Der böse Hitler war’s

Das deutschsprachige Feuilleton stand noch einmal stramm und verabschiedete sich von Joachim C. Fest. Ein Nachruf auf die Nachrufe. von jan süselbeck

Ich nicht«. Der Titel von Joachim C. Fests nunmehr posthum erschienener Autobiografie stand wie ein allmächtiges Motto über den Nachrufen auf den Verstorbenen. Matthias Matusseks erste, noch auf der Druckfahnenlektüre beruhende Rezension der Memoiren und seine aufgrund des plötzlichen Tods Fests schnell nachgeschobene Grabrede im Spiegel gaben die Richtung der Debatte vor, die da besagte: Viele, allen voran der große Buhmann Günter Grass, mochten einmal Nazis gewesen sein – der »angebliche« konservative Dunkelmann Fest war es nicht.

Zwar wurde in fast allen Besprechungen von Fests Autobiografie referiert, dass sich der junge Rekrut zum Entsetzen seines widerständigen katholischen Vaters sehr wohl freiwillig zur NS-Luftwaffe gemeldet habe. Angeblich um seinem Einzug in die SS zu entgehen (darauf muss man auch erst mal kommen). Aber dieser offensichtliche Widerspruch zur Hagiografie eines »stolzen Einzelgängers« (Matussek) und »Mannes von Statur« (Bernd Eichinger), der von Anbeginn zu einer »skeptischen Generation« (NZZ) gehört und gar nicht mitgemacht habe, schien niemandem aufzufallen.

Überhaupt: die Sache mit der »Skepsis«. Die FAZ widmete dem »skeptischen Bürger« Fest gleich ein ganzes Dossier. Auch die NZZ ließ sich nicht lumpen und pries seine angebliche Einsicht, »dass man wachsam zu sein hat und skeptisch sein muss gegenüber den Wölfen im Schafspelz eines Weltverbesserung versprechenden Utopismus«. Auch die taz betete ergeben nach, für »utopische Gestimmtheiten« habe Fest »nicht nur kein Verständnis« gehabt, sondern sie »als Bedrohung« empfunden – räumte allerdings ein, er sei »nicht zu skeptisch gewesen, um die Bundesrepublik durch einen immensen intellektuellen Gestaltungswillen zu einer Erfolgsgeschichte zu machen«.

Selten las man einen solchen verquasten Unsinn. Ausgerechnet Fest, der als selbstherrlicher Autor der bestenfalls populärwissenschaftlichen und 1977 auch noch unsäglich verfilmten Führer-Nekrophilie-Bibel »Hitler« (1973) auftrumpfte und sich 1986 als langjähriger FAZ-Herausgeber zum ersten Fürsprecher von Ernst Nolte und dessen Historikerstreit-Revisionismus aufschwang – eben dieser zeitlebens an vorderster Front für die konservative deutsche Sache streitende Fest sollte sich nun als einsame Verkörperung des Bartleby’schen »Ich möchte lieber nicht« entpuppen?

Allein schon seine Anbiederung an Hitlers Rüstungsminister Albert Speer, dessen Erinnerungen er brav lektorierte und denen er offenbar glauben wollte, um sie 1999 auch noch zu einer beschönigenden Biografie zu verwursten, sollte Fests angebliches »Misstrauen [gegenüber] den Ideologen« (NZZ) und seinen »Kampf gegen den Konformismus« (FAZ) eigentlich für alle Zei­ten ad absurdum geführt haben. Während ein wirklicher Nonkonformist wie Jean Améry, der Speers Todeslager selbst überlebt hatte, dem verlogenen Verfasser der »Spandauer Tagebücher« 1975 nahe legte, doch bitte wenigstens jetzt endlich zu schweigen, war es Fest, der die schamlosen Flunkereien des ebenso lukrativ wie nebulös bereuenden NS-Bonzen bis zuletzt treu nachbetete.

Sowieso: Fest und seine Nazi-Elite. Zeitlebens geradezu obsessiv mit Hitler und dessen engster Entourage befasst, stilisierte der Biograf seine Hingabe an der Deutschen liebs­tes Thema zu einem schmerzvollen Opfergang. »Behelligt« habe er sich gefühlt von dem »widrigen Gegenstand«, ließ der große »Utopienskeptiker« Ende der achtziger Jahre wissen. »Seine eigene Utopie, sich den musischen und geistigen Höhepunkten der Geschichte zu widmen, der italienischen Renais­sance etwa oder dem Leben Mozarts, hat er angesichts der immer wieder drängenden Zeitthemen zurückgestellt« (FAZ). Wie selbstlos: Als führender deutscher Publizist habe er sich sein »Lebens­thema« natürlich nicht einfach aussuchen können wie jeder andere, erschauderte die Welt, »es ist ihm zugefallen oder zugewiesen worden vom Schicksal«.

