Über Gott und die Welt

In der Türkei wird die Rede des Papstes als eine politische Forderung interpretiert: Europa soll christlich bleiben. von jan keetman, istanbul

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan wartete bis zum Samstag, ehe er seine Reaktion auf die Äußerungen des Papstes in Worte goss. In einer Zeit, in der der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen begonnen habe, habe sich der Papst unglücklich geäußert, meinte Erdogan und fügte hinzu, dass er glaube, der Papst werde diese »hässlichen Äußerungen« zurücknehmen und sich bei den Muslimen entschuldigen. Ende der vergangenen Woche hatten sich in der Türkei die Gemüter ein wenig besänftigt.

Am Dienstag der vergangenen Woche hatte Benedikt XVI. bei seiner Rede in der Universität Regensburg ein Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos eingebaut, in dem Mohammed vorgeworfen wird, er habe nur »Schlechtes und Inhumanes« gebracht. Die Reaktionen aus den islamischen Ländern ließen nicht lange auf sich warten. Der Bombenanschlag auf eine Kirche in Gaza am Samstag ließ befürchten, dass die Proteste sich wie nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen im Februar dieses Jahres in den islamischen Ländern ausweiten.

Um die von Benedikt XVI. vorgebrachte These zu diskutieren, wäre das Zitat völlig überflüssig gewesen. Denn im Grunde war das nur die Oberfläche: Die wirkliche Stoßrichtung geht gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Dies war sicherlich einer der Gründe, warum insbesondere die türkische Regierung zunächst zwar indirekt, aber harsch zurückschlug. Der Leiter der staatlichen Religionsbehörde, Prof. Ali Bardakoglu, nannte Benedikt XVI. einen »religiösen Fanatiker« und betonte, dass die geplante Türkei-Reise des Papstes am 28. November keinen Sinn mehr habe. Der Fraktionsvorsitzende der regierenden AKP, Salih Kapusuz, verglich Ratzinger gar mit Hitler und Mussolini. Doch am Wochenende schickte nach Angaben der Zeitung Aksam der türkische Außenminister Abdullah Gül einen Brief nach Rom; der Papst solle seine für Ende November geplante Reise in die Türkei nicht verschieben, sei darin zu lesen.

Den Sinn seiner Worte, die viele in der Türkei als »Affront« bezeichnen, hat der Papst in seiner Rede etwas versteckt, doch er wurde trotzdem wahrgenommen. Das Thema ist die Verurteilung des heiligen Kriegs. Es sei gegen die Vernunft, den Glauben mit dem Schwert zu verbreiten, denn der Glaube sei eine Angelegenheit der Seele, nicht des Leibes, argumentierte er. Dann machte er daraus einen prinzipiellen Unterschied zwischen Christentum und Islam. Der islamische Gott sei so abstrakt, dass er an nichts, auch nicht an die Vernunft gebunden sei. Doch es sei gegen die Natur Gottes, Gott und die Vernunft zu trennen. Im Christentum sei die Verbindung von Gott und Vernunft hingegen fundamental. Behutsam leitete Ratzinger nun dazu über, die Abgrenzung zwischen Christentum und Islam zu einer Abgrenzung zwischen »christlichem Europa« und Islam zu machen. Über den Gebrauch der griechischen Sprache für das Neue Testament, aber auch für die Übersetzung und, wie Ratzinger meint, für die Neuinterpretation des Alten Testaments stellte der Papst eine Verbindung zwischen Christentum und griechischem Geist her.

Mit seinem recht willkürlichen Gedankenspiel erklärte Ratzinger so den Islam für eine unlogische Gewaltreligion, verband aber das Christentum mit der Vernunft, mit der griechischen Tradition. Und dann reklamierte er eine christliche Identität für Europa. Das Christentum sei zwar im Osten entstanden, es habe aber seinen Charakter durch die Verbindung mit dem Griechentum angenommen und, zusammen mit dem Erbe Roms, Europa hervorgebracht. An dieser Stelle wies der Papst darauf hin, dass dies heute noch wichtig sei. Die eigentliche Botschaft seiner Rede, die er auszusprechen vermied, ist jedoch klar: Eine muslimische Türkei gehört nicht nach Europa.

