Wo geht’s hier zur Front?

Einsatz der Bundeswehr von stefan frank

»Wer die Fernsehbilder von den feiernden Menschen in Kabul nach dem Abzug der Taliban gesehen hat – ich denke hier vor allen Dingen an die Bilder der Frauen, die sich endlich wieder frei auf den Straßen begegnen dürfen –, dem sollte es nicht schwer fallen, das Ergebnis der Militärschläge im Sinne der Menschen dort zu bewerten«, sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im November 2001. Damals, als »wir« für kurze Zeit »alle Amerikaner« (Peter Struck) waren, da wollten sich auch deutsche Politiker, die noch in den achtziger und neunziger Jahren die Taliban bzw. ihre Vorläufer hofiert hatten, damit brüsten, in Afghanistan allerlei Gutes zu bewirken: sei es für die Frauenemanzipation oder die »deutsche Freiheit«, die es ja bekanntlich auch plötzlich am Hindukusch zu verteidigen galt.

Doch schon bald flog der Schwindel von der angeblichen Befreiung Afghanistans auf. Es stellte sich heraus, dass die Internationale Schutztruppe Isaf in Wahrheit nur einzelne Flecken des Landes unter Kontrolle gebracht hatte. Der Rest, hieß es, werde von »Warlords« beherrscht.

Das war nicht besonders schön, aber solange niemand so genau wusste, wie so ein Warlord eigentlich aussieht, schien er nicht besonders gefährlich – andere Länder, andere Sitten. Die Taliban waren ja offiziell besiegt. Was aber muss man jetzt hören? Scheinbar urplötzlich sind die schießwütigen Zottelbären wieder da, bringen Politiker, Polizisten, Soldaten und Geistliche um (oder wen sie eben gerade treffen), zünden Mädchenschulen an und kontrollieren offenbar die Hälfte des Landes, vor allem den Süden, wo sie patrouillieren und Straßenkontrollen errichten. Die Opiumernte erzeilt jedes Jahr neue Rekorde, für Geld ist also gesorgt, und die afghanische Polizei ist hilflos. Kam das alles über Nacht?

Die Wahrheit ist, dass die USA, weil sie einen Erfolg vorzeigen wollten, die Lage beschönigen mussten, wobei die Bundesregierung, weil ebenfalls involviert, sie unterstützte. Dabei hatte ein Bericht der Organisation Human Rights Watch bereits im Dezember 2002 nicht nur darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen in Afghanistan weiterhin zum Tragen der Burkas gezwungen und auf andere Weise malträtiert werden, sondern dass es häufig ausgerechnet die Polizei und andere vom Westen geförderte und ausgerüstete staatliche Organe seien, die Vorschriften aus der Ära der Taliban – wie etwa auch das Verbot von Musik – durchzusetzen trachten.

Aber die Bundesregierung hat das nie angefochten. Sie war stolz darauf, wie vorbildlich ruhig die Lage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr sei. Die nordafghanische Stadt Kundus etwa: eine »Oase des Friedens« (Spiegel Online). Man hätte fragen können: Was sollen Soldaten, die angeblich Afghanistan den Frieden bringen sollen, in einem Gebiet, das schon friedlich ist? Eine Art symbolischer Imperialismus: Man schickt Soldaten in alle Welt und achtet dabei darauf, dass sie niemanden stören und dass sie niemand stört. Auf keinen Fall würden deutsche Soldaten auch nur ein einziges Mohnfeld anzünden, das stand von Anfang an fest.

Das ist nämlich auch ein gutes Alibi (zu deutsch: anderswo): Wann immer von den Deutschen verlangt wird, sich in Gefahr zu begeben, verweisen sie darauf, durch den Antiterroreinsatz ausgelastet zu sein. Die Welt zitiert einen britischen Offizier mit den Worten: »Ich kann es nicht mehr hören, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist. Entscheidend ist doch wohl, dass die Deutschen nicht dort sind, wo sie gebraucht werden.« Da spricht der blanke Neid.