Welche Folgen dieses schwere »Schicksal« zeitigte, fasste Fests Nachfolger Frank Schirr­macher in seinem Nachruf in die Worte: »Kein Buch, das seit 1945 in deutscher Sprache erschienen ist, ist bedeutender als Fests ›Hitler‹, und kein anderer Autor war dem Verfasser des monumentalen Werks, war Joachim Fest, vorher oder nachher stilistisch und gedanklich gewachsen.«

Hannes Heer erinnert jedoch in seinem 2005 erschienenen Buch »Hitler war’s – Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit« daran, dass Fest mit seinem in viele Sprachen übersetzten »Meisterwerk der Geschichtsschreibung« (Schirrmacher) »zur ersten Adresse für alle diejenigen geworden« war, »die die Geschichte der Nazizeit umzuschreiben gedachten«. »Hitler kam aus dem Nichts und riss die Welt mit ins Nichts, die ihn hatte groß werden lassen«, fasst die NZZ den intellektuell durchaus bescheidenen Inhalt des unkaputtbaren Bestsellers zusammen, der ganz der traditionell-raunenden Mystifizierung Hitlers als »Teufel« und Inkarna­tion des »Bösen« entspricht.

Dass sich Hitlers verhängnisvolle Macht über die wehrlosen Deutschen dem rationalen Begreifen entziehe, war Fests oft gepredigtes Credo. Wenn er also Mitte der achtziger Jahre Thomas Mann in einem Essay jeglichen politischen Sachverstand absprach, musste er wohl insgeheim auch sich selbst gemeint haben – denn über Manns dämonischen »Doktor Faustus«-Mythos war auch Fest in seinem mediokren Hitler-Schmöker nie hinausgekommen.

In den achtziger Jahren betrieb Fest den »Ausbruch aus dem angeblichen Zwangskorsett einer ›kollektiven Schuldbesessenheit‹« der Deutschen um so energischer, wie Heer resümiert. Fest ließ den revisionistischen Historiker Ernst Nolte in seiner »Zeitung für Deutschland« die Frage stellen, ob Hitler nicht lediglich präventiv auf Stalins »asiatische Tat« reagiert habe – den Gulag nämlich, der womöglich »ursprünglicher als ­Auschwitz« gewesen sei.

In seinem letzten Spiegel-Interview vom 21. August behauptete Fest über diese Inauguration des Historikerstreits bauernschlau: »Ich habe Noltes Text veröffentlicht, weil in einer liberalen Gesellschaft ein solcher Debattenbeitrag erlaubt sein muss. […] Ich hielt Noltes Auffassung, dass der Faschismus nur eine Reaktion auf den Bolschewismus war, für falsch. Aber er hatte alles Recht, sie einmal in dieser Gesellschaft zu äußern.«

Fests langjähriger Freund, sein Literaturressortleiter Marcel Reich-Ranicki, Überlebender des Warschauer Ghettos, wusste es schon früher besser: »Ich habe an diesem fatalen Historikerstreit gelitten. Ich habe mich geschämt, denn er ging von der Frankfurter Allgemeinen aus – und sie spielte in ihm keine rühmliche Rolle. Ich habe mich geschämt, denn er wurde von Joachim Fest inspiriert und zeitweise organisiert.«

Das ist die Wahrheit über die »Kühle des Blicks und die Höhe des Stils«, die die FAZ ihrem verstorbenen Ex-Herausgeber vorige Woche bescheinigte. Vor diesem »Homo politicus« (NZZ), dem in seiner Jugend der Sinn »kaum nach Politik« stand (NZZ), schlug man nun also noch einmal die Hacken zusammen und übte sich im Festschen »Sich gerade machen« (Matussek). Im Kasernenhofton ruft uns der Spiegel-Kulturressortleiter zu: »Durchsage also an den Betrieb, an die Buchhändler, an die Leser: Sobald sie damit fertig geworden sind, den Grass-SS-Juckreiz zu kratzen, das wichtigere, das wahrhaft große Buch dieses Herbstes ist das von Joachim Fest.« Wer’s glaubt …