»Sozialismus oder Barbarei«

Für den ehemaligen KPD-Abgeordneten josef »jupp« angenfort ist der Kommunismus das Ziel geblieben

Jupp Angenfort wurde 1924 in Düsseldorf geboren, wo er heute lebt. Er war der erste, der in der Bundesrepublik aus politischen Gründen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Wo waren Sie am 17. August 1956?

Im Zuchthaus Münster. Von dem Urteil hörte ich von Mitgefangenen, die eine Tageszeitung beziehen durften. Später erzählte mir meine Frau, dass viele Genossen verhaftet wurden und man auch für frühere Betätigungen für die KPD bestraft werden konnte. Von ihr erfuhr ich, dass mein nordrhein-westfälischer Fraktionskollege Karl Schabrod zweieinhalb Jahre Haft bekommen hatte, weil er sich wieder für ein Landtagsmandat bewerben wollte. Seine Rente, die er als Verfolgter des Naziregimes bezog, wurde ihm aberkannt. Über diese Dinge berichteten die Medien nicht.

Was hatten Sie sich zuschulden kommen lassen?

Ich wurde im März 1953 unter Verstoß gegen meine Immunität als Abgeordneter verhaftet und wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« verurteilt. Mein Vergehen war, bis zu ihrem Verbot im Jahr 1951 Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend gewesen zu sein.

Wer waren die Richter und Staatsanwälte, mit ­denen Sie es zu tun hatten?

Das waren, um es höflich zu sagen, sehr konservative Leute, Antikommunisten. Sehen Sie, im Juli 1953 hatte ich einen Haftprüfungstermin beim Bundesgerichtshof, am selben Vormittag wie ein gewisser Werner Naumann, der Staatssekretär im Propagan­daministerium von Joseph Goebbels gewesen war. Anfang der fünfziger Jahre hatte er den »Gauleiterkreis« organisiert, der die FDP infiltrieren wollte, dann wurde er von der britischen Militärbehörde verhaftet und der westdeutschen Justiz überstellt. Naumann also ging als erster in den Verhandlungssaal, kam nach 20 Minuten raus und stellte sich lächelnd den Fotografen. Er war auf freiem Fuß. Mich fragte der Richter, ob ich Vermögen besitze. Ich verneinte. Darauf sagte er: »Der Anwalt von Herrn Naumann hat 80 000 Mark Kaution angeboten. Um ehrlich zu sein, Sie würden wir selbst gegen Kaution nicht freilassen.« Die Anklage gegen Naumann wurde fallen gelassen, ich blieb in Haft.

1942 verließen Sie Deutschland als Wehrmachtssoldat, 1949 kehrten Sie als Kommunist zurück. Wie kam das?

Das entscheidende Erlebnis für mich war dieser schreckliche Krieg. Ich war im Schützengraben, mein bester Kamerad verblutete in meinen Armen. Ende 1943 wurde ich bei Leningrad gefangen genommen und in das nördlichste sowjetische Lager gebracht, wo ich dem Nationalkomitee Freies Deutschland beitrat. Kommunist wurde ich erst allmählich, anfangs war ich noch religiös. Ich stamme nämlich aus einer antifaschistischen, aber katholischen Eisenbahnerfamilie. Ich kehrte mit dem festen Willen heim, dazu beizutragen, dass es nie wieder zum Krieg kommen möge. Darum trat ich in die Gewerkschaft, die FDJ und die KPD ein.

Warum wurde die KPD verboten?

Unmittelbar nach dem Krieg war die große Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Wiederbewaffnung, auch konservative Politiker beteuerten, sie abzulehnen. Nach und nach passte sich die Adenauer-Regierung den Interessen der herrschenden Kreise in den USA an. Das Bekenntnis zur Entmilitarisierung wich der Militarisierung, das Bekenntnis zur Einheit Deutschlands einer Politik der Spaltung. Die Regierung wollte alle gesellschaftlichen Kräfte ausschalten, die gegen die Remilitarisierung waren.

Warum wurde eine Partei verboten, deren Einfluss im Schwinden war?

Man wollte wohl die Remilitarisierung reibungslos durchsetzen. Und der schwin­dende Einfluss der KPD war dem Antikommunismus geschuldet, den die Herrschenden in Wort und Tat betrieben.

Warum konnte das so gelingen? Die KPD war früher eine starke Partei.

Ja, aber dazwischen lagen zwölf Jahre Faschismus. Der hatte bei vielen Spuren hinterlassen, so dass die Regierung den Antikommunismus der Nazis wiederbeleben konnte.

Im ihrem »Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« aus dem Jahr 1952 sprach die KPD vom »revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes«. Man könnte sagen: Kein Staat sieht tatenlos einem Umsturz zu.

Diese Formulierung war ein Fehler, weil sie nicht den gegebenen Bedingungen entsprach, was die Partei auch bald erkannte und korrigierte. Um einen gewaltsamen Umsturz ging es im Übrigen nie, der Gedanke war, eine breite Bewegung gegen die Remilitarisierung und die Spaltung Deutschlands zu schaffen. Nur die Regierung behauptete, die KPD sei gewalttätig, und das Gericht schloss sich dieser Ansicht an.

Dennoch bleibt, dass die KPD die bestehende Ordnung abschaffen wollte.

