Die Bahn hebt ab

Wenn die Deutsche Bahn AG an die Börse geht, drohen Verschlechterungen für die Kunden und Entlassungen von Mitarbeitern. von christoph villinger

Beim Thema Bahn ist alles ganz anders, als man denkt. Da droht die Bahngewerkschaft Transnet mit Streiks, damit beim geplanten Gang an die Börse die Deutsche Bahn AG möglichst viel an öffentlichem Eigentum mitnehmen darf. Und der als harter Sanierer bekannte Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) entdeckt, dass sich ein Schienennetz nicht rentabel betreiben lässt. Selbst im Bundestag geben die Abgeordneten die bekannten Ansichten ihrer Fraktionen auf und stellen neue Mehrheiten abweichend zu der der Regierungskoalition her.

Als letzter staatseigener Konzern nach der Lufthansa, der Post und der Telekom soll die Deutsche Bahn spätestens im Jahr 2008 an die Börse gehen, mit höchstens 49 Prozent ihrer Anteile. Mehr geht nicht, da ist das Grundgesetz vor. In diesen Wochen sollte nach jahrelangen Auseinandersetzungen eine Grundsatzentscheidung des Bundestags über die Art der Privatisierung der Deutschen Bahn gefällt werden. Fünf Modelle waren im Gespräch, vom »integrierten Konzern«, bei dem der Fahrbetrieb mitsamt dem Schienennetz an die Börse gegangen wäre, bis hin zu einer vollständigen Trennung dieser beiden Teile. Dann wäre die Deutsche Bahn AG eben einer unter mehreren Anbietern auf dem weiterhin staatseigenen Netz und hätte sich einer Konkurrenz stellen müssen, ähnlich einem Busunternehmer auf öffentlichen Straßen.

Zwar ist dieses Modell, das eine Schreckensvorstellung für den Vorstandsvorsitzenden der Bahn, Hartmut Mehdorn, ist, weil er die Konkurrenz fürchtet, kein Thema mehr, trotzdem versucht er, die für Oktober geplante Entscheidung ins kommende Jahr zu verschieben. Denn im Bundestag zeichnet sich immer deutlicher eine Mehrheit für einen Kompromiss ab, bei dem das Schienennetz im Eigentum des Bundes bleibt und über ein Nießbrauchrecht oder ähnliche Rechtsformen der Deutschen Bahn AG zur Bewirtschaftung übertragen wird. Sie müsste aber das Netz für andere Bahnunternehmen öffnen, ein Wettbewerb, möglicherweise zum Wohle der Kunden, sollte sich entwickeln, ähnlich wie nach der Privatisierung der Telekom. Da Mehdorn genau dies verhindern will, beharrt er darauf, dass die Deutsche Bahn das Schienennetz behält.

Eine für Außenstehende unerwartete Unterstützung erhält Mehdorn von Transnet. Aus Angst um die Arbeitsplätze der rund 220 000 Eisenbahner droht die Gewerkschaft für Ende September mit ersten Warnstreiks und befürwortet ebenso einen Verbleib des Schienennetzes bei der Deutschen Bahn AG. Denn sie hat mit der Bahn eine bis zum Jahr 2010 geltende Vereinbarung zur Sicherung der Arbeitsplätze getroffen. Jede Veränderung in der Konzernstruktur würde diese in Frage stellen. Um den Konflikt zu verschärfen, will Mehdorn zum jetzigen Zeitpunkt keine Beschäftigungsgarantie abgeben.

Deshalb verkündete der Vorsitzende der Transnet, Norbert Hansen, nach den gescheiterten Tarifgesprächen, dass »die Beschäftigten die Schnauze gestrichen voll haben von den politischen Ränkespielen, die auf ihrem Rücken ausgetragen werden«. Vom 19. bis 26. September sind nun in ganz Deutschland Betriebsversammlungen unter freiem Himmel geplant, um den Erhalt der Arbeitsplätze durchzusetzen.

Warum die Deutsche Bahn AG hierfür eine Zusage weder geben kann noch geben will, erklärte Sarrazin auf einer von den Grünen im Bundestag organisierten Anhörung im Juli dieses Jahres. Dabei enthüllte er einiges über seinen alten Gegenspieler Mehdorn. Im Jahr 2000 war Sarrazin für mehrere Monate Leiter der Konzernrevision der Deutschen Bahn AG, bis es zwischen ihm und Mehdorn zu internen Auseinandersetzungen kam. Für Sarrazin ist klar, dass »bis zum Jahr 2010 weitere 50 000 Mitarbeiter abgebaut werden, weil nur so die angepeilten Gewinn­margen zu erreichen sind«. Deutlich sprach er sich auf der Tagung für eine Trennung von Schienennetz und Fahrbetrieb aus, »weil das Netz dauerhaft strukturell defizitär ist, also eine öffentliche Aufgabe« darstelle. Und um diese sollen sich offenbar keine am Profit orientierten Privatunternehmer kümmern.

