Swinging Aldi-Optik

Jan Georg Schüttes Kinofilm »Swinger Club« ist eine Live-Improvisation, die mit Wackelkamera und ohne Drehbuch arbeitet. von jürgen kiontke

Kaum dass der Film »Swingerclub« angefangen hat, bekommt man es mit Wackel-Video-Format, Schlamper-Optik, Lichtmist, Aneinander-Vorbei­gerede zu tun. Es dauert aber nicht lange, bis man überzeugt ist, dass Geschichten auf der Höhe der Zeit am besten genau so erzählt werden: mit den Stilmitteln der Überwachungsvideos an Bahnhöfen, der Happy-Slapping-Filme und al-Qaida-­Videos.

Beim Drehbuch – die sollen ja in Deutsch­land oft so schlecht sein – hielt sich Regisseur Jan Georg Schütte auch vornehm zurück. Da konnten sich also schon mal keine Fehler einschleichen. Den Schauspielern wurde die Grundidee des Films mitgeteilt, den Rest durften sie – ganz modern – allein machen.

Die Mimen treffen sich in einem norddeutschen Einfamilienhaus, ganz wie es bei solchen Leuten zu finden ist, die sich aufgrund individueller Lebensplanung in derlei Ambiente zurückziehen – für die Elb­chaussee zu wenig, für Harburg zu viel Geld in der Tasche. Kurz, sie sind schon etwas älter, haben aber noch keine grauen Haare. Nennen wir sie der Einfachheit hal­ber Generation SUV (Sports Utility Vehicle), nach den monströsen Geländewagen, mit denen die Mittelschicht ihren Nachwuchs aus Sicherheitsgründen zum Kindergarten chauffiert, nur um die Kinder von anderen damit platt zu fahren.

Zum fünften Hochzeitstag von Albert (Stephan Schad) und Biggi (Susanne Wolff) gibt’s Büfett, Sekt, Geständnisse über Affären und weitere sinnentleerte Dialoge zu Geld, Kind und Rasenlänge. Und: »Ey, wart ihr eigentlich schon mal im Swinger Club? Die sind immer so spießig eingerichtet …« Jetzt weiß man, warum der Film so heißt. Hier wird sich herausstellen, dass man die spießigen Swinger ruhig allein lassen kann – die anakademisierten Kreise organisieren sich den Club dezentral.

Es scheint, dass Männer in dem Alter zu doof und Frauen zu blöd zum Verhüten sind: die einen, weil so oft vorher nichts passiert ist, die anderen, weil’s ab Mitte dreißig mit der Vermehrung schwieriger wird. Denn kurz nach der Swinger-Debatte wird’s brandpolitisch – es fällt der Satz, mit dem sich derzeit alle Hoffungen auf privates Glück und Zukunft von Rente, Gesund­heitswesen und globaler Konkurrenzfähig­keit verbinden: »Ich bin schwanger.«

Da ist er raus, der Betrug, denn das Kind kann von jedem sein, nur nicht vom offiziel­len Vater. Der weiß auf einmal – Lebenssinn lässt grüßen –, warum Eigentum so wichtig ist: aus Sub­limierungsgründen. Damit man dem Konkurrenten sagen kann: »Verpiss dich aus meinem Haus.« »Das ist meine Frau« – der Satz kommt ja nun zu spät.

Hier wird klar: Man befindet sich im Lebenslügen-Genre, nicht von ungefähr gemahnt das ganze Setting an Tho­mas Vinterbergs »Das Fest« oder gern auch »Die 120 Tage von Sodom« – die Leute, die sich zum Liebhaben treffen, die tun sich auch ordentlich weh. »Swin­ger Club« stellt die Frage, warum die Teilsaturierten auch heute noch nichts Vernünftiges mit sich anzustellen wissen.

