Das Bellen des Gesindels

Eine Ausstellung im Centrum Judaicum beschäftigt sich mit den jüdischen Fußballpionieren – und mit Rassismus im heutigen Fußball. von elke wittich

Der Ball schlägt in der Fensterscheibe ein, was ein lautes Klirren zur Folge hat. Der kleine Junge, der ihn geschossen hat, muss sich allerdings nicht vor Ärger fürchten. Ball und Glas sind lediglich virtuell und markieren den Beginn der Ausstellung »Kicker, Kämpfer, Legenden – Juden im deutschen Fußball« im Berliner Centrum Judaicum.

Der Fehlpass stammt vom jungen Walther Bense­­mann, einem der Pioniere des deutschen Fußballs und dem Gründer der Zeitschrift Kicker, der vor den Nazis in die Schweiz flüchten musste. Seine Lebens­geschichte und das Leben vier weiterer jüdischer Protagonisten der »englischen Fußlümmelei«, wie der Fußballsport lange verächtlich tituliert wurde, Gottfried Fuchs, Julius Hirsch, Kurt Landauer und Richard »Little« Dombi, stehen im Mittelpunkt der Ausstellung, die sich im letzten Teil dem alltäglichen Rassismus und Antisemitismus im heutigen Fußball widmet.

»Natürlich, was die Namen betrifft, so können wir nicht mit großen Überraschungen aufwarten«, sagt Chana Schütz, Leiterin der Ausstellung. »Aber wir wollen ja auch ein junges Publikum ansprechen, bereits jetzt, kurz nach der Eröffnung, liegen viele Anmeldungen von Schulklassen vor.«

Ist der Zeitpunkt für die »Kicker, Kämpfer, Legenden« aber nicht denkbar schlecht gewählt, nach­dem Fußball während der WM im Sommer viele Wochen lang das Hauptthema gewesen ist?

Die unter anderem mit Unterstützung des Bundes­familienministeriums und des Innenministeriums verwirklichte Ausstellung sei natürlich schon länger geplant gewesen, sagt Schütz. »Die Anträge wurden noch vor der letzten Bundestagswahl gestellt, da gab es natürlich mit dem Regierungswechsel einige ablaufbedingte Verzögerungen. Im Nachhinein ist es allerdings ein Glück, dass wir nicht während der WM gestartet sind, denn wie alle Berliner Kultureinrichtungen haben wir in dieser Zeit unter einem starken Besucherrückgang gelitten.« Rund 20 Prozent seien es im Centrum Judaicum gewesen, »entsprechend stark« seien die finanziellen Einbußen gewesen. »Aber schon der DFB, der uns sehr bei dieser Ausstellung unterstützt hat, hatte in guter Einschätzung der Lage gesagt, dass diese Ausstellung besser erst nach der WM statt­finden sollte, weil sie dann viel mehr Menschen erreiche.«

Nun habe man bewusst eine multimediale Präsen­tation vorgesehen und auch die WM einbezogen, wo die Kapitäne der am Viertelfinale beteiligten Teams wie Beckham, Ballack und Figo eine Erklärung gegen Diskriminierung vorlasen. Theo Zwanziger, der extra zur Ausstellungseröffnung gekommen war, zeigte sich begeistert. »Er sieht die immen­se Popularität des Fußballs in Deutschland auch als Verantwortung«, freut sich Schütz, das jüngste harte Vorgehen gegen Hansa Rostock wegen rassistischer Fan-Gesänge im Pokalspiel der Amateure gegen Schalke 04 zeige, dass der DFB es sehr ernst meine mit der Einhaltung der Anti-Diskriminierungs-Richtlinien der Fifa.

In seinem Grußwort zeigte sich Zwanziger erfreut darüber, dass »eine junge Generation von Historikern, Publizisten, Fußballfreunden und Fans« nun Fragen »nach dem jüdischen Beitrag zur deutschen Fußball­geschichte« stelle und viele Geschichten dadurch vor der Vergessenheit bewahre.

Wie die von Jenö Konrad und Richard Dombi: Nachdem der 1. FC Nürnberg im August 1932 das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft gegen den FC Bayern München verloren hatte, erschien im Stürmer ein Hetzartikel. Unter der Überschrift »Der 1. FC Nürnberg geht an den Juden zugrunde« hieß es dort: »Club! Besinne Dich und wache auf. Gib Deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch und dann wirst Du wieder gesund. Oder Du gehst an den Juden zugrunde.«

Gerichtet war das Pamphlet vor allem gegen Eugene Jenö Konrad, der seit 1930 Trainer von Nürnberg war. Obwohl die Vereinsführung sich sofort hinter den Trainer stellte und Spieler wie der bekannte Na­tio­nal­kicker Hans Kalb ihn baten, »nicht auf das Bellen dieses Gesindels zu hören«, zog Konrad wenige Monate vor der Machtergreifung die Konsequenzen und verließ Deutschland.

