Schampus für alle

Wie Natascha Kampusch den Voyeurismus der Medien bedient und sich selbst vermarktet. von martin schwarz, wien

Sie ist, wie kürzlich die Wiener Tageszeitung Kurier im Superlativ schwelgend formulierte, das »begehrteste Gesicht der Welt«. Und sie wird es auf absehbare Zeit bleiben, denn ihre Lebensgeschichte hat in ihrer medialen Verwertbarkeit unvorstellbare Dimensionen: Natascha Kampusch, 18 Jahre alt, 3 096 Tage lang in einem Keller­verlies dahinsiechend, einem 44jährigen Biedermann ausgeliefert, ist für Medien in aller Welt ungefähr so ein Glücksfall wie der 11. September, der Autounfall von Prinzessin Di, die Drogenexzesse von Kate Moss und ein Wal im Kieler Hafen zusammen. Auch einen Spitznamen haben zumindest Österreichs Medien schon für das Goldkind: »Schampus-Kampusch« wird sie genannt.

Das Faszinierende an der Geschichte der 18jährigen Wienerin ist nicht alleine, dass sie in dem zwölf Quadratmeter kleinen Bunker ihres Entführers Wolf­gang Priklopil überlebt hat, sondern zugleich ihre wundersame Metamorphose vom bedauernswerten Opfer zu einer überwältigenden Persönlichkeit. Als sie ihr erstes Fernsehinterview gab, saß eine erstaunlich starke, erstaunlich gebildete und mit der Komplexität der deutschen Sprache erstaunlich vertraute junge Frau vor den Kameras. Von einem »Pakt mit dem späteren Ich« sprach sie und vom Hunger und seinen Folgen: »Jeder Gedanke quält sich aus einem heraus.« In einem anderen Interview verwendete sie Wörter wie »Teleportation« – kurzum: Die Frau, die da vor den Mikrofonen ausgewählter Medien saß, besaß den Wortschatz eines Duden-Redakteurs und ein Verständnis der Zeitläufte, das den meisten ihrer Altersgenossen mit viel geradlinigerem Lebenslauf fehlt.

Das ist verblüffend. Denn eine Schulbildung, ein normales Lebensumfeld waren ihr nicht vergönnt. Kein MTV, kein Viva, keine Disco, keine Clique, kein Jamba-Klingelton-Abo. Nur den österreichischen Kultursender Ö1 durfte sie in ihrem Verlies hören. Und die liberale Tageszeitung Der Standard lesen. Und dann auch noch das: Statt mit tränen­erstickter Stimme von ihrer Gefangenschaft zu sprechen, erklärte Kampusch, sie wolle eine Stiftung für Entführungsopfer in Mexiko gründen. Woher sie die Information hat, dass in einer bestimmten Region in Mexiko viele Frauen auf dem Weg zur Arbeit entführt werden? Niemand weiß es. Mag sein, dass ihr so etwas eingeflüstert wurde von ihrem Medienberater. Kann sein, dass sie irgendwann einmal in ihrem Verlies davon gehört hat. In jedem Fall steigerte es die Bewunderung für Natascha Kampusch in beinahe sakrale Verehrung.

Als sie im österreichischen ORF das Interview gab, waren Wiens Straßen wie leer gefegt. In einigen Lokalen wurde das Interview auf Leinwänden übertragen. Public Viewing und ein Entführungsopfer, das so gar nicht war, wie die Leute erwartet hatten. Runder kann eine Story nicht sein. 80 Prozent der Österreicher sahen das Interview, niemals hatte der österreichische Staatsrundfunk eine höhere Quote. Insgesamt 120 Fernsehsender kauften das Interview, rund 100 Millionen Menschen sahen es auf der ganzen Welt. Auch zwei Boulevardmedien gab Natascha Kampusch Interviews, der Illustrierten News und der größten Tageszeitung des Landes, der Krone. Beide Medien erhöhten ihre Auflage, selbst bei Zeitungsverteilern in der Wiener Innenstadt wurden Vorbestellungen abgegeben.

Umgeben ist Natascha Kampusch nun von den teuersten Beratern des Landes. Als Medienberater fungierte bisher Dietmar Ecker, der mit seiner PR-Agentur so ziemlich jeden vertritt, der Rang und Namen hat oder im Idealfall ein Imageproblem. Für Kampusch arbeitet der stets bescheiden wirkende Ecker kostenlos. Weder ein Honorar kassiert er nach eigenen Angaben, noch streicht er Pro­visionen für die Fernsehrechte an dem Inter­view ein. Er ist auch für so sympathische Un­ternehmen wie den Viagra-Produzenten Pfizer, den Internet-Flirt-Anbieter Parship oder die in arge Nöte geratene österreichische Bank Bawag tätig.

Ein bisschen peinlich ist es, dass Ecker auch das österreichische Bildungsministe­rium in PR-Fragen berät. Den Job hat er offenbar weniger gut gemacht, denn das Image der österreichischen Bildungsministerin Elisabeth Gehrer ist denkbar schlecht. Besonders dramatisch für Eckers bisher untadelige Karriere als PR-Mann mag es da sein, dass sich in österreichischen Medien Kommentare darüber mehren, die verwundert danach fragen, wie eine 18jährige ohne Schulbildung mehr Ahnung von der Welt und der deutschen Sprache haben kann als ein österreichischer Schüler. Vielleicht sollte sich Ecker wieder verstärkt der Vermarktung seines Problemfalls Gehrer widmen.

Kritik hat dem bekennenden Sozialdemo­kraten, Porsche-Fahrer und Pferdezüchter auch die Auswahl der Medien für das Kampusch-Interview eingebracht: Ausgerechnet die beiden Boulevardblätter, News und Krone, wählte er aus, weil sie »sozial kompetent« seien. Dass Kampusch noch eine Woche zuvor das Magazin News verklagen wollte, weil das Heft ein seltsames »Protokoll des Grauens« aus ihrem Entführungsfall zusammenschusterte, war wohl vergessen, als News und Krone die Scheckbücher zückten. Angeblich 600 000 Euro hat sie für das Interview von beiden Medien erhalten, dazu kommt die Übernahme der Ausbildungskosten für Natascha Kampusch, eine Eigentumswohnung sowie – angeblich – eine Anstellung bei der Krone. Den Job wird Kampusch wohl nicht mehr wirklich brauchen: Insider schätzen, dass das international vermarktete Fernsehinterview ihr rund eine Million Euro eingebracht hat. Einen Großteil des Geldes wird sie in ihre Stiftung einbringen, doch auch sonst hat die junge Frau vermutlich ausgesorgt: Schon interessiert sich Hollywood für ihre Lebensgeschichte, was wei­tere 1,5 Millionen bringen könnte. Dietmar Ecker hat wohl recht: Diese Frau »ist eine Gold­grube«. Jeder Cent sei ihr gegönnt.

Auch die Berliner haben bald Gelegenheit zum Beglotzen der Frau: Die Tourismus-Zentrale Berlins hat Natascha und ihre Schwester in die Hauptstadt eingeladen und bezahlt Anreise, Übernachtun­gen und »individuelle Betreuung«. Paparazzi, macht eure Objektive scharf!