Für Mohn und Gotteslohn

Den Taliban ist es gelungen, in Afghanistan eine soziale Basis zu gewinnen. Die Drogenbekämpfungspolitik hat dazu beigetragen. von jörn schulz

Es gibt blühende Landschaften in Afghanistan. In jedem Sommer verschönert die Blüte des Schlafmohns die karge Bergwelt. Bald nachdem die Planzen ihre Blütenblätter abgeworfen haben, beginnt die Ernte. In dieser kurzen Periode wird das Produkt gewonnen, dem Afghanistan 35 Prozent, nach manchen Schätzungen sogar mehr als die Hälfte seines Bruttosozialprodukts verdankt. 6 100 Tonnen Opium wurden in diesem Jahr nach Angaben des U.N. Office on Drugs and Crime gewonnen, eine Produktionssteigerung um 59 Prozent.

Neben den ausländischen Finanzhilfen und den Ausgaben der zahlreichen NGO ist die Opiumwirtschaft die einzige bedeutende Geldquelle. Die höchste Produktionssteigerung verzeichnete die Uno in den südlichen Provinzen, in denen die Taliban aktiv sind. Doch es verdienen auch mit der Regierung verbündete Warlords am Opiumgeschäft, und selbst Habibullah Qadori, der Minister für Drogenbekämpfung, gesteht: »Die Korruption ist schlimm, es gibt viele Fälle, in denen Polizisten beim Opium- oder Heroinschmuggel erwischt werden.«

Die Drogenbekämpfung gehörte von Anfang an zu den Prioritäten der EU und der USA. Der afghanischen Regierung, deren Budget fast ausschließlich von ausländischen Geldgebern bezahlt wird, wäre ohnehin kaum etwas anderes übrig geblieben, als dieser Vorgabe zu folgen. Da lokale Warlords mit dem Erlös des Drogengeschäfts ihre Milizen finanzieren und eine Klientel an sich binden, hat Präsident Hamid Karzai jedoch selbst ein Interesse daran, den Opiumanbau zu bekämpfen.

Die Drogenbekämpfung wird gebremst durch die begrenzten Kapazitäten der Regierungs- und Interventionstruppen, die zudem auf die einflussreichen Warlords Rücksicht nehmen. Dennoch wurden nach Angaben der Regierung im vergangenen Jahr 40 000 Hektar Mohnfelder zerstört, immerhin knapp ein Viertel der derzeitigen Anbaufläche. Vernichtet wurde jedoch meist die Existenzgrundlage armer Bauern, die nicht unter dem Schutz einflussreicher Machthaber stehen und es sich nicht leisten können, die Regierungsbeamten zu bestechen.

Diese Politik habe dazu geführt, dass »Gemeinden sich dem bewaffneten Widerstand anschließen, während aufständische Gruppen ihnen im Kampf gegen die Zerstörungtrupps der Regierung helfen«, stellt ein Anfang September veröffentlichter Bericht des Senlis Council fest. Der Think Tank unterhält fünf Büros in Afghanistan, die Mitarbeiter untersuchten auch die Lage im umkämpften Süden des Landes.

Die Bilanz des Berichts ist verheerend. Fünf Jahre nach dem Sturz der Taliban gebe es »keine messbaren Erfolge in der Armutsbekämpfung«, die Lebenserwartung liegt bei 45 Jahren, »70 Prozent der Bevölkerung sind chronisch mangelernährt«. Die internationale Hilfe erreiche nicht einmal Dörfer, die nur wenige Kilometer von Provinzhauptstädten entfernt sind. »Die Taliban nutzen den großen Zorn der Afghanen über die Hungerkrise aus«, sie hätten nun die »psychologische und de facto die militärische Kontrolle über die Hälfte Afghanistans«.

Der Senlis Council macht vor allem die verfehlte Drogenbekämpfungspolitik für dieses Desaster verantwortlich. Sie führe zur Verarmung der Landbevölkerung, da die den Bauern ans Herz gelegten Ersatzpflanzen zum Teil auf den kargen Feldern gar nicht erst gedeihen und es derzeit unmöglich sei, etwas anderes als Opium halbwegs profitabel zu vermarkten.