Auch sein Trainerkollege beim FC Bayern München erkannte schnell, dass der sich ausbreitende Antisemitismus keine vorüber­gehende Erscheinung sein würde. Richard »Little« Dombi hieß eigentlich Richard Kohn und hatte, 1888 in Österreich geboren, das Kicken beim Wiener AC und bei MTK Buda­pest gelernt, wo ihm der Spitzname »kleine Eminenz« verpasst worden war, den er als Nachnamen übernahm.

Dombi, einer der besten Trainer seiner Zeit, emigrierte einige Monate nach dem Gewinn der Meisterschaft im Mai 1933 in die Schweiz, nachdem zuvor schon Kurt Landauer, der jüdische Präsident des FCB, seinen Rücktritt vom Amt erklärt hatte und damit seinem Ausschluss durch den Verband zuvorgekommen war.

Dombi wurde zunächst Trainer beim FC Basel, ein Jahr später ging er jedoch als Chef­coach zu Feyenoord Rotterdam und sorgte dafür, dass der Verein 1936 und 1938 Meister wurde. Empfohlen hatte ihn ausgerechnet der damalige niederländische Bonds­coach Karel Johannes Julianus Lotsy, ein ausgesprochener Antisemit, der sich später in seiner Eigenschaft als Verbandschef den antijüdischen Vorschriften der Nazis mehr als bereitwillig beugte. Der damalige Niederländsche Fußballbund KNVB beschloss zum Beispiel Wochen vor dem offiziell erlassenen generellen Sportverbot durch die Nazis am 30. August 1941, dass Juden nicht mehr als Schiedsrichter tätig sein durften. Nicht zuletzt deswegen wurde 1997 eine Straße in Amsterdam, die jahrzehntelang Lotsys Namen getragen hatte, offiziell in Gustav-Mahler-Straße umbenannt.

Ausgerechnet Lotsy holte Dombi also ausgerechnet nach Feyenoord, zu dem Verein, der heute als traditionell antisemitisch gilt. Die Rotter­damer sorgten jedoch dafür, dass Dombi die deut­sche Besatzungszeit überlebte – über Einzelheiten, zum Beispiel darüber, wer ihn wie lange wo versteckte, sprach der Trainer jedoch nie. »Es wird ihn auch niemand gefragt haben«, vermutet Frau Schütz, »das tat man damals eben einfach nicht.«

Von 1951 bis 1952 saß Dombi wieder auf der Rotterdamer Trainerbank. Sein in den dreißiger Jahren erworbener Ruf war immer noch legendär, denn er hatte immer auch abseits des Spielfelds für seine Kicker gesorgt. Er hatte sich zum Beispiel immer darum gekümmert, dass Spieler, die plötzlich ihre Arbeit verloren hatten, möglichst schnell wieder neue Jobs erhielten. Außerdem gab er ihnen psychologische Unterstützung und galt als Wunderdoktor, der kleinere Blessuren mittels einer Wundersalbe heilte, die in Wirklichkeit vermutlich nichts anderes als eine stinknormale Creme war. Als Trainer sei er »seiner Zeit um mindes­tens 100 Jahre voraus gewesen«, sagte Cor van der Gijp, ehemals Stürmer bei Feyenoord. »Wo er aktiv war, war das Positionsspiel einfach perfekt.«

Die Geschichten von Dombi und Co. sind aber ganz bewusst nicht zum Schlusspunkt der Ausstellung gemacht worden. Zu den ersten wieder gegründeten jüdischen Sportvereinen gehörte Hakoah Berlin, wo ab 1947 unter anderem der verstorbene Fernsehstar Hans Rosenthal kickte. Weil viele Juden in Deutschland keine Zukunft für sich sahen und auswanderten, wurde der Club schließlich aus Mitgliedermangel aufgelöst. 1970 wurde dann TUS Makkabi Berlin gegründet, in der ersten Mannschaft spielen heute nur vier Juden. In Film­ausschnitten erzählen einige Spieler des Vereins, Juden, Christen, Muslime, während der WM darüber, was den Verein für sie ausmacht, über Diskriminierungen auf dem Platz, Vorurteile und davon, was sie bei Gesängen wie »Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!« empfinden. Die Ausstel­lungsbesucher stehen dabei auf kleinen Tribünen. Rechts und links davon sind Fotos von rassistischen und antisemitischen Transparenten und Plakaten zu sehen, die bei Fußballspielen in Deutschland gezeigt wurden.

Kicker, Kämpfer, Legenden – Juden im deutschen Fußball. 13. 9. 2006 – 15. 12. 2006, Centrum Judaicum, ­Oranienburger Straße 28/30, 10117 Berlin. Öffnungszeiten: Sonntag bis Freitag täglich ab 10 Uhr