Verborgene Welten

Nicht alles, was im Web steht, lässt sich auch finden von stefan kindler

Stolz verweist das Unternehmen Google auf seinen Internet­seiten darauf, dass die Suchmaschine, wenn wir eine Suchanfrage stellen, Milliarden Web­seiten für uns durchsucht. Das ist viel. Dennoch ist das Internet viel größer, nur ist es über Google und andere gängige Suchmaschinen weitgehend gar nicht erreichbar. Es existiert ein »Hidden Web«, das diesen Suchmaschinen und ihren Nutzern verborgen bleibt. Welches Ausmaß es hat, darüber kann man nur spekulieren. Die gängige Schätzung ist, dass es noch 500 Mal mehr Webseiten umfasst als das von Suchmaschinen indizierte.

Hidden Web, das klingt geheimnisvoll, aber es sind vor allem technische Gründe, die Such­maschinen daran hindern, dessen Inhalt zu erfassen. Viele Datenbanken lassen sich nur durchsuchen, wenn man direkt von der Web­seite der Betreiber auf sie zugreift. Das führt dazu, dass unzählige Regierungsdokumente und Fachartikel im Internet zur Verfügung stehen, sie aber für die Masse der Internetuser versteckt bleiben: Wer nicht weiß, wo er suchen muss, wird auch nichts finden. Die Informationen des Hidden Web bleiben deshalb letztlich einer Informationselite vorbehalten.

Eines der großen Versprechen in der Frühphase des Internet war: Alles Wissen der Welt soll allen Menschen an allen Orten der Welt zur Verfügung stehen. Eine Technik, die nicht nach Inhalten unterscheidet, und die dezentrale Struktur des Internet sollten die Unterdrückung von Information unmöglich machen. Und im Prinzip hat sich diese Hoffnung erfüllt. Relevante Informationen, die einmal im Internet erschienen sind, bleiben meist erhalten, auch wenn sie auf der ursprünglichen Webseite längst gelöscht wurden. Sie werden auf anderen Servern gespiegelt oder finden sich auf den Tausenden Festplatten von Peer-to-Peer-Netzwerken wieder.

Weil das Löschen von Inhalten im Internet kaum möglich ist, rücken für diejenigen, die Inhalte unterdrücken wollen, die Such­pro­zesse in den Vordergrund. Ein Hidden Web existiert für viele Internetnutzer nicht allein wegen technischer Unzulänglichkeiten der Suchmaschinen, sondern es ist auch bewusst programmiert: durch Filtersysteme an öffentlichen Internetzugängen, Schulen, Universitäten, durch die freiwillige Selbstkontrolle der Suchmaschinenanbieter, oder auch durch staatliche Zensur.

Allerdings stellt sich für den Großteil der Menschheit erst gar nicht die Frage, inwieweit er die ganze Bandbreite der Informationen des Internet nutzen kann. Für ihn sind diese Informationen schlicht nicht vorhanden. Gerade mal elf Prozent der Weltbevölkerung hatten im Jahr 2003 überhaupt Zugang zum Internet, heißt es in einem Bericht der Unesco. Auch wenn die Zahl der Netzzugänge sich weltweit rasant entwickelt, wird der »Digital Divide« – die Kluft zwischen Nutzern und Nicht­nutzern des Internets – auf lange Sicht bestehen bleiben. Es ist nicht nur die fehlende technische Infrastruktur, die eine Nutzung des Internet verhindert. Auch in Ländern, die mit einer hohen Anzahl von Internet­anschlüs­sen versorgt sind, besteht der »Digital Divide«, und es sind sozio-ökonomische Faktoren, die ihn bestimmen. Bildung, Einkommen, Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit entscheiden mit, ob und wie weit man an der Informationsvielfalt des Internets teilhat, und für wen die gesamte digitale Welt auf Dauer ein Hidden Web bleibt.