Speeddating einer Partei

Grundsatzdebatte der CDU von felix klopotek

Einmal im Jahr fällt einem gelangweilten Feuilletonredakteur auf, dass von der CDU überhaupt keine intellektuellen Impulse ausgehen. Weit und breit gibt es keinen Dichter und Denker, der sich so für die Partei aufopferte wie Klaus Staeck und Günter Grass für die SPD. Aber das ist egal: Die CDU braucht keine Debatten und keine inszenierten Flügelkämpfe.

Lebt die SPD von der Spannung, dass es zu dem gesellschaftlichen Zustand immer auch ein bescheidenes Ideal gibt (den »demokratischen Sozialismus«), repräsentiert die CDU diesen Zustand, der allerdings ständig von Störungen (gebärunwilligen Akademikerinnen, nörgelnden Ossis) heimgesucht wird. Um die Aufrechterhaltung dieses Zustands zu garantieren, kann sich die CDU längst auf die Mitbürger verlassen: Die Leute schwen­ken schon beim erstbesten Anlass wie von Sinnen die Deutschland-Flagge, da braucht es keinen national gesinnten Wortführer im Parteivorstand.

Wozu dann diese mit viel Tamtam eingeleitete Grundsatzdebatte? Wieso dieser medial feinsinnig inszenierte Auftritt der Kanzlerin – »Die Rückkehr der Klassenlehrerin«, frohlockte die FAZ– zum Ende der Sommerpause? Es bieten sich zwei Gründe an.

Erstens: Die CDU verliert wie die SPD die Wahlen, sie verliert sie nur weniger hoch, das reicht für Große Koalitionen unter ihrer Führung, aber nicht mehr für die parlamentarische Mehrheit eines schwarz-gelben Bündnisses. Die SPD hat eine Option mehr: eine hypothetische rot-rot-grüne Koalition. Also muss sich die CDU auf die Suche nach neuen Partnern begeben.

In ihrer Grundsatzdebatte greift sie Themen auf, die irgendwie modern, chic und, ja, intellektuell rüberkommen sollen. Wie bewahren »wir« eine soziale Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung? Was heißt Chancengerechtigkeit? Wie lassen sich benachteiligte Gruppen am besten fördern? Darüber zu diskutieren, bringt nicht viele Wählerstimmen, aber es sind Themen, die ganz nach dem Geschmack der Grünen sind. Die Debatte hat offenbar das Ziel, die Grünen aus dem so genannten linken Lager herauszulocken und für die Jamaika-Koalition zu begeistern. Damit hätte die CDU in Sachen Optionengerechtigkeit mit der SPD gleichgezogen.

Zweitens: Es mehren sich die Indizien, dass die beruflichen Zukunftsaussichten eines Großteils der Akademiker noch nie so schlecht waren wie heute. Dass ausgerechnet junge Krankenhausärzte einen harten, entschlossenen Streik führen, wie ihn seit über 30 Jahren keine DGB-Gewerkschaft mehr zustande gebracht hat, muss das bürgerliche Lager verstören. Was wird sein, wenn sich deklassierte Akademiker massenhaft von der Partei abwenden? Wenn sie sich mit den desillusionierten working poor mischen? Davon ist man in Deutschland weit entfernt, aber ganz ausgeschlossen ist es nicht.

Diese Grundsatzdebatte, die die »Gestaltungskraft« der Politik noch in aussichtsloser Lage (in Zeiten der »Globalisierung«) verspricht, die die verkorkste Lage der absteigenden Mittelschichten als Flexibilität und Abschied von der »sozialen Pfadabhängigkeit« schönredet, die Elitedenken sowohl von der Aura des Nationalkonservativen als auch des hemmungslosen Marktliberalen lösen möchte, muss man als Angebot verstehen. Es richtet sich an jene gebildeten Leute und verhinderten Eliten, die gerade ins Grübeln kommen. Aber das Angebot ist dürftig, seine Schlüsselbegriffe – »Abschied von der Transferpolitik«, »gezielte Förderung« etc. pp. – sind ausgelutscht. Wer weiß, vielleicht kränkt das Angebot den Narzissmus derer, denen es gemacht wird, und sie weisen es zurück.