Wien bleibt Wien

In vier Wochen wird in Österreich gewählt. Von Proteststimmung gegen das rechtskonservative Regierungsbündnis ist inzwischen nichts mehr zu spüren. von jens kastner, wien

Was ist heute normal?« Dieser Frage widmet die Zeitschrift Malmoe ihre Sommer­aus­gabe. Diskutiert wird darüber, wie sich Österreich nach sechs Jahren konservativer Regierung verändert hat. Ein interessantes Thema, denn die konservative Hegemonie ist in Österreich längst normal geworden. Von den Protesten beim Amtsantritt von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 – in deren Rahmen auch die linke Kultur­zeitschrift Malmoe gegründet wurde – ist heute nichts mehr zu spüren. Damals hat die konserva­tive Volkspartei als drittstärkste Parlamentsfrak­tion den Bundeskanzler gestellt und gemeinsam mit der rechtspopulistischen FPÖ die Regierung gebildet.

Am 1. Oktober wird in Österreich das Parlament neu gewählt. Für die Regierenden sind die Aussichten gut. Während sich der Vorsitzende der SPÖ, Alfred Gusenbauer, bei Wanderungen durch das Land seit Wochen besonders volksnah gibt, haben die Grünen mit der Forderung, die lebenslange Haft­strafe aus Kostengründen abzuschaffen, für einigen Gesprächsstoff gesorgt. Von Aufbruchstimmung jedoch keine Spur. Wenig deutet darauf hin, dass sich durch diese Wahl die Mehrheitsverhältnisse in Österreich ändern werden.

Die gegenwärtige Regierung ist jedoch alles andere als stabil. Denn dass das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das sich im Frühjahr 2005 auf Betreiben Jörg Haiders von der FPÖ abgespalten hat, es erneut ins Parlament schafft, ist keineswegs sicher. Während Haider (BZÖ) im Hinblick auf ein mögliches Scheitern an der Vierprozenthürde eine Wiedervereinigung der Rechten nicht ausschließt, wollen seine Gegner von der FPÖ davon nichts wissen. Schon zu Beginn des Wahlkampfes präsentiert sich die Rechte zerstrit­ten: Wer letztlich die Bezeichnung »Die Freiheitlichen« verwenden darf (die »wah­ren« Freiheitlichen der FPÖ oder das BZÖ), wird voraussichtlich vor Gericht entschieden, ebenso wie das Anrecht auf den Listenplatz drei, den beide Parteien für sich beanspruchen.

Sowohl FPÖ als auch BZÖ versuchen, sich mit dem Thema der Einwanderung zu profilieren. In seinem Wahlwerbespot droht der Spitzenkandidat des BZÖ, Peter Westenthaler: »In den nächsten drei Jahren wollen wir 30 Prozent weniger Ausländer in Österreich haben.« Und er lobt seine Partei, weil sie gemein­sam mit der ÖVP Verschärfungen im Asylgesetz, Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrecht bereits durchgesetzt hat. Auch Heinz Christian Strache, der Parteivorsitzende der FPÖ, fordert einen »Zuwande­rungsstopp«. Mit rassistischen Slogans wie »Deutsch statt nix verstehen« und »Wien darf nicht Istanbul werden« hatte Strache in Wien bereits im vergangenen Herbst über 15 Prozent der Stimmen bekommen. Das BZÖ kam in der Hauptstadt, die mit etwa 1,6 Millionen EinwohnerInnen auch das bevölkerungsreichste Bundesland ist, nur knapp über ein Prozent.