Auch die Weltbank stellt fest, dass »ein abruptes Schrumpfen der Opiumwirtschaft oder fallende Opiumpreise ohne neue Mittel, den Lebensunterhalt zu sichern, die ländliche Armut deutlich verschlimmern«. Hauptmann Leo Docherty, der ehemalige Adjutant des britischen Kommandanten in der südlichen Provinz Helmand, bemerkt lakonisch: »Wenn die Menschen ihre Häuser und Opiumfelder verlieren, werden sie kämpfen. Ich würde es tun.«

Der Senlis Council schlägt vor, den lizenzierten Opiumanbau zur Herstellung von Medikamenten zu fördern. Trotz der wachsenden militärischen Probleme der Interventionstruppen scheinen die westlichen Staaten und die Uno jedoch an ihrer Politik festhalten zu wollen. Der Wiederaufbau aber kann schwerlich gelingen, wenn sich Regierung und Interventionstruppen nach Kräften bemühen, den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes zu zerstören.

Wie in anderen failed states, »gescheiterten«, in von Warlords kontrollierte Territorien zerfallenen Staaten mangelt es an einem ernst zu nehmenden Konzept des nation building. Zum Scheitern des Wiederaufbaus trägt bei, dass Afghanistan pro Kopf der Bevölkerung wesentlich weniger Hilfszahlungen erhält als die meisten anderen Bürgerkriegsstaaten. Die Ausgaben für zivile Zwecke betragen nur ein Zehntel dessen, was für die Kriegführung ausgegeben wird.

Zudem bestanden die Interventionsstaaten, die schnelle Erfolge vorweisen wollten, auf der zügigen Abhaltung von Präsidentschaftswahlen. Da viele Afghanen unter dem Druck lokaler Machthaber und ihrer Milizen wählen mussten, sitzen nun überwiegend Vertreter der Warlords und Islamistenführer im Parlament. Auch die häufig rücksichtslose Kriegführung der Interventionstruppen bringt viele Afghanen gegen die Regierung und ihre ausländischen Unterstützer auf.

Den Taliban, deren Herrschaft vor fünf Jahren unerwartet schnell zusammenbrach, könnte es nun doch noch gelingen, die Interventionstruppen in einen Abnutzungskrieg zu verwickeln. Die Gotteskrieger verlassen sich nicht allein auf die Kraft des Glaubens. Dawlat Khan, ein Offizier der afghanischen Armee in Ghazni, berichtete der britischen Tageszeitung Guardian, wie ein gefangener Taliban auf die Frage antwortete, warum er kämpfe. »Dir bezahlen sie 5 000 Afghanis (80 Euro). Ich verdiene 20 000 pakistanische Rupien (270 Euro). Jetzt sage mir, warum du kämpfst.«

Dieser Monatslohn für ungelernte Jihadisten übersteigt das durchschnittliche Jahreseinkommen in Afghanistan. Neben ihrem Anteil am Opiumgeschäft, dessen Volumen auf mehr als vier Milliarden Euro geschätzt wird, erhalten die Taliban Geld von reichen Sympathisanten in Pakistan und den Golfmonarchien. Sie verfügen über ein sicheres Rückzugsgebiet in Pakistan, in den dortigen Koranschulen werden auch die ideologisch motivierten Kämpfer ausgebildet, die Kader und die Selbstmordattentäter, die für den Gotteslohn, die 72 Jungfrauen, sich und andere töten.

Die Taliban haben ihren terroristischen Methoden nicht entsagt. Mit den Anschlägen auf Schulen setzen sie den Kampf gegen die Mädchenbildung fort, Anhänger der Regierung und andere Opponenten werden in den von ihnen kontrollierten Gebieten ermordet, wenn sie nicht rechtzeitig fliehen. Andererseits sind sie bemüht, durch den Schutz für Opiumbauern und Geldzahlungen eine Klientel an sich zu binden. Manche Afghanen folgen ihnen auch aus ideologischer Sympathie.

Anders als im Irak, wo sich al-Qaida mehr und mehr isoliert hat, gewinnt der Jihadismus in Afghanistan eine soziale Basis. Ussama bin Laden hat sich zwar getäuscht, als er im Jahr 1996 erklärte, »der russische Soldat ist mutiger und geduldiger als der US-Soldat«, und deshalb vermutete, »unsere Schlacht mit den Vereinigten Staaten ist leicht«. Der Wandel vom Terror- zum Guerillakrieg könnte die Interventionstruppen jedoch im Süden Afghanistans in eine ähnliche Lage bringen wie die, in der sich die Rote Armee in den achtziger Jahren befand.