Gut gemeint und doch daneben

Trotz vieler Appelle und Programme zur Integration der Roma in Osteuropa hat sich deren Lebenssituation in den vergangenen Jahren nicht sichtlich verbessert. von guido sprügel

Kaum eine gesellschaftliche Gruppe wird derart diskriminiert und ist gleichzeitig Anlass von so vielen gut gemeinten Programmen zur »Integration« wie die Roma und Sinti. Zwischen sieben und neun Millionen Roma leben nach einer Schätzung der Weltbank in Europa, davon über 80 Prozent in den neuen Mitgliedsstaaten oder Kandidatenländern der EU. Und in fast allen ost- und südosteuropäischen Staaten ist die Situation der Roma und Sinti vergleichbar – sie leben mehrheitlich sozial isoliert, in großer Armut und fernab der Mehrheitsgesellschaften.

Daran konnte bislang auch die so genannte Romadekade nichts ändern, die für die Jahre 2005 bis 2015 von der EU und der Weltbank in Zusammenarbeit mit acht osteuropäischen Staaten ausgerufen wurde, um die Assimilation osteuropäischer Roma zu befördern. ( Jungle World 05/05) Denn fast allen Programmen ist ein Grundproblem zueigen – sie machen Politik für Roma und nicht mit ihnen. So ist die Lage nach wie vor in vielen Bereichen katastrophal.

So sind beispielsweise von den 800 000 bulgarischen Roma weiterhin 90 Prozent arbeitslos, 80 Prozent haben keine Ausbildung, und fast alle leben in Elendsvierteln wie Hristo Botew, einem Außenbezirk von Sofia. »Hier gibt es keine Kanalisation, und 3 000 Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser«, klagte Zlatko Mladenov, Vizepräsident der Internationalen Roma-Union, im August gegenüber der taz. Dabei gilt Hristo Botew noch als Vorzeigesiedlung. Umfragen zufolge halten 50 Prozent der Bulgaren die Roma für kriminell und empfinden sie als Last für die Gesellschaft.

Auch Ungarn wurde im Jahresbericht 2006 von amnesty international zum wiederholten Male wegen der Diskriminierung der 800 000 Roma kritisiert und wegen rassistischer Übergriffe verurteilt. Nach einer Erhebung des European Roma Rights Centre mit Sitz in Budapest hat jeder zweite Romahaushalt kein Warmwasser, 17 Prozent der Romabevölkerung lebt in Siedlungen ohne ärztliche Versorgung. Auffällig zeigt sich die gesellschaftliche Isolation auch an den Schulen. In 700 von 4 000 Grundschulen werden ausschließlich Romakinder unterrichtet, die als geistig behindert eingestuft werden.

Besonders besorgniserregend ist die Lage allerdings in der Slowakei, wo es bereits vor zwei Jahren im Osten des Landes zu Hungerrevolten der Roma gekommen ist. Die knapp 500 000 Roma, die sich in der Slowakei selbst »Cigani« nennen, bilden mit zehn Prozent der Gesamtbevölkerung eine sehr große Minderheit im slowakischen Staat. Fast alle vegetieren in Ghettos vor sich hin, die zu den größten Europas zählen. Sie wohnen oft in Hütten, in denen sie nur mit Papierdächern vor Regen, Wind oder Schnee geschützt sind. Kanalisation gibt es in diesen Siedlungen nicht, selten Strom oder fließendes Wasser. Über 80 Prozent der Bevölkerungsgruppe sind nach offiziellen Angaben arbeitslos, im Süden sind es teilweise an die 100 Prozent.

Nach den Parlamentswahlen im Juni nahm Ministerpräsident Róbert Fico von der sozialdemokratischen Partei Smer auch die rechtsextreme Slowakische Nationalpartei SNS in die Regierungskoa­lition auf. Zwar bekam sie wegen ihrer rassistischen Agitation kein Ministeramt zugesprochen, doch der Parteivorsitzende Jan Slota fühlt sich als Sieger. In der Vergangenheit hat er immer wieder offen gegen Roma gehetzt. Sie seien »geistig zurückgeblieben« und »Parasiten«. Damit hatte er Erfolg, immerhin erzielte er knapp elf Prozent der Wählerstimmen, was auch auf antiziganistische Vorurteile in der slowakischen Bevölkerung hinweist.

Das gilt auch für das ostslowakische Dorf Vysny Kazimir. Dort hat der Bürgermeister Michal Duda den Roma vor zwei Monaten ein Badeverbot für einen nahe gelegenen Teich erteilt. »Die Roma machen Unordnung, sie baden angezogen und fahren mit Fährrädern ins Wasser«, behauptete er in einem Interview mit der Zeitung Sme. Der Beschluss war zuvor vom Gemeinderat eingefordert worden.

Bereits zu Zeiten des Realsozialismus wurden Roma aus Gründen der »Städteverschönerung« in Ghettos und Siedlungen umgesiedelt, deren Verwahrlosung man ihnen dann zum Vorwurf machte. Der Journalist Karl-Markus Gauß beschreibt in seinem Buch »Die Hundeesser von Svinia« den Prozess der Ghettoisierung am Beispiel Kosice. In der slowakischen Stadt ist in den siebziger Jahren die größte Romasiedlung des Landes entstanden: Lunik XI. Dort leben rund 6 000 Roma. Weil die Altstadt von Kosice damals für Touristen saniert werden sollte, wurden die Roma einfach in das Ghetto umgesiedelt. Die Regierung verbot ihnen, ihre traditionellen Berufe wie Schmied oder Kesselflicker auszuüben, und steckte die männlichen Roma in »anerkannte Berufe«. Immerhin hatten zumindest die Männer während dieser Zeit Kontakt zu »Weißen«, wie die slowakischen Roma die Slowaken nennen.

Nach 1989 dramatisierte sich die Entwicklung – Roma standen als erste ohne Arbeit auf der Straße, vor allem nachdem der damalige Premierminister Mikulas Dzurinda in den Jahren 1998 und 2004 zwei drastische Kürzungen der Sozialleistungen vorgenommen hatte, versanken viele Romafamilien in bitterer Armut – knapp neun von zehn Familien sind von Sozialhilfe abhängig.

Die Roma in der Slowakei haben kaum eine Lobby, um sich gegen die offen gezeigte Abneigung zu wehren. Zu zerstritten sind ihre jeweiligen Clans, und es fehlt an einer gesamt­slowakischen Interessenvertretung. Deswegen kommt jedoch auch Hilfsgeld der EU selten bei den Adressaten an. Zwar stellten sich immer mal wieder Parteien, die die Roma vertreten wollten, zur Wahl, doch zerstritten sie sich relativ schnell, und bei der letzten Wahl trat keine von ihnen mehr an. Der slowakische Geheimdienst SIS warnte im August davor, dass Geld von NGO und Stiftungen wegen deren engen Bindungen an den Staatsapparat nicht bei den Bedürftigen ankäme.

Wie sich die Probleme ändern lassen können, darüber bestehen unterschiedliche Auffassungen. Allerdings wird es ohne eine ernstgemeinte Einbindung der Roma selbst, ohne Verständnis für ihre Kultur und ohne Umwandlung der Ghettos in Wohngebiete mit angemessenen Lebensbedingungen unmöglich sein, ihre Situation zu verbessern.