Gefährliche Illusion

Diskussion um die Strategie Israels von stefan vogt

Am Wochenende, bereits vor der Verabschiedung der Libanon-Resolu­tion des UN-Sicherheitsrates, begann sich die Stimmung in Israel zu ändern. Bis dahin gab es einen Konsens darüber, dass der Krieg im Libanon richtig und ­gerechtfertigt sei. Inzwischen wird die Kritik am Krieg und an der Kriegführung immer lauter. In der liberalen Zeitung Ha’aretz wurde am Freitag sogar der Rücktritt des Ministerpräsidenten Ehud Olmert gefordert.

Tatsächlich ist die Bilanz dieses Krieges katastrophal. Die israelische Armee konnte die Fähigkeit der Hizbollah, Raketen auf Israel abzufeuern, nicht nennenswert beeinträchtigen. Inzwischen sind über 100 Israelis und fast 1 000 Libanesen ums Leben gekommen, von den wirtschaftlichen Schäden in beiden Ländern nicht zu reden. Die Popularität der Hizbollah im Libanon, vor dem Krieg auf dem Tiefpunkt, ist immens gewachsen, während Israel – entgegen den Tatsachen, aber durch die Art der Kriegsführung scheinbar bestätigt – im Ausland überwiegend als Aggressor gesehen wird.

Formal wird es in diesem Krieg keinen Sieger und keinen Besiegten geben, doch Israel wird der eigentliche Verlierer sein. Nicht nur konnte das ursprünglich genannte Kriegsziel, die Zerschlagung oder zumindest Entwaffnung der Hizbollah, nicht erreicht werden. Die Sicherheitslage hat sich für Israel sogar verschlechtert. Der Krieg und sein Ergebnis zeigen eines ganz deutlich: Das Konzept einer einseitigen Lösung des Nahost-Konflikts ist nicht nur gescheitert, es ist eine gefährliche Illusion.

Ohne eine Verständigung mit seinen Nachbarn, mit dem Libanon, mit Syrien und insbesondere mit den Palästinensern, ist für Israel eine Lösung des Konflikts und eine einiger­maßen sichere Zukunft nicht zu erreichen. Der Rückzug aus dem Gaza-Streifen hat dieses Gebiet der Herrschaft der Hamas und anderer bewaffneter Banden ausgeliefert. Er ist der Höhepunkt einer Politik, die jede Unterstützung gemäßigter Kräfte auf Seiten der Palästinenser vermeidet. Diese Politik trug nicht unwesentlich zum Wahlsieg der Hamas und zum Zerfall der Palästinensischen Autonomiebehörde bei. Der Krieg im Libanon folgte derselben Logik: Die Aggression der Hizbollah sollte nicht mit einer Stärkung der antisyrischen und prowestlichen Kräfte im Libanon beantwortet werden, sondern mit militärischen Mitteln.

Die Vertreter des Unilateralismus berufen sich auf das Postulat der israelischen und zuvor bereits der zionistischen Politik, dass das Schicksal der Juden und des jüdischen Staates nicht vom guten Willen anderer abhängen darf. Dieses Postulat ist nur zu gerechtfertigt. Der Unilateralismus schafft aber gerade eine solche Abhängigkeit, denn er überlässt die Ini­tia­ti­ve denjenigen, die den Untergang Israels wünschen. Deshalb konnten bisher die Islamisten nach Gutdünken darüber entscheiden, wann eine Phase der Entspannung im Nahost-Konflikt enden sollte. Ein Terroranschlag genügte, um Israel dazu zu nötigen, seine militärische Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Der Ausbruch des Libanon-Kriegs folgte genau diesem Muster.

Eine umfassende Verhandlungsoffensive würde die Initiative wieder in die Hände der Israelis und derjenigen Kräfte in den arabischen Gesellschaften zurückgeben, die eine friedliche Lösung des Konflikts und eine Eindämmung des Islamismus wünschen. Eine solche Lösung würde zwar nicht verhindern, dass Israel und seine Bevölkerung weiterhin vom antisemitischen Wahn der Islamisten bedroht wären. Sie würde aber eine ungleich bessere Ausgangsposition dafür schaffen, dieser Bedrohung wirksam zu begegnen.