Dann google ich mich selbst

Selbstfindung leicht gemacht von nada kumrovec

Auf der Suche nach sich selbst sind schon viele ganz irre geworden. Um das »wirkliche Ich« zu entdecken, schaute man früher auf die Wasseroberfläche, in der man sich spiegelte, ging in die Wüste, um mit sich allein zu sein, oder führte ein Tagebuch, um Aussprache mit sich zu halten. Seit jeher führten solche intro­spektive Verfahren nicht nur zu religiösen, philosophischen oder literarischen Meditationen, sondern trieben auch die technische Entwicklung voran. Die Erfindung des Spiegels, des Buchdrucks und der motorisierten Reisemöglichkeiten waren auch Antworten auf das Bedürfnis des Menschen, sich selbst zu erforschen.

Doch nie war die Selbstfindung so leicht wie heute. Google liefert die Abenteuerreise ins Ich zum Billigtarif. Einfach den eigenen Namen eintippen, Enter drücken, mit dem Finger auf den Monitor zeigen und erstaunt ausrufen: »Guck mal, das bin ja ich!«

Doch steckt hinter dem Wunsch, als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu gelten, tatsächlich die Angst davor, gewöhnlich zu sein? Oder ist es der Stolz auf Einmaligkeit und Besonderheit? Nein, sagte einst Günther Anders, es ist die »Malaise der Einzigartigkeit«. Die zweite industrielle Revolution sei gekennzeichnet von der Erfahrung der »prometheischen Scham«, die der Mensch dar­über empfinde, dass er sich minderwertiger fühle als die von ihm hergestellten Dinge. Schon Frankenstein fürchtete sich vor seinem selbst gemachten Monster und wollte es wieder vernichten.

Im Zeitalter der Massenmedien versuchte jeder, ein Medienmonster zu werden. Der Kult der Waren- und Werbewelt hatte die Normalsterblichen glauben lassen, sie würden niemals ein Serienprodukt werden, weil sie – im Gegensatz zu den in Filmen, auf Postern oder Kaffeetassen verewigten Stars – eben nicht göttlich, nicht unsterblich und nicht reproduzierbar seien. Und so versuchte jeder, in Serie zu gehen, reproduzierbares Produkt zu werden. Man quetschte sich und seine Umwelt auf miserable Fotos und schaurige Urlaubsvideos, um endlich auf Augenhöhe mit den vergötterten Stars zu stehen, sich selbst zur Plastik und damit unsterblich zu machen. Von der Polaroid zur Super-8-Kamera bediente die Technik das Bedürfnis, sich mit den Besonderen gleichauf zu wähnen. Traurigerweise veranschaulichten ihre Ergebnisse die Ausmaße der Tristesse des Kleinbürgers, dessen Foto nicht im Pantheon, sondern doch nur im schnöden Familienalbum endete.

Für den Moment darf sich der Egogoogler als Sieger fühlen. Endlich hat er es geschafft, das wiederzugewinnen, was seine Vorgänger mit der Vertreibung aus dem Paradies verloren hatten: die Unsterblichkeit. Von der »prometheischen Scham« ist keine Spur mehr – selbst wenn dem Egogoogler nur offenbart wird, dass er genauso austauschbar und bedeutungslos ist wie die Wettervorhersage für vorgestern, die sich auch noch googeln lässt.

Davon aber will der Egogoogler nichts wissen. Er hat andere Sorgen: Weil ein jeder sich selbst googeln kann und in absehbarer Zeit das einstige Heer der Namenlosen von einem Heer von Namhaften abgelöst sein wird, droht ihm das abermalige Verschwinden. Er kann sich nicht auf seinen Google-Treffern ausruhen, sondern muss sich etwas einfallen lassen, damit Anzahl und Platzierung der Treffer befriedigend bleiben und möglichst genehme Dinge zuerst erscheinen. So ist das mit dem Selbst. Es ist zum Suchen da, nicht zum Finden.