Das Bestreben, die kapitalistische Ordnung zu beseitigen, ist nicht verfassungswidrig. Das Grundgesetz sieht vor, dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel vergesellschaftet werden können.

Was taten Sie, als Sie im April 1957 entlassen wurden?

Ich hatte auf Anordnung von Bundespräsident Theodor Heuss eine bedingte Strafaussetzung erhalten, zu der die Auflage gehörte, mich vier Jahre lang nicht politisch zu betätigen. Trotzdem meldete ich mich sofort bei der Leitung der illegalen KPD.

Wie funktionierte die illegale Arbeit?

Die Leitungen trafen sich in kleinen Gruppen in Privatwohnungen, daneben gab es Gespräche mit Mitgliedern. Wir versuchten, uns in außerparlamentarischen Bewegungen, Jugendorganisationen, Sportvereinen und den Gewerkschaften zu betätigen und für unsere Ziele zu werben.

In den sechziger Jahren hatte die illegale KPD eine Ausstrahlung auf manche linke Intellektuelle, die sie sonst vielleicht nicht gehabt hatte. Hatte die Illegalität auch Vorteile?

Nein. Selbst einfachste Dinge wie die Herstellung eines Flugblattes erforderten viel Arbeit und große Vorsicht. Lief etwas schief, drohten mindestens sechs Monate Haft.

1956 gab es zwei Ereignisse von internationaler Bedeutung: im Februar den 20. Parteitag der ­KPdSU, auf dem Chruschtschow mit Stalin abrechnete, im Oktober die sowjetische Invasion in Ungarn. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Mir wurde klar, dass große Fehler gemacht wurden. Zugleich sah ich den Versuch, diese Fehler zu beheben. An meiner Grundüberzeugung änderte sich nichts. Ich habe mich stets an Rosa Luxemburgs Ausspruch »Sozialismus oder Barbarei« orientiert.

Im April 1962 gingen Sie in die DDR. Was waren Ihre Eindrücke?

Zutreffender ist: Ich flüchtete. Und zwar aus dem Gefängnis München-Stadelheim, wo ich einen Monat verbracht hatte. An der DDR beeindruckte mich, dass es keine Arbeitslosigkeit gab, dass jeder eine bezahlbare Wohnung hatte, dass die Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem vorbildlich waren. All das entsprach meinen tiefen Wünschen – trotz der Fehler, die es gab. Allerdings lebte ich nicht als normaler Bürger in der DDR, sondern gehörte zur Füh­rung der KPD. Wir hatten zwei Gruppen, eine war in Ost-Berlin tätig, die andere illegal im Westen. Alle drei Monate wurde gewechselt.

Waren Sie im September 1968 bei der Gründung der DKP dabei?

Nein. Ich kam im Dezember in die BRD, um mich zu legalisieren. Kurz darauf wurde ich verhaftet. Vom ersten Parteitag der DKP im April 1969 bekam ich vor allem die Demons­tration mit, die vor dem Zuchthaus in Remscheid-Lüttringhausen unter der Losung stattfand: »Jagt die braunen Richter fort – Freiheit für Jupp Angenfort!« Einige Tage später kam ich frei, dann wurde ich Mitglied des DKP-Präsidiums, was ich bis 1989 blieb.

Prallten in der DKP verschiedene Welten aufeinander? Hier Kommunisten alter Schule, dort Leute aus der 68er-Bewegung, die von »freier Liebe« gesprochen hatte und mit Rock’n’Roll groß geworden war.

Ich habe das nicht praktiziert, aber gestört hat es mich nicht. Kontakte zu dieser neuen Bewegung gab es bereits vorher, und die Kommunisten mussten eben dazulernen. Solche Probleme erlebt jede Generation mindestens einmal.

Früher schöpften die Marxisten ihre Kraft aus dem unerschütterlichen Glauben, der Kommunismus sei nicht aufzuhalten. Dann brach die Sowjetunion zusammen, nicht der Kapitalismus.

Das war die schmerzlichste Niederlage in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Ich hatte das Gefühl, meine Heimat verloren zu haben. Aber ich habe das überwunden. Solange ich kann, will ich dazu beitragen, den Kapitalismus zu überwinden. Auch wenn ich den Sozialismus nicht mehr erleben werde, sehe ich, dass es, etwa in Südamerika, große Bewegungen in diese Richtung gibt. Ich hoffe zu erleben, wie diese Tendenzen stärker werden.

Was würden Sie einem Menschen sagen, der meint: »Kommunismus mag eine gute Idee sein, funktioniert aber nicht.«

Ich würde sagen: »Lies das ›Kommunistische Manifest‹ und überprüfe, wie diese Erkenntnisse mit der gegenwärtigen Entwicklung übereinstimmen und welche Lösungen für die heutigen Probleme allein in diesem Heft sichtbar werden. Und dann lass uns darüber diskutieren.«

Und wenn er antwortet: »Nichts deutet auf Sozialismus hin, aber vieles auf Barbarei«?

Dem zu folgen, würde bedeuten, dass man resigniert. Und resignieren darf man nicht. Wer resigniert, kann nichts verändern. Unser Ziel ist es ja, die Dinge zum Besseren zu verändern.

interview: deniz yücel