Aus der Sicht von Sarrazin handelt es sich bei der ganzen Sache um ein riesiges Immobiliengeschäft. Denn zum Schienennetz gehören eben auch hochwertige innerstädtische Grundstücke rund um die Bahnhöfe, die immer weniger Gleise benötigen. In Berlin ist der Verkauf dieser Grundstücke fast abgeschlossen, aber in Stuttgart etwa steht das Projekt »Stuttgart 21«, der Bau eines Bahntunnels unter der Innenstadt und der anschließende Verkauf der Flächen rund um den Hauptbahnhof, immer noch auf der Tagesordnung. »Zehn bis 15 Milliarden Euro können da insgesamt schon rausgeholt werden«, schätzt Sarrazin die Möglichkeiten der privaten Anteilnehmer der Bahn ein. Ihm wäre es, anders als Mehdorn, lieber, der Staat würde dieses Geschäft machen.

Weniger dem Primat des Profits unterworfen ist die Sicht des Bündnisses »Bahn für alle«, das unter anderen von Attac, dem BUND und den Naturfreunden Deutschlands getragen wird. Der Sprecher Jürgen Mumme begrüßt ebenfalls, dass die Entscheidung des Bundestags bereits zum zweiten Mal vertagt wird. »Die Regierung muss zugeben, dass ihre Börsenpläne gescheitert sind. Statt starrsinnig weiter daran festzuhalten, sollte sie lieber prüfen, wie eine moderne öffentliche Bahn nach dem Vorbild der Schweiz realisiert werden könnte«, sagte er. Die Schweiz mache vor, wie Bahnen in öffentlicher Hand mit kundenfreundlicher Politik mehr Verkehr auf die Schiene bekommen. »Dabei ist die Schweizer Bahn wirtschaftlicher, kommt mit weniger Zuschüssen aus und fährt unter schwierigeren geographischen Bedingungen als unsere Bahn.« In der Schweiz hat die Bevölkerung bereits vor Jahren in einer Volksabstimmung ein modernes Bahnkonzept durchgesetzt.

Das Bündnis rechnet für den Fall eines Verkaufs der Bahn mit gravierenden Folgen für Steuerzahler und Fahrgäste. Erasmus Müller von Attac meint: »Alle Varianten eines Börsenganges bedeuten eine beispiellose Verschleuderung öffentlichen Vermögens.« Es sei zudem vorgesehen, dass die jährlichen staatlichen Zuschüsse in Höhe von etwa neun Milliarden Euro auch nach dem Verkauf in gleicher Höhe weiter fließen. »Erst verschenken wir unsere Bahn an private Investoren, und dann bezahlen wir mit unseren Steuern deren Rendite. Das ist absurd«, kritisiert er das Vorhaben.

Nicht nur das Bündnis »Bahn für alle« befürchtet, dass private Investoren vor allem an einer hohen Rendite interessiert seien und sich daher auf die profitablen Strecken konzentrierten. Nach Ansicht von Experten sind insgesamt weitere 5 000 Kilometer Bahnstrecken von der Stilllegung bedroht. Zudem drohen weitere Fahrpreiserhöhungen. »Es ist unverantwortlich, unsere Mobilitätsbedürfnisse den Profit­interessen privater Investoren zu unterwerfen. Ein Börsengang ist das Gegenteil einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik«, sagt dazu Mumme.

Doch solche banalen Fragen beschäftigen Mehdorn schon lange nicht mehr. In den vergangenen Jahren hat er mit dem Kauf von Speditionen wie Schenker und dem US-Logistikunternehmen Bax Global aus der Deutschen Bahn AG ein weltweit agierendes Logistikunternehmen gemacht. Der Transport von Personen ist da nur noch eine Randerscheinung. Es geht um »Mobility Networks Logistics«, wie es der neue Werbespruch der Bahn fasst. Endgültig abheben wollte Mehdorn vor wenigen Tagen: Da bot er an, den Flughafen Tempelhof zusammen mit Kooperationspartnern für Geschäftsflieger offen zu halten – trotz der für Oktober 2007 geplanten Schließung. Wahrscheinlich sind ihm seine ICEs selbst zu teuer, zu langsam und zu unpünktlich.