Ein echter Sozi

Machtwechsel in Schweden von bernd parusel, stockholm

Ein »Triumph für die Sozialdemokraten«. Dieses Urteil über die schwedischen Reichstagswahlen vom 17. September verkündete der Göteborger Politikprofessor Bo Rothstein vergangene Woche in der Zeitung Dagens Nyheter. Der Wahlkampf sei ein »Wettbewerb in sozialdemokratischer Politik« gewesen, und Schweden habe den Neoliberalismus »ideologisch und politisch besiegt«.

Was bringt den Professor zu dieser kühnen Aussage? Zunächst die Fakten: Trotz wirtschaftlicher Hochkonjunktur, einer gut gefüllten Staatskasse und sinkender Arbeitslosenquoten hat die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAP) des bisherigen Premierministers Göran Persson am Sonntag vor einer Woche ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1921 eingefahren. Der bürgerliche Parteienblock Allianz für Schweden, der aus Konservativen, Zentrumspartei, Liberalen und Christdemokraten besteht, gewann die Wahl mit einem knappen Vorsprung von zwei Prozent. Der Spitzenkandidat der Bürgerlichen, Fredrik Reinfeldt, wird nun der nächste Regierungschef.

Dass es ihm gelungen ist, die Sozialdemokraten, die Schweden 70 Jahre lang mit nur wenigen Unterbrechungen regiert haben, zu entmachten, führen die meisten Beobachter erstens darauf zurück, dass die Wähler das Personal der mit der Macht verschmolzenen SAP satt hatten, insbesondere den oft als selbstherrlich kritisierten Göran Persson. Zweitens meinen sie, der Wechsel sei möglich geworden, weil Reinfeldt vor der Wahl von einer »neoliberalen« auf eine sozialdemokratische Linie eingeschwenkt sei. Ebenso wie Persson hat er wachsende soziale Gegensätze bemängelt, von der Notwendigkeit eines solidarischen Zusammenhalts gesprochen und versucht, seine konservative Partei als »neue Arbeiterpartei« zu profilieren. In den Medien im In- und Ausland waren sich die meisten Kommentatoren einig: Schweden werde sich kaum ändern, die Politik der SAP bleibe – wenn auch in neuer Verpackung – erhalten. Schließlich habe die jahrzehntelang dominierende SAP es erreicht, dass ihre Gegner heute so denken wie sie, meinte Rothstein.

Einige Gewerkschafter und Linke warnen jedoch vor dieser Sichtweise. Reinfeldts Linksruck sei nur ein verbaler, betonen sie. Denn ihrer sozialen Rhetorik zum Trotz plant die künf­tige Regierung Einschnitte in den als »Volks­heim« bekannten Wohlfahrtsstaat. Schon 2007 soll das Arbeitslosengeld gesenkt und seine Laufzeit verkürzt werden. Die Möglichkeit, sich als Student gegen Arbeitslosigkeit zu versichern, fällt weg. Stattdessen winkt den Schweden eine »Jobgarantie«, de facto Praktika und unterbezahlte »gemeinnützige Arbeiten«. Wohlhabende sollen von sinkenden Einkommens- und Grundsteuern profitieren, und wer eine Putzhilfe beschäftigt, soll deren Lohn von der Steuer absetzen können. In Schweden dürfte so ein neuer Niedrig­lohnsektor entstehen, und die Gewerkschaften haben bereits Angst, dass ihnen die Machtbasis entzogen wird, denn die Beiträge ihrer Mitglieder sollen künftig nicht mehr steuerlich begünstigt werden. Geringverdiener werden überlegen müssen, ob sie sich gewerkschaftliche Aktivität noch leisten können.

Zwar bedeutet dieses Programm noch keinen radikalen Umsturz des »sozialdemokratischen Gesellschaftsmodells« oder dessen, was nach schon früher erfolgten Einschnitten davon noch übrig ist. Es ist jedoch die Basis für seine weitere Demontage.

Dass Politologen wie Rothstein keinen Unterschied zwischen einem neoliberalen und einem sozialdemokratischen Programm erkennen können, liegt an der Entwicklung sozialdemokratischer Parteien in Europa. Schwedens SAP ist keine Ausnahme.