Es ist angerichtet

Der Skandal um das Gammelfleisch zeigt, wie sehr auch die Lebensmittelindustrie dem Konkurrenzdruck unterliegt. von peter bierl

Ich zielte auf die Herzen der Menschen und zufällig traf ich ihre Mägen«, bilanzierte Upton Sinclair enttäuscht. Er hatte in dem Roman »Der Dschungel« aus dem Jahr 1906 die grauenhaften Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Schlachthöfen und Slums von Chicago Anfang des 20. Jahrhunderts geschildert. Präsident Theodore Roosevelt war so beeindruckt, dass er zwei Referenten losschickte, die Sinclairs Schilderungen bestätigten. Nur für die Geschichte, dass Arbeiter, die in Brühkessel fielen, als Feinschmalz verkauft wurden, fanden sie keine Beweise. Die Folge war ein Gesetz zur Reinerhaltung von Büchsenfleisch. Das Buch veränderte aber nicht die Lage der Werktätigen der fleischverarbeitenden Industrie, und die Massen strömten auch nicht der Sozialistischen Partei Amerikas zu, wie Sinclair gehofft hatte.

Hersteller und Händler manipulieren Lebensmittel, seitdem mit Essen gehandelt wird. Gesetze haben daran nicht viel geändert. In der Antike mischten Verkäufer Sand oder Wasser unter, im Mittelalter klagten Verbraucher über Brot, das durch Hefe aufgeblasen war. Müller streckten Mehl mit Gips, Kreide oder Kalk und Metzger die Wurst mit einem Kleister aus Mehl und Wasser. Die Stadt Paris verbot Ende des 14. Jahrhunderts, Butter zu färben, eine Verordnung aus Leipzig untersagte 300 Jahre später, Gammelfleisch mit frischem Blut anzustreichen.

Glykol-Wein, BSE-Rinder, Nitrofen-Getreide, Schweinepest, Gammelfleisch – Lebensmittelskandale kommen und gehen. Sie sind auch Medienphänomene, die eine Ausnahme von der Regel suggerieren. Dabei konsumieren wir täglich mit Pestiziden belastete Nahrungsmittel wie Erdbeeren, Pap­rikaschoten oder Weintrauben.

Zum Auftakt des gegenwärtigen Skandals rückten Polizei und Lebensmittelkontrolleure am 24. August in dem Münchner Vorort Gröbenzell zu einer Razzia bei einem Zwischenhändler an. Dieser soll Fleisch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums umetikettiert haben, was als Betrug und Urkundenfälschung bestraft werden kann. Der Betrieb ist spezialisiert auf »Ethnofood«, auf bayrische Weißwürste, spanische Chorizos und englische Frühstückswürstchen, Donuts, Tortillas und Pizzaböden.

Einige Tage später entdeckten die Behörden in einem Kühlhaus in Johanneskirchen bei München über 40 Tonnen verdorbenes Gemüse und mehr als 90 Tonnen Gammelfleisch, überwiegend für Döner vorgesehen. Der Leiter der Münchner Sonderkommission »Kühlhaus« sprach von einer »Döner-Mafia«, türkische Zeitungen halluzinieren inzwischen eine Weltverschwörung gegen den Lieblingsimbiss der Deutschen.

Umetikettiertes, verdorbenes und stinkendes Fleisch wurde inzwischen auch in anderen Bundesländern gefunden. Bemerkenswert ist, dass die meisten Fälle aufgrund anonymer Hinweise bekannt wurden und nicht von den zuständigen staatlichen Prüfern entdeckt wurden. Die Kontrolleure haben viele Tonnen falsch etikettierter Produkte übersehen, weswegen es ziemlich irreführend ist, wenn der bayerische Verbraucherschutzminister Werner Schnappauf (CSU) davon spricht, er könne ja nicht jedes Schnitzel kontrollieren lassen.

Die staatlichen Lebensmittelkontrollen sind offenbar unzureichend und werden lasch gehandhabt, die Zuständigkeit ist unter Ländern und Kommunen und verschiedenen Behörden aufgeteilt, die Ämter sind unterbesetzt und gar nicht in der Lage, die Mengen an Lebensmitteln zu prüfen, die sich in Kühlhäusern türmen.