Während beide rechte Parteien im Wahlkampf die Parole »Österreich zuerst« benutzen, heißt es bei den Sozialdemokraten (SPÖ): »Österreich verdient eine bessere Zukunft.« Es besteht wenig Hoffnung, dass damit auch die Zukunft von Migrantinnen und Migranten gemeint ist. Die SPÖ, die die Frem­denrechtsnovelle 2005 mit beschlossen hat, versucht, mit Themen wie Wirtschaft, Rente, Gesundheit und Bildung Sympathien zu gewinnen. Seit dem Skandal um die geheim gehaltenen Milliardenverluste der Bank Bawag im Frühling liegt die Partei erstmals seit zwei Jahren in den Umfragen wieder hinter den Konserva­tiven. Die Bank, die nun verkauft werden soll, gehört noch dem der SPÖ nahe stehenden Österreichischen Gewerkschaftsbund.

Die Grünen verfügen zwar mit Alexander van der Bellen über den Kandidaten, der Umfragen zufolge das größte Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Worauf es sich allerdings gründet, ist fraglich. Denn zu einer klaren Koalitionsaussage lassen sich grüne Spitzenpolitiker nicht hinreißen. Wie die SPÖ schließen die Grünen eine Koalition mit der ÖVP nicht aus. Und auch in Sachen Migration haben die Grünen mit ihrer Idee eines »Punktesystems zur Steuerung der Erwerbsmigra­tion« nicht gerade linke Akzente gesetzt. Die Grün­alternative Jugend Wien kritisierte die Pläne der Partei daher als »unmenschlich« und mit Grundwerten wie Solidarität und Selbstbestimmung unvereinbar.

Die Orte, an denen MigrantInnen und andere Minderheiten nicht nur als Objekte behandelt werden, sind rar. In Wien demonstriert beispielsweise die Initiative »Ehe ohne Grenzen« wöchentlich gegen die Auswirkungen des im Januar 2006 in Kraft getretenen Ausländergesetzes und gegen die Krimi­nalisierung von binationalen Ehen. In Organisationen wie diesen sind auch die Überreste jener zivilgesellschaftlichen Proteste des Jahres 2000 zu suchen, denen der Soziologe Pierre Bourdieu es damals zutraute, sie könnten die »Vorhut« einer »europä­ischen Sozialbewegung« werden.

Zu denen, die noch aktiv sind, gehört auch der Kultur­rat Österreich. Der Zusammenschluss von Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden warnt vor einer Zerstörung der »demokratischen Grundlagen Österreichs« nach sechs Jahren Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Mit einer Veranstaltungsoffensive zu kulturellen und migrationspolitischen Themen will der Kulturrat eine »Repolitisierung der Politik« bewirken und damit zu »einem Ende dieser Ära« beitragen, heißt es in der Vorankündigung im Internet.

Zu einem »Linksruck in Österreich«, vor dem das BZÖ warnt, wird es jedoch nach aller Wahrscheinlichkeit nicht kommen. In der Diskussion um die rund 40 000 Menschen aus ost­europä­ischen Ländern, die Pflegearbeit leisten und sich meist »illegal« in Österreich aufhalten, konn­ten zwar auch die Rechten im Wahlkampf nicht direkt deren Ausweisung fordern. Die Forderung nach »genereller Legalisierung« der Pflegekräfte, die selbst von den Grünen aufgestellt wurde, ging allerdings nahezu völlig unter. Auch die KPÖ war bei diesem Thema mit ihrem Slogan »Helfen statt Strafen« nicht erfolgreich.

Die KPÖ, die seit den fünfziger Jahren nicht mehr im Nationalrat ist, hat mit Kurt Palm einen bekannten Intellektuellen auf ihrer Liste und mit Ernest Kaltenegger in Graz einen erfolgreichen Lokalpolitiker. Allerdings geriet sie im Jahr 2004 durch den Verkauf des ehemals besetzten Ernst-Kirchweger-Hauses an einen Neonazi in der radikalen Linken in Misskredit. Mit 39 Prozent der Stimmen, die den Konserva­tiven vorausgesagt werden, scheinen sie schon jetzt als Gewinner der sechsjährigen Regierungs­zeit mit den Rechten festzustehen. Die Kommunistische Partei taucht in den Umfragen gar nicht erst auf.