Die Lichtgestalt des Penis

Die Ausstellung »Das achte Feld« ist die größte je in Deutschland gezeigte Schau über Gender, Queerness und Sexualität. Vielleicht ist sie ein wenig zu groß. von tim stüttgen

In den letzten Wochen redete man nicht nur in queeren Communities aufgeregt über die Ausstellung »Das achte Feld« im Kölner Museum Ludwig. Genau hier, in Kölns Vorzeigemuseum findet sie statt, die größte, umfassendste und womöglich glamouröseste Ausstellung zu Gender, Queerness und Sexualität, die es je in Deutschland gegeben hat. Ein Riesenbrimborium: Der als Kurator der kleinen und integren Berliner Galerie NGBK bekannt gewordene Ausstellungsmacher Frank Wagner wurde als Gastkurator eingeladen, der im Berlin der Achtziger wichtige Ausstellungskonzepte zu Aids und Homosexualität verwirklicht hatte.

Andy Warhol, Matthew Barney, Cindy Sherman, Nan Goldin, Robert Mapplethorpe, Bruce Nauman, die Liste an renommierten Künstlern ist lang. Es scheint so, als wollte das Museum jedes bisschen an potenziellem Hype-Potenzial um Queerness und Sex nutzen. So bekommt jedeR BesucherIn zusammen mit der Eintrittskarte den neuen Roman von Thomas Meinecke in die Hand gedrückt, dem Suhrkamp-Autoren, der in den letzten Jahren zum bekanntesten heterosexuell-männlichen Vertreter queer-feministisch durchtränkter Texte im deutschen Literaturbetrieb aufgestiegen war. Nett, könnte man sagen, dann muss man für das Buch nicht noch mal zehn Euro an der Kasse hinlegen. Oder aber auch: Ein bisschen viel ausgestellter guter Wille, und warum gerade mal wieder ein Typ, der sicherlich gute Bücher schreibt, nur eben mit einem queeren Alltag rein gar nichts am Hut hat. Das aber, so könnte man pragmatisch abschließen, haben große Teile der Gesellschaft und des Kunstbetriebs ja sowieso nicht.

Also rein ins Geschehen.

Trotz beeindruckender Werke, die hier ausgestellt werden, lässt sich an einigem herummäkeln. Wo es um Vielfalt und Heterogenität gehen sollte, suchen »Wegweiser« auf dem Boden nach der Ordnung der Dinge. Doch warum bitte muss man mit rosa Lettern auf dem Boden das Thema Aids ankündigen, wenn doch die bewegenden künstlerischen Arbeiten selbst viel mehr dazu zu sagen haben? Ein bisschen mehr Vertrauen in die Arbeiten selbst hätte sicher ganz gut getan.

Sich auf das Ausstellungskonzept einzulassen, fällt auch aus anderen Gründen schwer. Nichts gegen großartige und bekannte Arbeiten wie die »Film Stills« von Cindy Sherman, Fotos aus dem »Cremaster«-Zyklus von Matthew Barney oder den gedoppelten Elvis von Andy Warhol, auch nichts gegen andere ­Kunst-(markt)schwergewichte wie Rauschenberg oder Wolfgang Tillmans. Doch bei der Masse dieser Evergreens überdecken die großen Namen die Möglichkeit, sich einfach im Diskurs des Themas der Ausstellung zu verlieren. So überlagert Wiedererkennung Auseinandersetzung.

Der Ausstellungsaufbau von Eran ­Schaerf scheint ein wenig auf dieses Problem reagieren zu wollen, und so hängt manch einer der Klassiker in einer dunklen Ecke der eng gebauten Holzgänge, was sich immerhin als Reaktion auf die Enge für manch ausgegrenztes Geschlechtssubjekt verstehen läßt, genauso als eine Art Gegenstrategie zum Pomp der institutionalisierten Kunstgeschichte in den sonst eindeutig einsehbaren Gängen des Museums Ludwig. Trotzdem ist die Subtilität, mit der Schaerf einen anderen Zugang zu den Gender-Diskursen der Ausstellung ermöglicht, nicht nur glücklich gewählt. Auch wenn man das Team der Ausstellungsmacher dafür beglückwünschen möchte, nicht auf billige Effekte zu setzen, bleibt die affektive Seite, die bei queerem Begehren immer eine Rolle spielt, eher unklar.

Sexy ist sicherlich vieles im »achten Feld«, aber wirklichen Sex gibt es kaum. Wirklich ficken, das können die leuchtenden Licht-Penisse von Bruce Nauman, doch etwa die Energie eines sexuellen Flirts wird, wie in einer Video-Installation von Katharina Sieverding mit zwei konkurrierenden Pfauen, lieber auf symbolische Stellvertreter geschoben.

Alle diese Makel, die einen großen irren Geschlechterspaß zu einem manchmal überraschend harmlosen – aber immerhin interessanten und unterhaltsamen – Spaziergang werden lassen, werden wenigstens von vielen, eher an den Rändern auftauchenden wunderbaren Arbeiten egalisiert. Zum Beispiel durch die Fotoinstallation »The Fae Richards Photo Archive« von Zoe Leonard, einem fiktionalem Bilderarchiv einer afroamerikanischen lesbischen Schauspielerin, welche nicht nur die auch im Museum Ludwig selten vorgenommene Durchkreuzung von gender und race verkompliziert, sondern auch einen Diskurs über Identität und Geschichte beflügelt, mit dem man alleine einen Nachmittag verbringen könnte. Ein anderes individuelles Archiv hat Henrik Olesen mit »Lack of Information« errichtet. Die idiosynkratische Notizen- und Bildersammlung erinnert daran, dass ein paar Seminare zu Gender-Mainstreaming und Homos in Fernsehsendungen noch keine globale Emanzipation bedeuten. Vielschichtigkeiten wie diese oder auch Leerstellen wie Felix Gonzales-Torres’ Stripshow-Bühne ohne Protagonisten erinnern daran, dass vieles unsichtbar und anderes komplizierter bleibt, als es uns diese Ausstellung mit ihrem Schwerpunkt auf Portraits und Superstars glauben machen zu wollen scheint.