Auf die Idee zu seinem aus 2 000 Jahren Geschichte zusammengeflickten Referat ist Ratzinger vermutlich bei der Vorbereitung zu seinem Besuch in Istanbul gekommen. Dort will er im November das nominelle Oberhaupt der griechischen Orthodoxie, den Patriarchen Bartholomaios, treffen. Die Beschäftigung mit Byzanz, die freundliche Vereinnahmung der griechischen Philosophie, alles passt zu dieser Begegnung.

Bartholomaios hat jemanden wie den Papst dringend nötig. Der erzkonservative Bischof von Athen, Christodoulos, ist dabei, die griechisch-orthodoxe Kirche in eine Nationalkirche unter seiner Führung zu verwandeln und damit Bartholomaios als Oberhaupt abzulösen.

Die Türkei bestreitet ebenfalls eine uni­versale Rolle des Patriarchen und versucht, ihm den Gebrauch seines Titels »ökumenischer« – also universeller – Bischof zu verbieten. Außerdem hält sie weiterhin das einzige orthodoxe Priesterseminar der Türkei auf der Insel Heybeliada bei Istanbul geschlossen. Da der Patriarch nach dem Gesetz türkischer Staatsbürger sein muss, wird es schwer, für Bartholomaios einen Nachfolger zu finden. Ein Besuch des Papstes aber würde die schwindende Rolle des Patriarchen von Konstantinopel, wie sein Titel heute noch lautet, aufwerten.

Der Streit mit Bartholomaios ist für die Türkei ein sehr sensibler Punkt. Einer der Gründe für die harsche türkische Reaktion ist wohl die Möglichkeit, den Papst auf diese Weise indirekt auszuladen. Ratzingers Pläne, nach Istanbul zu reisen, wurden schon einmal von der Türkei mit Tricks verschoben.

Für die türkische Regierung war die Rede des Papstes noch aus einem anderen Grund fatal. Zu den außenpolitischen Lieblingsprojekten der Türkei gehört die Initiierung eines »Dialogs der Kulturen«. Als der Papst in Regensburg referierte, hielt der türkische Außenminister in Paris ein Referat über die »Versöhnung der Kulturen«.

Ein solcher, von der Türkei in Gang gebrachter Prozess würde die Rolle des Landes als Mittler aufwerten. Außerdem stärkt eine Konzentration auf die Kulturen – da diese dann unter der Hand hauptsächlich religiös definiert werden – schließlich auch die Rolle der Religion in der Politik. Auf diesem Umweg wäre dann vielleicht eines Tages auch die Strenge zu mildern, mit der die kemalistischen Generäle die religiösen Kreise der Türkei in Schach halten. In dieser Sicht wäre der Papst ein strategischer Verbündeter gewesen. Doch obwohl Ratzinger am Ende seiner Rede vom »Dialog der Kulturen« spricht, tut er gerade alles, um diesen zu verhindern. Er hat sich entschieden, seine Ziele, die, was die Aufwertung der Religion betrifft, denjenigen der türkischen Regierung gar nicht so unähnlich sind, nicht durch Zusammenarbeit, sondern durch Abgrenzung zu erreichen.

Die türkische Regierung versuchte Ende der Woche, den Vorfall etwas herunterzuspielen. Es fällt auf, dass sich außer Erdogan und Gül bisher keine prominenten Politiker zu Wort gemeldet haben. Das Bedauern des Papstes wurde in vielen türkischen Medien nicht als Entschuldigung gesehen. Auf diese Entschuldigung könne man lange warten, meint etwa der Herausgeber der proeuropäischen Tageszeitung Radikal. Die wichtigsten und »aus dem Blickwinkel der Türkei feindlichsten« Worte seien ohnehin nicht die über den Propheten, sondern die über die christliche Identität Europas gewesen.