen.

Neben Dreispringer Olsson zählen auch die Hochspringerin Kajsa Bergqvist, die Siebenkämpferin Karolina Klüft, die Hürdenläuferin Susanna Kallur und der Hochspringer Stefan Holm, der in Schweden auch als Buchautor und mehrfacher Teilnehmer des TV-Ratespiels »På spåret« bekannt ist, zu den Favoriten. Alle sind sie internationale Stars, auch wenn Schwedens EM-Mannschaft vergleichsweise klein ist. Der Friidrottsförbundet stellt nur 69 von insgesamt 1 400 EM-Teilnehmern. In Deutschland und Großbritannien haben sich jeweils 85 Athleten qualifiziert, in Spanien 87 und in Russland, woher die zahlenmäßig stärkste Mannschaft stammt, 118.

Der Terminplan der EM ist so gestaltet, dass die schwedischen Fans gute Chancen haben, ihre Vorbilder live im Fernsehen zu sehen. Am Mittwochabend zu bester Sendezeit ist Stefan Holm an der Reihe, am Freitag Kajsa Bergqvist, samstagnachmittags dann Christian Olsson. Das lokale Organisationsteam LOC, das für Logistik und Programmablauf verantwortlich ist, setzte beim Europäischen Leichtathletikverband EAA durch, dass die insgesamt 47 Finalkämpfe in den unterschiedlichen Disziplinen auf sieben Tage verteilt wurden – bisher waren bei Europameisterschaften sechs Wettkampftage üblich. Durch die Verlängerung kommen die einzelnen Entscheidungen besser zur Geltung, weil weniger Finalkämpfe gleichzeitig oder in geringen Zeitintervallen stattfinden. An den Wochentagen Montag bis Freitag werden fast alle Endausscheidungen nach 17 Uhr ausgetragen, wenn die meisten Fernsehzuschauer Zeit haben, darunter auch Nischensportarten wie die 800- und 1 500-Meter-Wettbewerbe für Rollstuhlfahrer. Nur das 50-Kilometer-Gehen der Männer läuft vormittags.

»In Zusammenarbeit mit der Europäischen Fernseh-Union EBU haben wir eine Verlängerung der EM akzeptiert«, sagt EAA-Präsident Hansjörg Wirz. Der Schweizer begründet die Entscheidung auch damit, dass das Organisationsteam die EM »in die ganze Stadt integriert« habe. Die Eröffnungsfeier fand nicht im Stadion, sondern auf dem Götaplatsen im Stadtzentrum statt, die billigsten Eintrittskarten in die Arena kosten nicht mehr als ein Kinobesuch, und die sportlichen Ereignisse sind eingebettet in ein auf verschiedene Orte in der Innenstadt verteiltes Rahmenprogramm aus Musik und Unterhaltung. Am Hafen wurde ein mit Liegestühlen und Palmen bestückter Sandstrand angelegt. Rund 250 000 Menschen dürften sich während der EM durch Göteborg bewegen.

Bewacht wird alles von rund 1 100 Polizisten. Zwar geht man offiziell nicht von »konkreten Sicherheitsrisiken« aus, wegen des Kriegs im Nahen Osten und möglicher Proteste gegen die EM-Teilnahme Israels ist die Zahl der Polizisten jedoch höher als ursprünglich geplant.

Das LOC, das aus Vertretern des Friidrottsförbundet, des örtlichen Göteborger Leichtathletikvereins, des schwedischen Fernsehens SVT und der kommunalen Veranstaltungsmanager »Got Event AB« und »Göteborg & Co.« zusammengesetzt ist, hofft auf ein »großes positives Volksfest«. Claes Bjerkne, der Direktor von »Göteborg & Co.«, sieht die EM als Chance, das Wirtschaftswachstum in Göteborg anzukurbeln. Außerdem soll die EM als umweltfreundliche Meisterschaft herausgestellt werden. Anders als in anderen Städten ist das Ullevi-Stadion vom Zentrum aus in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar, was die normalerweise zu Großevents unweigerlich dazu gehörenden Verkehrsstaus gering halten dürfte.

Weil der Friidrottsförbundet die finanzielle Verantwortung an die Stadtverwaltung abgegeben hat, bleibt er von einem möglichen Defizit verschont, geht aber auch im Fall eines Gewinns leer aus. Die Funktionäre um den Verbandsvorsitzenden Yngve Andersson hoffen deshalb, dass die schwedischen Athleten Erfolge feiern und die Sponsorengelder weiter fließen. Die schwedische Leichtathletik befinde sich auf einer »extremen Erfolgswelle«, sagt Andersson. Nach jeder Medaille für einen schwedischen Athleten riefen Eltern beim Verband an und erkundigten sich, wie sie ihre Kinder in einem Sportverein anmelden können. Fast jeder Schwede kennt Ullevi, das größte Outdoor-Stadion in Skandinavien, in dem bis zu 32 000 Zuschauer Platz finden. Rund 3 200 Göteborger haben sich beim Organisationskomitee als ehrenamtliche Helfer angemeldet, die Essen ausgeben, Touristen den Weg weisen oder Programme verteilen, wie 1995 Christian Olsson. Vielleicht gibt es in zehn Jahren wieder Sportlerinnen oder Sportler, die von sich sagen, sie hätten 2006 zugeschaut, sich inspirieren lassen und selber eine Leichtathletik-Karriere gestartet.