Für das offene Wort

Der »Dialog der Kulturen« bedarf einer innerislamischen Debatte von tobias kaufmann

Jetzt also der Papst. Vorher die westliche Außenpolitik, Israel, Kopftuchverbote, Tschetschenien – irgendwas, so scheint es, finden die Muslime immer, um beleidigt zu sein. Aber es sind nicht »die Muslime«, um die es geht. Die Empörung über den Westen und seine Vertreter ist selten eine spontane Gefühlsaufwallung von wahren Gläubigen. Sie ist kalkuliert. »Tage des Zorns« sind von herrschen­den und geistlichen »Eliten« mindestens erwünscht, oft sogar gelenkt. Jeder Vorwand wird genutzt, zuletzt die Rede des Papstes, um einen Aufschrei zu begründen, dem in Wahrheit politische und ideo­logische Interessen zugrunde liegen. Die Idee eines Kampfs der Kulturen ist in diesem Fall deshalb ebenso unpassend wie der viel beschworene Dialog der Kulturen als angebliche Antwort.

In dieser Woche, in der die Deutsche Islam Konferenz tagt, sollten sich Muslime und Nicht-Muslime vergegenwärtigen, dass vor jedem Dialog mit dem anderen ein Gespräch im eigenen Lager stehen muss. Dies aber ist in der islamischen Welt nicht der Fall. Statt intern über Gewalt, Terror, Menschenrechte und den jeweiligen Zusammenhang mit oder Widerspruch zu der religiösen Tradition und zu totalitären Regimen offen zu sprechen, wird nach außen gerichtete Empörung genutzt, um so zu tun, als sei im eignen Haus alles in Ordnung. Sonst könnte womöglich jemand auf die Idee kommen, dass der andere mit seiner Provokation richtig liege.

Der Karikaturenstreit war ein Paradebeispiel. Der Protest der angeblich Gekränkten log sich um entscheidende Inhalte herum. Unter den Zeichnungen war nur eine, die eine fundamentale Kritik enthielt: der Bärtige, der statt eines Turbans eine Bombe auf dem Kopf trägt. Das Bild unterstellte, dass der islamistische Terrorismus aus dem Islam selbst komme. Darüber kann man streiten – man muss es sogar. Es war kein fremden­feindliches, europäisches Blatt, sondern eine arabische Zeitung, die 2004 nach dem Massaker in Beslan titelte: »Die schmerzhafte Wahrheit: alle Terroristen der Welt sind Muslime.« Aber diese Zeitung erscheint in London, nicht in Riad.

Im Karikaturenstreit ging es darum, Stellung zu beziehen in einem Kulturkampf, der mitten durch die islamische Welt ging. Umso schlimmer ist, dass hierzulande Kirchenleute, Politiker und Journalisten, die für keine Meinungsäußerung ihren Hals riskieren müssen, immer wieder einer totalitären Ideologie zur Seite springen, die alles ablehnt, was uns selbstverständlich sein sollte. Statt Offenheit und Dialog in islamischen Gesellschaften zu fördern und zu fordern, herrscht oft eine Mischung aus kulturpessimistischem Selbsthass, Multikulti-Idealen und einer Faszination für »urwüchsige« Kulturen, die noch echte Werte kennen und bereit sind, für sie zu kämpfen. Doch wer vor Totschlagargumenten wie »verletzte Gefühle« einknickt, trägt dazu bei, genau jene Debatte abzuwürgen, die Islamisten und totalitären Regimen ein Dorn im Auge ist. Erst wenn diese Debatte unter den Muslimen ernsthaft, ehrlich und offen geführt wird, macht Dialog Sinn. Folgenlos herumquasseln kann jeder.