So wurde der Betrieb in Johanneskirchen, dessen Inhaber sich inzwischen erhängt hat, seit dem Jahr 2004 acht Mal von Lebensmittelkontrolleuren und Tierärzten geprüft, die angeblich alle nichts fanden. Der für die Firma zuständige Veterinär ist inzwischen vom Dienst suspendiert. Spekuliert wird über Korruption und darüber, ob Landräte und Bürgermeister nicht viel zu eng mit örtlichen Gewerbetreibenden verbandelt seien, als dass sie eine effektive Aufsicht gewährleisten könnten.

Sicher ist, dass Schnappauf und seine Ministerkollegen auch in Zukunft nicht jedes Schnitzel kontrollieren werden. Die Verbraucherzentrale hat die Ergebnisse der Ministerkonferenz, die sich mit den gegenwärtigen Vorfällen befasste, als enttäuschend bezeichnet.

Verfälschtes, gepanschtes, gestrecktes und verdorbenes Essen kommt immer wieder in den Grundnahrungsmitteln vor, auch wenn die industrielle Landwirtschaft und die Lebensmittelchemie das Nahrungsangebot in den hoch entwickelten kapitalistischen Staaten vergrößert, verbessert und deutlich billiger gemacht haben, was durchaus als Fortschritt anzusehen ist. Denn dank der Massenproduktion sinken die Kosten, was zunächst prima ist. Dafür werden aber auch Äcker mit Giftstoffen besprüht, es wird in Monokulturen angebaut und dem Essen werden allerlei Geschmacks- und Konservierungsstoffe zugesetzt. Landarbeiter und Bauern werden vergiftet, fruchtbare Böden erodieren, Trinkwasser wird verseucht und die Qualität der Produkte sinkt. BSE ist keine Verschwörung arischer Metzger gegen britisches Beef, wie manche meinen, sondern die Folge einer Massentierhaltung, in der Tiere eingepfercht und mit Abfällen, Antibiotika und Hormonen vollgestopft werden.

Wenn im Supermarkt Wurst, Fleisch oder Gemüse für ein paar Cent angeboten werden, ist darum meistens etwas faul. Für die Schnäpp­chenjagd der einen müssen andere bezahlen: Beschäftigte in der verarbeitenden Industrie und im Handel, Landarbeiter und Kleinbauern, die viel zu wenig für ihre Arbeit bekommen.

Der Handel mit Gammelfleisch ist Ausdruck des scharfen Konkurrenzkampfs in der Branche. Gastronomie und Einzelhandel locken Kunden mit Billigangeboten, Besserverdiener, die sich aufgeklärt dünken, kaufen in edlen Ökokonsumtempeln ein. Ärmeren bleiben die Discounter. Dass es auch in der Ökobranche zu einem Skandal kommt, ist allerdings nur eine Frage der Zeit. Diese Unternehmen unterliegen genauso den Mechanismen des Markts wie die konventionelle Konkurrenz. In der vergangenen Woche haben Polizisten und Lebensmittelkontrolleure die Firma Ökoring bei München durchsucht. Sie fanden keine verdorbenen Lebensmittel, allerdings war anscheinend Fleisch falsch etikettiert. Die Behörden untersagten dem Biogroßhändler, der Läden in ganz Süddeutschland beliefert, weiter mit Fleisch und Wurst zu handeln.

Die Ernährung aus dem Naturkostladen muss man sich erst einmal leisten können. Wer die Belastung seiner Gesundheit vermindern will, dem bleibt unter den gegebenen Umständen dennoch nur, Bioprodukte der einschlägigen Qualitätsfirmen zu kaufen. Deren Produkte werden schärfer und häufiger überprüft als konventionelle Ware.

Aufgeklärte Menschen lassen dabei Demeter-Produkte und Rudolf-Steiner-Brote in den Regalen vergammeln, um nicht die Anthroposophen mit ihren okkulten Wahnvorstellungen und Rassenlehren zu unterstützen, und sie boykottieren Bio­läden, die braunen Ernährungsgurus wie dem ehemaligen SA-Mann Max Otto Bruker huldigen. Schließlich geht es beim Essen nicht nur um Magen und Herz, sondern auch um den Verstand.