Fähnchen am Kanonenrohr

Der Militärputsch in Thailand wurde vom König legitimiert. Proteste gegen die Absetzung von Premierminister Thaksin gibt es kaum. von niklas luhmann

In Thailand haben Militärputsche Tradition. Seit der Einführung der konstitutionellen Monarchie im Jahr 1932 übernahmen die Streitkräfte bereits 18 Mal die Macht, zuletzt in der vergangenen Woche. Davor hatte sich das Militär immerhin 15 Jahre lang zurückgehalten, es schien, als sei die Zivilherrschaft gefestigt. Als sich 1992 General Suchinda Kraprayoon, der im Jahr zuvor die Macht übernommen hatte, zum Ministerpräsidenten ernannte, folgten Massendemonstrationen in Bangkok, bei deren gewaltsamer Niederschlagung min­destens 50 Aktivisten erschossen wurden. König Bhumibol Adulyadej forderte die Militärherrscher damals öffentlich zum sofortigen Rücktritt auf, die Offiziere folgten der An­weisung.

Diesmal allerdings steht der sehr populäre König auf der Seite der Militärs. Als die Junta unter Führung von Generalstabschef Sonthi Boonyaratglin am Dienstag der vergangenen Woche ihre Truppen zusammenzog und die Regierungsgebäude abriegel­te, dauerte es nur einen Tag, bis der König sein Ein­verständnis signalisierte. Am Freitag erteilte der Monarch dann sein endgültiges Plazet und ernannte Sonthi offiziell zum Regierungschef.

Bereits bei der Machtübernahme in der Nacht zum Mittwoch waren die Panzer mit kleinen Fähnchen in der Farbe der thailändischen Monarchie gelb geschmückt. Die Putschisten bekundeten ausdrück­lich ihre Königstreue und verhängten das Kriegsrecht über das ganze Land. Danach lösten sie Kabinett, Repräsentantenhaus und Senat auf, setzten die Verfassung außer Kraft und schränkten in den folgenden Tagen die Pressefreiheit und das Recht auf Versammlungsfreiheit stark ein. Der Putsch ver­lief ruhig und unblutig.

Generalstabschef Sonthi beteuerte, im Sinne des Volkes zu handeln und das Land wieder zur Demokratie führen zu wollen. Die Militärs rechtfertigten die Machtübernahme mit den politischen Unruhen der vergangenen Monate und der Zerstörung der Einheit des Landes durch die Politik des bis dahin amtierenden Premierministers Thaksin Shinawatra. In einer Fernsehansprache am Mittwochmorgen sagte der Putschführer: »Wir waren uns einig, dass der verwaltende Premierminister eine beispiellose Kluft in der Gesellschaft verursacht hat, ebenso wie weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, und dass er sich in unabhängige Behörden auf eine Art eingemischt hat, dass sie nicht mehr funktionsfähig waren.«

Überdies, und dies ist in Thailand eine besonders schwer wiegende Anklage, sei nicht auszuschließen, dass gewisse Aktionen und Reden Thaksins die Würde des Königs beeinträchtigt hätten. Man sei aber, betonte Sonthi, keineswegs an der Ausübung der Macht interessiert, sondern werde dem Volk die »demokratische Macht mit dem König an der Staatsspitze« so schnell wie möglich zurückgeben. Als Frist für die Ernennung einer Übergangsregierung nannte Sonthi einen Zeit­raum von zwei Wochen.

Zum Zeitpunkt des Putsches war der korrupte Milliardär Thaksin in New York, er sollte wenig später eine Rede vor der UN-Vollversammlung halten. Thaksin und seine Partei TRT (Thais lieben Thais) regierten das Land seit 2001, im vergangenen Jahr war er mit überwältigender Mehrheit im Amt des Premierministers bestätigt worden. Doch nach dem steuerfreien Verkauf des familieneigenen Telekommunikationsunternehmens Shin Corporation an Singapurs Staatskonzern Temasek Holdings für über 1,5 Milliarden Euro war es zu Straßenprotesten der vor­rangig von der Mittelschicht und Intellek­tuellen getragenen People’s Alliance for Democracy (PAD) gekommen. Die Akti­visten beschuldigten Thaksin der Korrup­tion und warfen ihm vor, die Pressefreiheit einzuschränken und Menschenrechte zu verletzen.

