Norwegen ist überall

Nach dem Rückzug von Kjetil Rekdal als Coach steht fest: Wo Fußball als Pop-Event verstanden wird, zählt nur noch der schnelle Erfolg. Die langfristige Aufbauarbeit aber wird vernachlässigt - mit fatalen Folgen. von elke wittich

Die meisten Zuschauer, die während der diesjährigen Fußball-WM vor dem Fernseher ­saßen, konnten von Spiel zu Spiel ganz frei entscheiden, welches Team sie anfeuern und welchem sie ganz unbedingt eine empfindliche Nieder­lage wünschten. Denn die meisten Länder durften mangels Qualifikation schließlich kein Team nach Deutschland schicken.

Über die Stimmung in den nicht teilnehmenden Nationen ist wenig bekannt, gezeigt worden war allenfalls die tiefe Enttäuschung der Spieler nach den entscheidenden Niederlagen in ihren jeweiligen Grup­pen. Wie im Sport allgemein üblich, setzte dann jedoch in aller Regel die Ursachenforschung ein, die meist nicht nur viel über den Zustand des Fußballs im jeweiligen Land, sondern eben auch ganz allgemein eine Menge über überall bestehende und kommende Probleme aussagt.

Zurzeit wird in Norwegen heftig über die Zukunft der Sportart diskutiert. Ausgelöst hat dies der Rückzug von Kjetil Rekdal als Trainer bei Vålenerga Oslo, kurz VIF genannt, der nach vier ausgesprochen erfolgreichen Jahren überraschend seinen Posten aufgab.

Der ehemalige Nationalspieler Rek­dal, in seinem Heimatland ähnlich beliebt und einflussreich wie hier Franz Beckenbauer, hatte den notorisch erfolglosen Club 2005 zum Meister gemacht, passend zum Kultstatus des Vereins gewann er ziemlich überraschend am letzten Spieltag der Saison mit nur einem Tor Vor­sprung vor dem Zweitplatzierten.

Der Jubel war rasch der Ernüchterung gewichen, im folgenden internationalen Wettbewerb konnte sich VIF nicht behaupten, in die wegen der klimatischen Verhältnisse in Norwegen lediglich vom Frühjahr bis zum Herbst dauernde neue Saison startete man nicht besonders erfolgreich. Am 21. August gab Rekdal auf, seither wird darüber diskutiert, ob sein Rück­zug nicht auch Ausdruck einer allgemeinen Krise sei.

Fußball sei das sportliche Äquivalent zum Fast Food geworden, kommentierte die Tageszeitung Dagbladet, »man wird schnell satt, und genauso schnell hast du es satt«. Nie seien das Interesse am Fußball und die von Sponsoren angebotene Geldsumme derart hoch gewesen wie in den letzten Jahren, gleichzeitig seien die Bedingungen für die Fußballer zu keiner Zeit besser gewesen.

Die Sportart wurde zum Pop-Event, ohne dass sich die Verantwortlichen Gedanken über das dadurch entstehende Risiko gemacht hätten. Als erster Verein musste VIF feststellen, dass das Gros der zahlungskräftigen Fans nur schnelle Erfolge sehen will und umgehend die Lust verliert, wenn es nichts zu jubeln gibt. Ins­besondere das verwöhnte Großstadtpublikum sucht sich dann eben andere hippe Hobbys, die soziales Prestige und hohen Unterhaltungswert versprechen. Auch die meisten Spon­soren wollen sich im Glanz des schnellen Erfolges sonnen und bringen nur selten genügend Geduld und Weitblick auf, um langjährige Aufbau­arbeit zu finan­zieren.

Genau dieses Problem wird sich trotz der WM-Euphorie auch schon sehr bald in der Bundesliga stellen. Die vielen neuen Fans kommen hauptsächlich in die Stadien, um dort die Fortführung der Weltmeisterschaftspartys zu erleben und Stars spielen zu sehen. »Das Problem«, schrieb der Kom­mentator Esten O. Saeter, »besteht darin, dass kurzfristige Erfolge kurz­fris­tiges Han­deln erfordern. Es ist viel ein­facher, einen neuen, bisher unbekannten Stürmer auf der Grundlage von ein paar Videos seiner größten Torerfolge einzukaufen und dann auf ein Wunder zu hoffen, als einen Spieler über einen längeren Zeitraum so auszubilden, dass er sich gut ins langfristige Spielkonzept des Trainers einfügt. Die Wunderstürmer kommen und gehen, die Spielkonzepte aber bleiben bestehen.«