Im zweiten Teil des Films, diesmal muss eine Hochzeit gefeiert werden, wieder trifft man sich am Deich undsoweiter, soll es nicht besser werden: Das Brautpaar liebt sich nicht, die Trau­zeugen sind nicht überzeugend, ein Baby gehört nirgendwo hin. Eddy (Ole Schloss­hauer) ist schwul geworden, und Vadim (Juri Schrader), der Bräuti­gam, ist sein Lover – eine Zweckheirat in Sachen Aufenthaltsgenehmigung – kurz: Es regnet. Ein Film wie eine frische Dusche. Zuvor heißt es: »Du hast sie betrogen, sie hat dich betrogen, jetzt könnt ihr wieder zusammen sein.«

Aus der fragilen Privatheit entstehen dann weltbewegende Ereignisse. In den Worten von Heulsuse Karina (Marie Bäumer): »Ich will mein eigenes beschissenes Unglück in einen neuen Zusammenhang stellen.« Und sie geht als NGO-Helferin nach Bagdad – die Problemchen sind nicht weniger geworden, aber haben jetzt gewissermaßen globalisiertes Flair.

Ist dies alles ein neues filmisches Paradigma? Jedenfalls wird man sich ganz konkret mit den Folgen von »Swinger Club« auseinandersetzen müssen. In der Reihe »Glück im Hamburg 2« soll die Geschichte nach dem Filmstart auf der Bühne des Thalia weiter gesponnen werden. Schon vorher bot der Film Anlass zu Diskussionen um den Einsatz von »Volkstechnik« als Stilmittel – so im Mai 2006 beim Filmfest Schleswig-Holstein im Symposion »Kleine Kamera – großes Kino«. Regisseure loteten die Möglichkeiten digitaler Bildproduktion und das Konzept der Improvisation aus.

Dass die neuen Produktionsmittel nach neuen Inhalten und Formaten verlangen, lautete etwa der Tenor von Bernd Fiedler, Kameramann, Regisseur und Autor des Filmproduktionskonzepts »Drehbank«.

Moderne DV-Kameras machten es mög­lich, abendfüllende Spielfilme (zunächst für das Fernsehen) mit einem geringen Budget zu produzieren, so Fiedler. Komplizierte und teure Studiotechnik fessele den Filmkünstler in Zeiten, in denen man mit einem Aldi-Computer kinotaugliche Filme schneiden kann, nur noch.

Kritiker wie der Regisseur Peter Ott sehen das anders. Technische Impulse und Minimalismus habe es in der Filmgeschichte schon oft gegeben. Ott zweifelt an der Euphorie, obwohl er fasziniert sei von der Möglichkeit, dass »ein Computer für 3 000 Euro heute ein ganzes Kopierwerk ersetzt«.

In der Filmgeschichte habe es immer wieder solche Impulse gegeben, etwa als die 16-Millimeter-Kriegsreporter-Kame­ras aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkamen und das US-Autorenkino beflügel­ten, als Video in den Siebzigern neue Drehs ermöglichte. Es gebe »keine Befreiung bloß durch ein neues Medium«. Letztlich komme es immer auf das Talent des Filmemachers an, und das setze sich auch im bestehenden Produktionssystem durch.

Der Nachwuchs glaubt jedoch an die Aldi-Optik. Christian Mertens, Student an der Babelsberger Filmhochschule, sieht »eine neue Möglichkeit für Filme, die nicht mehr von Filmemachern gemacht sind«. Sondern von jedem.

In Zeiten, in denen selbst erfolgreiche Filmhochschulabsolventen ihren Unterhalt mit Taxifahren verdienen müssten, biete ihnen das neue Medium wenigstens die Möglichkeit, weiter Filme »ohne Geld« zu produzieren.

Schütte hatte mit »Swinger Club« sogar noch ein bisschen weitergedacht und zunächst sogar die rein digitale Distribu­tion des Films geplant. So weit ging er dann aber doch nicht.

Mag auch der Film aus dem Aldi-Rechner nur geringe Produktionskosten verur­sachen, ein Problem bleibt. Der zahlungs­unwillige oder -unfähige Kinogänger, der sich seine Filme aus dem Internet herunterlädt, passt weder in das Konzept von Low noch von High Budget. Da wird die Kunst, mit Kunst Geld zu verdienen, was sie immer war: Überlebenskunst.

»Swinger Club« (D 2005). Regie: Jan Georg Schütte. Start: 21.9.