Der Premierminister löste daraufhin das von der TRT beherrschte Unterhaus auf und setzte kurzfristig Neuwahlen für den 2. April an. Die oppositionellen Parteien boykottierten die Wahlen, und die TRT gewann zum dritten Mal. Doch das Verfassungsgericht erklärte die Wahlen für ungültig und ordnete Neuwahlen für Oktober dieses Jahres an. Thaksin blieb vorübergehend im Amt, was die Opposition als illegitim bezeichnete. Er genoss jedoch weiter die Unterstützung der ländlichen Bevölkerung, vor allem im Norden des Landes.

In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu auch gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Oppositionsbewegung und Thaksins Anhängern. Politische Inhalte waren völlig in den Hintergrund getreten, es wurde viel­mehr beiderseits mit den Mitteln der Ma­ni­pulation, des Betrugs und der Demagogie gerungen. Im August hielten Sicherheitskräfte vor der Residenz des Premierministers einen Wagen mit Sprengstoff an. Thaksin selbst hatte den Hinweis gegeben, der Sachverhalt wurde bisher nicht aufgeklärt. Thaksin beschuldigte seine politischen Gegner des Mordversuchs und entließ einige hohe Offiziere. Seine politischen Gegner hingegen sprachen von einem vorgetäuschten Attentat. Das Land teilte sich tatsächlich immer mehr in zwei politische Lager.

Und so haben die Putschisten nicht nur den königlichen Segen, sondern offenbar auch die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit. Einer Umfrage der Suan-Dusit-Rajabhat-Universität zufolge stehen 82 Prozent dem Putsch positiv gegenüber, es ist jedoch unklar, ob diese Haltung auch in der Landbevölkerung dominiert. Proteste gegen den Putsch gibt es kaum, auch der linke Flügel der PAD hat sich bislang nicht öffentlich gegen die Machtübernahme des Militärs ausgesprochen. In Bangkok und anderen Städten brachten viele Menschen den Soldaten Blumen, und Familien ließen sich vor den Panzern fotografieren. Schließ­lich würde eine Ablehnung der Machtübernah­me auch eine Kritik am Königshaus implizieren.

Der Putsch offenbart, wie instabil die thailän­dische Demokratie immer noch ist. 1997 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, Reformen sollten die Institutionen der Kontrolle korrupter Politiker entziehen. Doch viele Reformprojekte blieben unvollendet, und Thaksins Nepotismus unterlief die Kontrollorgane zunehmend. Der Premierminister verschaffte sich durch Sozialreformen, vor allem ein Kreditprogramm für arme Bauern, eine Klientel und besetzte hohe Positionen im Staatsapparat mit seinen Günstlingen. Auch an der Spitze wichtiger Mili­täreinheiten wollte er seine Anhänger platzieren.

Dem kamen die Putschisten zuvor. Sie haben die Wahlen um ein Jahr verschoben, zuvor soll noch die Verfassung geändert werden. Die Aussicht auf ein Korruptionsverfahren soll offenbar Thaksin von einer Rückkehr nach Thailand abhalten, die um seine Person zentrierte TRT wäre dann kaum noch handlungsfähig.

Selbst wenn sich die Putschisten an ihre Zusagen halten, dürften sie kaum demokratische Reformen voranbringen. Solange Korrup­tion und Nepotismus auf allen politischen Ebe­nen zur Normalität gehören, wird eine soziale Politik unmöglich sein und sich die Kluft zwischen den sozialen Schichten nur vergrößern. Dies ist jedoch nicht allein Thaksins Werk. Seine Amtsvorgänger sind immer wieder an ähnlichen Vorwürfen gescheitert. Und schließlich sind auch die Putschisten und das Königshaus nicht frei von machtpolitischen Interessen. So bleibt der Putsch nur eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.